Im Industriegebiet am Heuchelhof entsteht derzeit ein auffälliger Neubau. Die Firma Schaumstoffe Wegerich will dort noch bis Jahresende einziehen. Wie geht es einem Geschäftsführer, wenn mitten in sein millionenschweres Projekt die Corona-Pandemie platzt? Im Gespräch erzählt Markus Wegerich von schlaflosen Nächten, den Chancen des Neubaus und einem Hype um Gesichtsmasken.
Markus Wegerich: Schaumstoffe Wegerich hat sich kontinuierlich entwickelt. Das, was wir jetzt im neuen Standort zusammenfassen, ist nur die Summe der bisherigen Flächen: Am Heuchelhof haben wir zwei Gebäude mit Lager, Fertigung, Polsterei und Näherei. In Lengfeld haben wir eine Halle für den Werksverkauf. Dort verarbeiten wir außerdem Schaum und Stoffe. Dadurch, dass das neue Kopfgebäude zweistöckig wird, vergrößern wir uns lediglich im Bereich Büro und Sozialräume.
Wegerich: Ein wesentlicher Aspekt sind die kürzeren Wege. Unser Werksverkehr muss jeden Tag zwischen den Standorten hin-und herfahren. Unsere Produkte marschieren zum Teil quer durch die Stadt, bis sie fertig sind. Dazu kommt, dass wir drei Einzelhandelsläden-Öffnungszeiten gestalten müssen, mit immer genügend Mitarbeitern für die Kunden.
Wegerich: Irgendwann kam der Gedanke auf, dass es sinnvoll sein könnte, die Summen der Mieten zu nehmen, um davon ein eigenes Gebäude zu bezahlen. Ist so ein Gedanke mal da, lässt er sich nicht mehr abstellen. Seit Mitte 2018 habe ich nur noch Vorgänge gesehen, die besser und rationeller gehen. Zum ersten Mal habe ich frei überlegt, wie es idealerweise sein müsste.
Wegerich: Am 1. April 2019 habe ich die Stadt Würzburg nach einem Grundstück gefragt. Als Beispiel habe ich das Grundstück gegenüber von Obi am Heuchelhof genannt. Die Antwort der Stadt war: Genau dieses Grundstück gibt es – und es ist mit 10 000 Quadratmetern das einzig verfügbare in dieser Größenordnung.
Wegerich: In der Planungsphase habe ich mich dafür entschieden, den Neubau von einem Schlüsselfertig-Anbieter bauen zu lassen. Laut Plan dürfen wir ab November in das neue Gebäude und wollen dann bald eröffnen. Auch unsere Tochterfirma Schwarzweller bekommt dort eine Filiale; der Laden in der Stadt bleibt zusätzlich.
Wegerich: Im Grunde sind wir ein größerer Handwerksbetrieb. Neben Polsterei und Näherei haben wir aber auch einen großen Maschinenpark mit CNC-Maschinen, Kompressionsschnitt- und Wasserstrahlschneidemaschine. Schaum und Stoff und alles, was man draus machen kann, ist unser Ding. Natürlich gehören dazu Sitz- und Liegeelemente – Schaumstoff wird aber auch bei Verpackung, Schalldämmung, Akustikverbesserung und Trittschallisolierung eingesetzt. In Deutschland herrscht kein Lohnniveau, um preiswert Großserien zu produzieren. Deswegen war unser Geschäft schon immer die individuelle Kleinkommission, die es eilig hat – etwa der Kunde, der für sein Wohnmobil innerhalb kürzester Zeit eine maßgefertigte Matratze braucht, weil er dann in den Urlaub fährt.
Wegerich: Es gibt nicht das eine Produkt, wir sind ein Tausendsassa und stehen auf vielen verschiedenen Beinen, weil Schaum und Stoff unzählige Kombinationsmöglichkeiten bieten. Es gab mal einen Kunden, der im Theater einen Wasserfall auf die Bühne fallen lassen wollte – die Zuschauer sollten aber trocken bleiben. Die Lösung war ein Wasserbecken mit einem Element aus Schaumstoff obenauf, den man auch als Mückenschwamm kennt. Das Wasser konnte durchfallen, aber die Tropfen nicht rausspritzen. Es gibt die verrücktesten Anwendungen.
Wegerich: In Krisenzeiten fangen die Leute meist an, es sich zuhause gemütlich zu machen. Die Innenausstattungsbranche hat also eher mehr zu tun. Corona verstärkt außerdem einen Trend: Viele werden sich bewusst, dass regionales Einkaufen und Nachhaltigkeit wichtige Themen sind. Diese Kunden möchten sich sicher sein, dass ihr Produkt an einem anständigen Arbeitsplatz zu einem anständigen Lohn gefertigt wurde.
Wegerich: Das war absolute Achterbahn. Wir hatten das Bauprojekt für den neuen Standort vor uns, ich hatte bei der Bank unterschrieben, mich über beide Ohren verschuldet, und dann kam Corona. Da kann einem schon mal eiskalt werden; mit 60 Mitarbeitern haben wir jeden Monat eine Menge Kosten. Als der Lockdown kam, haben wir Kurzarbeit angemeldet – im Nachhinein nur für drei Tage.
Wegerich: Weil wir plötzlich Masken produziert haben. Schließlich hatten wir alles da, was man für die Produktion von Masken braucht: Näherinnen, eine Werkstatt, Bettwaren, Gummibänder, Filtermaterialien. Wir haben einfach mal 20 Prototypen von Masken gefertigt. Dann habe ich den Geschäftsführer der Arche angerufen, die in der Region verschiedene Alten- und Pflegeheime betreibt. Kurz darauf war er in meinem Büro, hat drei der 20 Prototypen mitgenommen und eine Stunde später 1000 Masken bestellt und die nächsten 10 000 vermittelt. So ging das los.
Wegerich: Nachdem ich zu Beginn des Lockdowns unsere Kunden durch eine Werbung darauf hingewiesen habe, dass wir nun Masken produzieren, die von einer Fachkommission für gut befunden wurden, kam viel Zuspruch. Das Besondere an der Werbung war, dass ich ehrlich gesagt habe, was wir nun machen, weil ich schauen muss, wie ich meine Firma und die Mitarbeiter durch den Lockdown bringe. Plötzlich kamen Anfragen von Journalisten aus allen Himmelsrichtungen, wir sind auf ARD und Pro7 gelaufen, standen in der Bild-Zeitung und der SZ.
Wegerich: Mit dem Hype kam das Chaos: Wir hatten am ersten Tag 1400 E-Mails, das Telefon klingelte ununterbrochen; am anderen Ende waren Kunden, die geweint, gefleht, geschimpft haben. Wir hatten Leute auf dem Hof, die an die Scheibe geklopft haben, weil sie gesehen haben, dass drinnen Masken produziert werden. Wir hatten Anfragen von Polizei, Feuerwehr, THW, Apotheken. Wir haben zuerst die Krankenhäuser, Altenheime und Lungenfachärzte beliefert und versucht, eine sinnvolle Prioritätenliste zu erstellen. Wir waren völlig überfordert.
Wegerich: Ja, unser Bekanntheitsgrad ist gestiegen, und ich vermute, dass die Masken dazu beigetragen haben. Unser Image hat sich verbessert. Und die Maske steht mit dem, was sie leistet, symbolisch für das, was wir sonst so tun: Sie ist nicht sexy, aber richtig gut. Die Nachfrage ging übrigens so schlagartig weg, wie sie gekommen ist – in dem Moment, in dem wieder Einweg-OP-Masken verfügbar waren.
Wegerich: Die Existenzangst. Ich weiß, dass ich ein gesundes Unternehmen habe. Aber die Fragen, wie lange Corona dauert und wie es sich auswirkt, konnte ja keiner beantworten. Dann die Sorge, alle Mitarbeiter gut durch die Zeit zu bringen. Und für mich persönlich die Diskrepanz zwischen „ich renne von A nach B und treffe Vertreter von Krankenhäusern und Altenheimen“ – und zuhause meiner Frau und den Kindern, die beschlossen hatten, keine Sozialkontakte mehr zu haben.
Wegerich: Die Arbeiten haben nie gehangen, sondern sind mit Hochgeschwindigkeit vorangeschritten. Ganz schiefgehen kann es jetzt nicht mehr.