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Würzburg
Samstagsbrief: Frau Neubauer, die Klimaschutzbewegung muss sich dringend neu erfinden
Fridays for Future im Dilemma: Wie weiter nach den krass antisemitistischen Ausfällen von Problem-Ikone Greta Thunberg? Unsere Autorin setzt auf Luisa Neubauers Konsequenz.
Durch die propalästinensischen Auftritte von Greta Thunberg mit Fridays for Future unter Druck: Klimaschutz-Aktivistin Luisa Neubauer am 9. November während der Gedenkveranstaltung zum 85. Jahrestag der Pogromnacht in Hamburg.  
Foto: Georg Wendt, dpa | Durch die propalästinensischen Auftritte von Greta Thunberg mit Fridays for Future unter Druck: Klimaschutz-Aktivistin Luisa Neubauer am 9. November während der Gedenkveranstaltung zum 85.
Alice Natter
 |  aktualisiert: 15.07.2024 17:43 Uhr

Sehr geehrte Frau Neubauer,

was für ein Dilemma. Hätten Sie sich das vorstellen können, im September 2019, als eine 16-jährige Umweltaktivistin, die von Europa in die USA gesegelt war, beim Klimagipfel der UN in New York vor den Mächtigen der Welt zornig eine Brandrede hielt? "Wir werden Euch das nie vergeben! Wir werden Euch das nicht durchgehen lassen! Genau hier ziehen wir die Linie."

Hätten Sie sich dieses Dilemma vorstellen können im August 2020, als Sie mit Greta Thunberg bei Angela Merkel im Kanzleramt saßen und über Handelsverträge und CO2-Bepreisung sprachen? Hätten Sie sich eine solch scheinbare Ausweglosigkeit vorstellen können in diesem Januar, als Sie mit Thunberg im Braunkohledorf Lützerath im Matsch standen, am Krater des Tagebaus Garzweiler mit Pappschildern "Keep it in the Ground" in der Hand?

Fridays for Future Germany steckt im Dilemma

Im Schlamm feststecken. Die Linie ziehen. Sich lösen müssen. Liebe Frau Neubauer, das ist genau das Dilemma, in dem Sie jetzt sind.

Wie weitermachen nach Greta Thunbergs Provokationen und untragbaren Auftritten? Wie weitermachen nach den antisemitischen Ausfällen der (einstigen?) Ikone und 750.000 Likes für ihre Anti-Israel-Posts auf Instagram?

Der Chefredakteur der "Jüdischen Allgemeine" forderte Sie in der Bild-Zeitung auf, "mit Greta zu brechen" und Fridays für Future aufzulösen. Die Buchstaben "FFF" stünden nicht mehr für Klimaschutz, sondern für Antisemitismus, Holocaust-Verharmlosung und Terror-Unterstützung. Es sei Ihre "letzte Gelegenheit".

Zentralratspräsident Josef Schuster fordert "schnellstmöglich" einen neuen Namen

Auch Josef Schuster, der Zentralratspräsident aus Würzburg, hat deutlich gemahnt. Die internationale Vernetzung mit Fridays for Future auszusetzen, reicht Schuster nicht: Fridays for Future Deutschland müsse sich "schnellstmöglich" einen neuen Namen geben. Ansonsten mache man sich weiter mit der Galionsfigur Greta Thunberg gemein.

Man muss Ihnen zugutehalten: Sie haben sich relativ früh von den irrsinnigen Äußerungen der internationalen FFF-Bewegung distanziert. Haben sich klar positioniert – gegen Terror, gegen die Hamas.

Doch wie soll's jetzt weitergehen? Es ist nicht das erste Mal, dass Sie und Thunberg bei einem zentralen Thema unterschiedlicher Meinung sind. Vor einem Jahr, als die Bundesregierung sich nach langem Streit darauf einigte, die restlichen deutschen Atomkraftwerke bis April weiter zu betreiben, da sagte Greta Thunberg, wenn sie schon liefen, wäre es "ein Fehler, sie abzuschalten und sich der Kohle zuzuwenden". Sie schlossen sich klar der Position der Grünen an - und widersprachen der Leitfigur aus Schweden.

Drama Nahost-Konflikt: Die Klimabewegung wird für die falsche Sache missbraucht  

Beim Atomstreit ging es um eine zentrale Klimaschutz-Frage. Jetzt geht es um das komplexe Drama Nahost-Konflikt, um brutalen Terror und schrecklichstes Leid. Die Klimabewegung wird durch Thunbergs Aufritte für die falsche Sache missbraucht.

Liebe Frau Neubauer, Sie sagen klar: "Wir machen beim Thema Antisemitismus keine Kompromisse." Greta Thunberg sei "eine wichtige Impulsgeberin" – und nehmen die Vergangenheitsform: gewesen. FFF Deutschland sei eigenständig, unabhängig und mit mehr als 300 Ortsgruppen weltweit am stärksten: "Wir haben unsere eigene Geschichte geschrieben."

Sich rhetorisch zu distanzieren, mag das eine sein. Aber es braucht wohl mehr, als nur auf "den eigenen Charakter" zu verweisen und internationale Prozesse "zu pausieren". Den Namen abzulegen, wäre in diesem Augenblick Symbolpolitik, sagen Sie in Ihrer Bredouille.

In Deutschland eine neue Klima-Gruppe gründen: Liebe Frau Neubauer – es wäre mehr als Symbolpolitik. Es wäre ein Versprechen und Zeichen! Wenn Fridays for Future Germany eine ernstzunehmende, entscheidende sozial-ökologischen Bewegung bleiben will, braucht es einen ehrlichen wie symbolischen Neubeginn.

Die internationale Anbindung ist offenbar schon seit einiger Zeit eher hemmend für die deutsche Bewegung. Die offiziellen Forderungen an die Bundesregierung waren immer vor allem konkret: CO2-Preise, Aus für Subventionen fossiler Energie, Abschied von Verbrennern im Auto. Die globalen Klimastreiks liefen hingegen häufig unter radikalerem, explizit antikapitalistischem  Motto: "People, not profits".

Liebe Frau Neubauer, die Klimaschutzbewegung muss sich ohnehin neu erfinden – der Nahost-Konflikt macht es überdeutlich klar. Zwischen Industrieländern, Deutschland vor allem, und dem globalen Süden gibt es innerhalb der Bewegung eine tiefe Spaltung.

Sie werden Antworten darauf finden müssen. Das Ziel von Fridays for Future sei immer der demokratische Grundkonsens aller, haben Sie oft gesagt: da keine Kompromisse zu machen, wo es keine geben kann - bei der Bewahrung der Lebensgrundlagen.

Ob Klimaschutz oder Menschlichkeit: Keine Kompromisse machen, wo es keine geben kann

Das wird entscheidend sein: Ob und wie es Ihnen gelingt, Ihre Bewegung in Deutschland am Leben zu halten und die eigentlichen, unterstützenswerten Grundlagen zu bewahren. Und dabei dort keine Kompromisse zu machen, wo es keine geben kann.

Im Frühjahr steht der nächste globale Streik an. Ob FFF Deutschland sich daran wieder beteiligen will – und unter welchem Namen? 

Bleiben Sie Klimabewegung, Frau Neubauer! Mit klaren Linien und für die Sache.

Mit besten Grüßen aus Würzburg,

Alice Natter, Redakteurin

Persönliche Post: der Samstagsbrief

Jedes Wochenende lesen Sie unseren "Samstagsbrief". Was das ist? Ein offener Brief, den eine Redakteurin oder ein Redakteur unserer Zeitung an eine reale Person schreibt – und tatsächlich auch verschickt. An eine Person des öffentlichen Lebens, die zuletzt Schlagzeilen machte. An jemanden, dem wir etwas zu sagen haben. An einen Menschen aus der Region, der bewegt hat und bewegt. Vielleicht auch mal an eine Institution oder an ein Unternehmen. Oder ausnahmsweise an eine fiktive Figur. Persönlich, direkt und pointiert formuliert soll der "Samstagsbrief" sein. Mal emotional, mal scharfzüngig, mal mit deutlichen Worten, mal launig – und immer mit Freude an der Kontroverse. Der "Samstagsbrief" ist unsere Einladung zur Debatte und zum Austausch. Im Idealfall bekommen wir von der Adressatin oder dem Adressaten Post zurück. Die Antwort finden Sie dann bei allen "Samstagsbriefen" hier. Und vielleicht bietet sie auch Anlass für weitere Berichterstattung.
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