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Würzburg
Krieg im Nahen Osten: Würzburger Terrorismusforscher Neumann warnt vor neuer islamistischer Radikalisierungswelle
Der Konflikt zwischen Israel und der Hamas hat auch in Deutschland Folgen. Wie groß ist die Terrorgefahr? Wieso Peter Neumann sicher ist, dass es nicht nur zu Randale kommt.
Ergründet die 'Logik der Angst': Der Würzburger Prof. Peter Neumann forscht in London zu Terrorismus, Extremismus und Radikalisierung.
Foto: Thomas Obermeier | Ergründet die "Logik der Angst": Der Würzburger Prof. Peter Neumann forscht in London zu Terrorismus, Extremismus und Radikalisierung.
Benjamin Stahl
 |  aktualisiert: 15.07.2024 17:09 Uhr

Bombendrohungen, antisemitische Kundgebungen: Der Konflikt zwischen Israel und der Hamas hat auch in Deutschland Auswirkungen. Der Würzburger Peter Neumann gilt als einer der renommiertesten Experten für Terrorismus und Radikalisierung. Die Konfrontation mit Israel sei aus muslimischer Sicht die Mutter aller Konflikte, sagt Neumann. Im Interview erklärt der Politikwissenschaftler und Publizist, wie gewaltbereite Islamisten den Konflikt zwischen Israel und der Hamas für sich nutzen könnten. Und für wie konkret er die Terrorgefahr hält.

Frage: Herr Neumann, herrscht im Nahen Osten Krieg oder sehen wir dort Terror und Kampf gegen den Terror?

Peter Neumann: Beides, denn Terror kann Teil von Krieg sein. Der Krieg zeigt sich daran, dass die Israelis eine Bodenoffensive vorbereiten. Der Krieg hat aber mit dem Terrorismus der Hamas angefangen.

Der islamistische Terror schien in den vergangenen Jahren seinen Schrecken verloren zu haben. Mittlerweile sind die Auswirkungen des Konflikts in Europa spürbar: Ein islamistischer Anschlag in Brüssel, Terrordrohungen gegen Flughäfen und Touristenattraktionen in Frankreich, Bombendrohungen mit Hamas-Bezug an bayerischen Schulen. Was passiert da gerade?

Neumann: Dschihadisten, also gewaltbereite Islamisten, waren seit 2018 wenig aktiv. Erstens, weil Sicherheitsbehörden viele Netzwerke zerstört haben und viele Leute im Gefängnis sitzen. Zweitens, weil das sogenannte Kalifat des sogenannten Islamischen Staats (IS) zerschlagen wurde. Drittens, weil es damit nicht mehr viel gab, wofür man enthusiastisch kämpfen konnte. Das Phänomen ist aber niemals ganz verschwunden und Deutschland hat immer noch viele Gefährder. Und jetzt haben Dschihadisten plötzlich wieder ein Thema, an das sie andocken können, mit dem sie versuchen, für ihre Sache eine Art Momentum zu entwickeln.

"Die Konfrontation mit Israel ist das emotional größte Thema, das in der arabischen Welt existiert."
Peter Neumann über den Nahost-Konflikt
Woran zeigt sich das?

Neumann: Der IS zum Beispiel hat sich kurz nach dem Angriff der Hamas am 7. Oktober zunächst relativ stark zurückgehalten, weil die Hamas eine andere Gruppe ist und der IS nichts direkt mit der Terroraktion zu tun hatte. Jetzt springen sie aber auf. Zuletzt gab es einige Erklärungen des IS mit der klaren Botschaft: Es geht jetzt gegen Israel. Es gibt aber noch eine andere Entwicklung.

Welche?

Neumann: Die Konfrontation mit Israel ist das emotional größte Thema, das in der arabischen Welt existiert. Aus muslimischer Sicht die Mutter aller Konflikte. Das geht weit über Islamismus oder Dschihadismus hinaus. Das beschäftigt und emotionalisiert viel größere Teile der Bevölkerung und man sieht, wie das viele Leute auf die Straßen treibt und wie einseitig dieser Konflikt verstanden wird.

Also nicht nur die Mutter aller Konflikte, sondern auch der kleinste gemeinsame Nenner vieler unterschiedlicher muslimischer Strömungen.

Neumann: Das ist der Punkt. Da sind die Dschihadisten, also Anhänger von Terrororganisationen wie El Kaida oder IS. Dann gibt es in ganz Europa Islamisten, die nicht gewalttätig sind, die vor Jahren den Terror in Europa verurteilt haben, aber durchaus Terror in Israel gegen Israel legitimieren. Das sind Leute, die jetzt sehr aktiv sind und in diesem Konflikt – auch wenn sie es nicht so explizit sagen – die Hamas unterstützen. Und darüber hinaus gibt es natürlich noch viele andere, die einfach das Gefühl haben, die Palästinenser werden unterdrückt, und deshalb auf deren Seite stehen.

"Für dschihadistische Gruppen eröffnet sich gerade eine Riesenmöglichkeit, wieder neue Netzwerke aufzubauen."
Peter Neumann über die Strategie von Dschihadisten
Das ist weiter verbreitet, als man gedacht hat?

Neumann: Das zeigt sich in Deutschland vor allem dort, wo es viele Jugendliche mit migrantischem Hintergrund gibt, die einfach instinktiv gegen Israel sind, weil Staat und Establishment für Israel sind. Das ist eine Art Rebellion gegen die vorherrschende Meinung, da wird das Thema als Projektionsfläche für den eigenen Hass auf die Gesellschaft genutzt. Das sind dieselben Leute, die an Silvester randaliert haben.

Sehen Sie die Gefahr einer neuen Radikalisierungswelle?

Neumann: Auf jeden Fall. Ich glaube, wir haben eine Situation, in der auch gewalttätige Islamisten versuchen werden, aus diesem Pool von Personen, die jetzt auf die Straße gehen, Leute zu rekrutieren. Sie treten mit der Botschaft an sie heran: Schön, dass ihr ein bisschen randaliert und ein antisemitisches Plakat hochhaltet, aber eigentlich müsstet ihr noch etwas viel Extremeres machen – denn der eigentliche Kampf ist ein anderer. Für dschihadistische Gruppen eröffnet sich gerade eine Riesenmöglichkeit, wieder neue Netzwerke aufzubauen.

Wie konkret ist die Terrorgefahr?

Neumann: Das ist schwer zu sagen. Ich bin mir aber sicher, dass es nicht nur zu Randale kommt. Über kurz oder lang, werden wir auch wieder Anschläge sehen, die von langer Hand vorbereitet sind. Es gibt keinen Grund, warum das, was in Belgien oder Frankreich passiert ist, nicht auch in Deutschland passieren sollte.

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Wie begegnet man dieser Entwicklung?

Neumann: Langfristig ist die Antwort, dass man das Thema wieder ernster nehmen muss. In Deutschland haben wir uns eingeredet, dass Israel-Hass, dass Juden-Hass nichts mit uns zu tun hat. Aber wenn es im Nahen Osten einen Konflikt gibt, erfährt der eine Fortsetzung bei uns. Die Frage, vor der wir jetzt stehen, ist keine geringere, als die, ob Deutschland, ob die europäischen Staaten in der Lage sind, Jüdinnen und Juden zu schützen. Und das ist nichts anderes als ein Test, wie ernst wir es mit Pluralismus, Menschenrechten und Demokratie meinen. Ist Europa tatsächlich ein Platz, wo Menschen unterschiedlicher Religionen friedlich zusammenleben können? Oder sind das hohle Worte?

Sie haben Jugendliche angesprochen. Was würden Sie Lehrerinnen und Lehrern raten, die in ihren Klassen viele Muslime haben und möglicherweise mit antisemitischen Ansichten konfrontiert sind?

Neumann: Es ist wichtig, darüber zu sprechen. Ich kann mir vorstellen, dass das unglaublich kompliziert ist und ich bin nicht die Person, die Lehrern sagen kann, wie man das pädagogisch angeht. In der jetzigen Situation ist es aber auf jeden Fall wichtig, immer wieder daran zu erinnern, dass es auch in diesem Krieg viel Desinformation gibt. Man muss also betonen, dass man kritisch vor allem gegenüber Informationen aus dem Internet sein muss. Und wenn man sich schon über YouTube-Videos informiert, dann bitte nicht nur ein Video anschauen, sondern auch ein zweites, das von der Gegenseite gepostet wurde – dann sieht man zumindest schon mal die unterschiedlichen Interpretationen. Aber auch Quellen, die in der Zeitung stehen, sollte man hinterfragen.

"Wenn man sich schon über YouTube-Videos informiert, dann bitte nicht nur ein Video anschauen, sondern auch ein zweites, das von der Gegenseite gepostet wurde."
Peter Neumann über Desinformation im Krieg
Was meinen Sie?

Neumann: Nehmen wir die Informationen, die wir über Opfer auf palästinensischer Seite haben. Ich bezweifle nicht, dass es Opfer gibt. Aber alle Informationen dazu kommen vom palästinensischen Gesundheitsministerium im Gazastreifen, das von der Hamas kontrolliert wird. Von dort kommen keine objektiv überprüfbaren Informationen. Nehmen Sie das bombardierte Krankenhaus: Von der Regierung im Gazastreifen hieß es schnell, da seine Hunderte Kinder umgekommen. Mit den Informationen von heute kann man von ein oder zwei Dutzend Toten insgesamt ausgehen. Das ist natürlich auch schlimm, aber eben etwas anderes als die Zahl, die anfangs kolportiert und abgedruckt wurde.

Zuletzt haben Sie eher zu Rechtsextremismus geforscht. Aus welcher Ecke ist die antisemitische Bedrohung gerade größer? Aus der rechtsextremen oder der islamistischen?

Neumann: Man sollte das nicht gegeneinander aufwiegen. Antisemitismus hat verschiedene Begründungen und je nach Ereignislage werden unterschiedliche Strömungen stärker oder schwächer. Aktuell kann man sicher sagen, dass Antisemitismus vor allem aus der islamistischen und der linksextremen Szene kommt, das korreliert mit den Spannungen im Nahen Osten. Viele Linksextremisten stehen auf der Seite Palästinas. In den vergangenen Jahren kam Antisemitismus aber vor allem aus der rechtsextremen Ecke und der Querdenker-Szene. Wir müssen alle Formen bekämpfen.

Peter Neumann

Der 48-jährige Politikwissenschaftler und Publizist ist Professor für Sicherheitsstudien am King's College in London. Der Würzburger gilt als einer der renommiertesten Experten für Terrorismus und Radikalisierung. Er war Sonderbeauftragter der OSZE und berät Regierungen, Nachrichtendienste und internationale Organisationen. Peter Neumann ist CDU-Mitglied, vor der Bundestagswahl 2021 unterstützte er CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet im Wahlkampf. Gerade ist bei Rowohlt sein neues Buch erschienen "Logik der Angst. Die rechtsextreme Gefahr und ihre Wurzeln" (208 Seiten, 22 Euro).
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  • Manfred Englert
    Ich stimme in Vielem Herrn Neumann zu.

    Aus meiner Zeit in Beirut konnte ich viele Eindrücke mitnehmen. Ein einschneidender war, daß wir es hier in Deutschland nicht zulassen dürfen, daß wir unsere innere Sicherheit durch Gefährder, wie wir sie überflüssigerweise zuhauf hier in D haben, aufs Spiel setzen!
    Diese Gefährder, die unsere Gesellschaftsordnung ebenso wie auch die der Israeliten bedrohen, holen sich ihre Motivation in, wie von Tagesschausprecher Constantin Schreiber und der zdf Sendung zoom beschriebenen Moscheen und der dort hetzenden Imame!
    Dies dürfen die unter unseren Augen tun.
    Wenn jetzt nicht durch umfangreiche gesetzliche Änderungen und erweiterte Befugnisse unsere Sicherheitsbehörden in die Lage versetzt werden gegen solche Imame( "schmutzigen deutsche Behörden, möge Allah sie vernichten....") und deren Unterstützer vorzugehen, sehe ich für unsere innere Sicherheit mehr als schwarz!
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  • Harry Amend
    Das sind doch olle Kamellen das Deutschland viele Gefährder hat, die Frage müsste viel mehr lauten warum Deutschland in all denn Jahren nichts dagegen unternommen hat? Da passt die Meldung aus der Wirtschaft dass immer mehr deutsche Facharbeiter auswandern und warum? Weil sie die Nase voll haben von Politikern die aus diesem Land eine Bananenrepublik gemacht haben. Wer sich heute immer noch fragt warum eine neue Links ausgerichtete Partei von Wagenknecht, oder auch die rechte AfD immer mehr Zulauf bekommt, der hat nichts aber auch gar nichts verstanden.
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