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Bad Kissingen
Russischstämmige in Unterfranken: "Wir sind doch nicht verantwortlich für Putins Krieg"
Russischstämmige Menschen in der Region werden angegangen - und aufgefordert, sich zu distanzieren. Was eine Mutter ihren Kindern rät und welche Anfeindungen nicht nur Wirte erleben.
Weltweit demonstrieren Menschen gegen den Krieg in der Ukraine - so wie hier in Berlin. Auch viele russischstämmige Deutsche protestieren gegen Putins Krieg. Dennoch werden auch in Unterfranken immer mehr Russinnen und Russen angefeindet.
Foto: Paul Zinken, dpa | Weltweit demonstrieren Menschen gegen den Krieg in der Ukraine - so wie hier in Berlin. Auch viele russischstämmige Deutsche protestieren gegen Putins Krieg.
Gisela Rauch
 |  aktualisiert: 08.02.2024 10:28 Uhr

Nur wenige Tage nach Beginn des russisch-ukrainischen Krieges entdeckt Dascha Smirnov (Name geändert) aus dem Landkreis Aschaffenburg auf ihrer Website eine E-Mail, die sie in helle Aufregung versetzt. "Distanzieren Sie sich öffentlich von Putin", heißt es in dem anonym versandten Text, "sonst klebt das Blut unschuldiger Menschen an Ihren Händen". Dascha Smirnov ist keine Politikerin, sie ist weder bedeutend noch einflussreich – differenziert betrachtet, ist sie nicht einmal Russin.

"Ich stamme aus Kasachstan. Eine der 15 Sowjetrepubliken, die genau wie die Ukraine in den 90er Jahren selbständig wurde, als die Sowjetunion zerfiel", sagt die Gastronomin aus dem Kreis Aschaffenburg. Ihre Familie habe ukrainische Wurzeln, ihre Oma sei eine ukrainische Jüdin gewesen, Dascha selbst ist sehr jung nach dem Studium nach Deutschland gezogen. Ihr Mann ist Grieche.

Gastronomin berichtet von Hass-Anrufen im russischen Restaurant

"Nur weil wir ein russisches Restaurant haben, werden wir jetzt angefeindet von wildfremden Leuten", berichtet sie. Es sei doch total absurd, dass sie, die Kasachin und ihr griechischer Mann, sich jetzt distanzieren sollten - auch noch öffentlich. "Wie denn bitte?", fragt Dascha. "Und warum? Ich habe doch mit Putin nichts am Hut und die Leute in der Ukraine tun mir leid."

Aus Gastronomen-Kreisen ist zu erfahren, dass anonyme Hass-Mails mittlerweile öfter in den Bewertungsspalten von russischen Restaurants oder Läden auftauchen. Dascha Smirnovs Lokal ist keine Ausnahme.

"In diesen Zeiten halten die Stammgäste zu uns", sagt die 47-Jährige. Trotzdem hat sie Angst: "Wir hatten jetzt schon mehrere Hass-Anrufe in unserem Restaurant. Wir haben junge Bedienungen, 20 Jahre alt, die kennen die Welt noch nicht." Und dann würden sie am Telefon wegen Putins Krieg beschimpft. "Das ist doch verrückt!"

Russischstämmige Würzburgerin hat Angst vor einer Spaltung der Gesellschaft

So wie Dascha Smirnov denken viele russische oder russischstämmige Menschen, die teilweise seit Jahrzehnten in Unterfranken leben. Dier in Würzburg beheimatete Natascha Richter (Name geändert) wünscht sich, dass sich die Menschen hier bewusst machen, dass Bürger mit russischen Wurzeln "nicht verantwortlich sind für Putins Krieg und nicht verantwortlich gemacht werden sollten".

Die 44-jährige medizinische Fachkraft hofft sehr, dass der Krieg in der Ukraine nicht eine Spaltung der deutschen Gesellschaft bewirkt. Und dass "die Millionen von deutschrussischen oder russischstämmigen Menschen, die sich doch so gut integriert haben", wegen des Krieges nicht an den Rand gedrängt und als Feinde ausgemacht werden. "Ich habe ganz schlecht geschlafen die letzten Tage, weil mich dieses Thema so umtreibt."

Eine Demonstrant in Würzburg: 'Frieden in der Ukraine. Stoppt Putins Aggressionen' steht auf dem Schild. Durchgestrichen ist das Wort 'russisch', denn den meisten Menschen ist klar, dass dies kein russischer Krieg ist, sondern Putins Krieg.
Foto: Patty Varasano | Eine Demonstrant in Würzburg: "Frieden in der Ukraine. Stoppt Putins Aggressionen" steht auf dem Schild. Durchgestrichen ist das Wort "russisch", denn den meisten Menschen ist klar, dass dies kein russischer Krieg ...

Natascha Richter selbst hat in diesen Tagen zwar noch keine Anfeindungen erlebt. Aber ihr Mann sei in der großen Firma, in der er arbeitet, schon angegangen worden: "Da siehst du, was deine Leute gemacht haben! Bist du jetzt zufrieden mit deinem Präsidenten?"

Dabei lebten sie und ihr Mann schon seit 25 Jahren in Deutschland und hätten sich immer als "angekommen" erlebt. "Ich zum Beispiel bin als Deutschrussin als Kind  als 'Faschistin' angefeindet worden, weil meine Familie deutsche Wurzeln hat", berichtet die 44-Jährige. Dass sie jetzt im ursprünglichen Herkunftsland der Familie wegen ihrer russischen Herkunft Angst haben müsse, macht sie sehr betroffen. "In keinster Weise" identifiziere sie sich mit Putins Politik. "Aber Russisch ist eben auch meine Sprache, das kann ich ja nicht ändern."

Der deutsche Azubi wird plötzlich als "Russe" wahrgenommen

Was Natascha Richter besonders ängstigt: dass sogar ihr in Deutschland geborener 19-jähriger Sohn, der gerade eine Ausbildung macht, über Nacht als "Russe" wahrgenommen und verbal attackiert wird. "Was haben meine in Deutschland aufgewachsenen Kinder mit Putin zu tun? Die haben doch nicht einmal einen russischen Pass!"

Die Deutschrussin hat ihren Kindern geraten, sie sollten sich bedeckt halten, "nicht provozieren", nicht über Politik sprechen. Sie selbst versucht, in der Öffentlichkeit nicht mehr russisch zu sprechen, etwa am Handy mit ihrer Mutter. "Mich bedrückt diese Situation sehr. Der Hass der Welt richtet sich jetzt auch auf kleine Leute mit russischen Wurzeln, die mit dem ganzen Wahnsinn nicht zu tun haben."

Russisch-orthodoxe Kirche Bad Kissingen: Hier beten Russen und Ukrainer gemeinsam

Auch Priester Alexej Lemmer, der Vorsteher der russisch-orthodoxen Gemeinde des Hl. Sergius von Radonesch in Bad Kissingen, stammt aus Russland. Geboren im sibirischen Omsk, ist er als Kind 1992 nach Deutschland gekommen. Hat auch Lemmer aufgrund seiner russischen Wurzeln oder in seiner Eigenschaft als russisch-orthodoxer Priester seit dem Beginn des Kriegs in der Ukraine Anfeindungen erlebt?

"Bisher nicht und ich hoffe, das bleibt so", sagt der 38-jährige Priester. "Auch die Kirchengemeinde in sich ist friedlich, obwohl wir hier Russen und Ukrainer, Weißrussen und Georgier sind." Der Krieg  werde nicht in die Gemeinde hineingetragen und solle das nicht. "Wir sind als Kirche gegen Gewalt und stehen dafür, Konflikte friedlich zu lösen. Wir beten gemeinsam für Frieden."

Alexej Lemmer, Vorsteher der russisch-orthodoxen Gemeinde des Hl. Sergius von Radonesch in Bad Kissingen.
Foto: Borst | Alexej Lemmer, Vorsteher der russisch-orthodoxen Gemeinde des Hl. Sergius von Radonesch in Bad Kissingen.

Diese "extra Gebete für den Frieden zwischen Russland und der Ukraine" sprechen die Angehörigen der russisch-orthodoxen Kirchengemeinde nicht erst seit acht Tagen, sondern – mit Blick auf den lange schwelenden Bürgerkrieg an der ukrainisch-russischen Grenze – seit acht Jahren jeden Sonntag. Die gemeinsame Sprache, in der sich beim Gebet Russen und Ukrainer, Weißrussen und Georgier wiederfinden, ist Kirchenslawisch. Eine Art Ursprache des Slawischen, die es gab, bevor sich Russen und Ukrainer über die Jahrhunderte sprachlich voneinander entfernten.

"Es ist besser, wenn wir hier in der Gemeinde politische Meinungen außen vor lassen. Wir können hier in Bad Kissingen nichts verändern. Wenn wir anfangen, schlecht übereinander zu sprechen, bringt das nichts", sagt Lemmer. Seine russisch-orthodoxe Gemeinde will den Ukrainern helfen, mit Spenden und Lebensmittellieferungen, Sprachübersetzungen in Ämtern und mit geistlicher Hilfe.

 
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  • A. S.
    Es darf aber bitte auch nicht der Eindruck entstehen, als gäbe es in Deutschland viele Leute, die hier lebende Russen attackieren. Es gibt keine Evidenz für eine Größenordnung. Zugegeben, so eine menschenfeindliche Stimmung sollte eigentlich überhaupt nicht aufkommen …
    Anton Sahlender, Leseranwalt
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  • f. p.
    Die Anfeindungen an hier lebende Russen ist eine Frechheit. Wir Deutschen müssen uns schämen, Bürger zu haben die so etwas machen. Man sieht das Fremdenfeindlichkeit noch viel zu viel in Deutschland vorhanden ist. Auch dies ist kein gutes Zeichen.
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  • A. G.
    Immer alle über einen Kamm zu scheren ist natürlich einfach aber man sollte sich mal die Zeit nehmen und mit den einzelnen Personen reden. Man wird sehr überrascht sein was dabei rauskommt. Mir selber ist es egal wo ein Mensch herkommt solange er ehrlich ist sich an die Gesetze hält und versucht auch unsere Kultur zu verstehen so wie ich es auch versuche. Es ist manchmal nicht ganz so leicht aber wenn man sich bemüht kann man sogar einen Mittelweg finden. Egal mit welchem "Russen" ich gesprochen habe bis jetzt war jeder gegen Putin und den Krieg den er angefangen hat. Sehr viele von ihnen sind Deutschrussen (nicht nur weil sie einen Deutschen Schäferhund hatten)und wurden in Russland auch nicht sehr gut behandelt . Ich kenne auch ein paar die sich kritisch gegen die Russische Politik geäußert hatten und seither nicht einmal mehr Verwandte die noch drüben sind besuchen.
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  • H. M.
    Leider verstößt Ihr Kommentar gegen die Kommentarregeln auf mainpost.de. Wir haben den Kommentar deshalb gesperrt.
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  • H. M.
    Das Alles-über-einen-Kamm-scheren ist natürlich völliger Blödsinn und erinnert an die dunkelsten Jahre deutscher Geschichte! Diejenigen, die hier lebende Menschen mit osteuropäischem oder russischem Hintergrund haben doch nicht die Ukraine überfallen. Das ist einzig und allein Adolf Putin der mit den Überfall mit dreisten Lügen zu rechtfertigen versucht. Er sagt ja auch, dass Wladimir Hitler auch so bekämpft und besiegt wurde. Oh, jetzt habe ich doch glatt die Vornamen verwechselt. Naja, egal! Kommt ja auf#s gleiche raus. Hirnis, die glauben Leute mit vermeintlichem russischen Hintergrund beschimpfen zu müssen haben keine, aber auch gar keine Ahnung von Geschichte! Wahrscheinlich sind das die gleichen die über die letzten Jahre nur gemotzt haben wie z.B. Querköpfe, Neonazis, etc. etc. Viele russischstämmige Bürger verurteilen Putin und seinen Krieg. Gestern hat eine junge Frau mit russischen Wurzeln unfassbar viel an eine Hilfsorganisation für die Ukraine gespendet! Super Beispiel!!!
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  • G. R.
    Erst die Krim jetzt die Ukraine Putin erinnert mich an Hitler der hat auch klein angefangen und der Rest der Welt hat erst tatenlos zugeschaut, wiederholt sich hier die Geschichte? Auch das deutsche Volk wurde jahrelang in Sippenhaft genommen ich halte so etwas für hirnrissig. Alle Menschen, die aus Russland zu uns kamen, können nichts für so einen größenwahnsinnigen Putin.
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