Der junge Pianist Evgeni Petrichev, geboren 2000 in Würzburg, hat bereits einige internationale Preise gewonnen und mit bedeutenden Orchestern gespielt. Derzeit studiert er am renommierten Royal College of Music in London. Seine Mutter ist Russin, sein Vater Bulgare: Lilia und Wladimir Petrichev haben von 2004 bis 2013 das Privattheater "Kunstkeller Würzburg" betrieben. Wenn der junge Pianist gefragt wird, woher er komme, sagt er: aus Deutschland. Und fügt dann an, er habe deutsches, ukrainisches, russisches und bulgarisches Blut.
Vor wenigen Tagen hat Evgeni Petrichev, der sich auch in der Flüchtlingshilfe engagiert, einen vielbeachteten Appell in den sozialen Netzwerken gepostet: Darin nennt er Wladimir Putin eine "Schande". Der russische Präsident sei kein echter Führer, sondern kümmere sich nur um sich selbst und seine kriminelle Umgebung. Von vielen russischen Prominenten, die aus Angst jetzt still blieben, sei er massiv enttäuscht, sagt der Würzburger. "Fasst euch ein Herz", ruft er ihnen zu. "Wann, wenn nicht jetzt? Denkt an eure Kinder und die Welt, in der sie leben werden!"
Als Beispiel für die schweigenden Stars nennt Evgeni Petrichev im Telefonat aus London den Dirigenten Waleri Gergijew, Chefdirigent der Münchner Philharmoniker. Am Tag nach dem Gespräch wurde bekannt, dass die Philharmoniker sich von Gergijew trennen. Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) hatte dem Dirigenten, als Putin-Freund bekannt, ein Ultimatum gestellt: Entweder Gergijew distanziere sich vom Krieg in der Ukraine oder er werde entlassen. Gergijew hatte sich nicht distanziert.
Evgeni Petrichev: Es ist ganz unterschiedlich, aber unterm Strich sind wir alle derselben Meinung: Das ist eine Katastrophe und ein Vergehen an der Menschheit. An den Ukrainern, aber auch generell. Es ist ein kompletter Vertrauensbruch gegenüber all denen, die an die Menschheit glauben. Vielleicht waren wir naiv, aber wir haben Russland doch irgendwie vertraut und gedacht, dass so etwas nicht passieren könnte. Aber Europa wurde ins Gesicht gelogen. Vor allem meine russischen Freunde sind zutiefst enttäuscht und können den Leuten nicht mehr in die Augen schauen. Obwohl sie ja eigentlich nichts falsch gemacht haben.
Petrichev: Er ist nicht Russland, aber leider zerstört er das ganze Bild von Russland für sehr lange Zeit. Die russische Musik, die Poesie und die Kunst sind ein riesiger Kulturschatz. Gerade wir Musiker sind durch die Musik von Tschaikowski, Rachmaninow oder Prokofjew mit Russland verbunden. Jetzt aber wird das Land nur noch als Aggressor gesehen. Das ist sehr schade, und das tut mir sehr weh.
Petrichev: Sie ist Harfenistin und lebt auch hier in London. Sie macht sich sehr große Sorgen um ihre Familie in Charkiw, einer der umkämpften Städte im Osten der Ukraine. Sie versucht, die Lage in den Sozialen Medien zu verfolgen. Einmal hatte sie plötzlich ganz große Augen: Da war ein Video, das 20 Meter von ihrem Haus gedreht worden war. Ihre Familie wacht jeden Morgen vom Raketengetöse auf. Sowas wünscht man niemandem auf der Welt. Aber im Moment geht es ihren Eltern noch ganz okay.
Petrichev: Bis jetzt noch nicht. Ich habe ja selbst einen slawisch klingen Namen und erlebe, dass uns die Leute sehr aufgeschlossen und ohne Vorurteile begegnen. Aber das kann sich natürlich ändern.
Petrichev: Wir haben Verwandte und viele Freunde in Russland und in der Ukraine. Meine Eltern positionieren sich genau wie ich: gegen Putin. Meine Mutter hat versucht, Nachrichten an viele russische Stars zu schreiben: "Schämt ihr euch nicht, euch nicht zu Wort zu melden gegen das, was gerade vor sich geht?" Dieses Schweigen hat mich auch in der Musikszene sehr gestört, zum Beispiel bei Waleri Gergijew. Ich sage schon im Scherz zu meinen Freunden: Ich werde nicht mehr mit Gergijew auftreten können. Ich finde es schade, wie feige Leute sind, die eigentlich eine laute Stimme haben könnten. Der bekannte Fernsehmoderator Iwan Urgant hat sich vom Krieg distanziert, woraufhin seine Late-Night-Show im Staatsfernsehen abgesetzt wurde.
Petrichev: Aber die Verstöße gegen Menschenrechte und Pressefreiheit sind so offensichtlich – ich frage mich, wie Russland denken kann, dass das niemand bemerkt. Ich habe manchmal das Gefühl, Russland versucht, alle um sich herum für dumm zu verkaufen. In den Medien wird gesagt, "wir helfen der Ukraine". Sowas finde ich einfach nur krank. Und leider glauben das auch viele Leute.
Petrichev: Als meine Familie nach Deutschland gekommen ist, hat sie sich bewusst entschieden, nicht in die Gebiete zu ziehen, in denen die meisten Russen wohnen. Dann hätten sie auch gleich dort bleiben können. Diesen Gruppierungen, die in ihrer Pro-Putin-Blase leben, würde ich am liebsten sagen: Dann geht doch nach Russland, wenn Putin so toll ist. Aber nein, man lebt hier, genießt alle Vorteile und ist dennoch der Meinung, der Westen sei schlecht und nur Putin gut. Das verstehe ich nicht.
Petrichev: Man kann ein inneres Zeichen setzen und mit dem weitermachen, was man liebt. Kein Putin darf einen dazu bringen, nicht mehr in die Zukunft zu investieren und seinen Traum weiterzuverfolgen. Aber man muss auch ehrlich sein: Es wird von Tag zu Tag schwerer, sich zu konzentrieren. Man hat alle möglichen Szenarien im Kopf. Und man schaut eben immer wieder aufs Handy, um auf dem Laufenden zu bleiben. Eine Nachricht wie die, dass Putin die Atomstreitkräfte in Alarmbereitschaft versetzt, kann einem dann schon den Tag vermasseln.