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Würzburg
Richter Thomas Schuster nach Freispruch am Landgericht Würzburg: "Das Verfahren hat mich in meinen Träumen belastet"
Die Urteilsverkündung zu den tödlichen Messerstichen in Würzburg war emotional und schonungslos. Die Freunde des Getöteten hätten einen "erheblichen" Beitrag an seinem Tod.
Auch für ihn ein belastendes Verfahren: Richter Thomas Schuster am Landgericht Würzburg vor der Urteilsverkündung im Prozess um die tödlichen Messerstiche vor Stift Haug.
Foto: Thomas Obermeier | Auch für ihn ein belastendes Verfahren: Richter Thomas Schuster am Landgericht Würzburg vor der Urteilsverkündung im Prozess um die tödlichen Messerstiche vor Stift Haug.
Aaron Niemeyer
 |  aktualisiert: 29.07.2024 02:36 Uhr

Seite an Seite sitzen Freunde des Getöteten und die Familie des Angeklagten am Donnerstag im  Würzburger Landgericht. Die Stimmung ist angespannt, an der Tür stehen Sicherheitsleute. Mit bedrückter Miene betritt die Kammer den vollbesetzten Gerichtssaal. "Das Verfahren kennt nur Verlierer", sagt der Vorsitzende Richter Thomas Schuster. Dann spricht er den 23-jährigen Angeklagten, der im September 2023 vor dem Club "Studio" mit Messerstichen einen 28-Jährigen getötet hat, wegen nicht auszuschließender Notwehr von allen Anklagepunkten frei.

Noch bevor Schuster zur Begründung ansetzen kann, rücken im Publikum lautstark Stühle. Eine Person verlässt unter Tränen den Saal. "Lass mich raus, ich muss kotzen", brüllt ein Mann in Richtung Richterbank. Er stürmt in Richtung Ausgang, die Sicherheitsleute gehen in Position. "Wenn Sie sich übergeben müssen, tun Sie das", antwortet der sonst so streng auftretende Vorsitzende milde. Dann spricht er davon, wie sehr der Prozess auch ihm zu schaffen macht.

Seit 20 Jahren sei er bei der Justiz, sagt Schuster. "Das ist eines der ganz wenigen Verfahren, das mich in meinen Träumen belastet hat." Er sei nachts mit dem Gedanken daran schlafen gegangen und morgens damit aufgewacht. Es seien unterschiedliche "Geschichten", die man über den Angeklagten und seine Tat erzählen könne, sagt der Richter. 

Landgericht Würzburg: Die Geschichten kann man über Vorfall erzählen

Da ist die Geschichte eines hochaggressiven Typen, der mit dem Messer nach Würzburg gekommen sei, um Menschen zu verletzen. Auf diese Geschichte habe sich der Freundeskreis um den Getöteten, zu dem auch ehemalige Mitarbeiter des "Studios" zählen, schnell geeinigt. "Auch Sie werden vielleicht einfach bei Ihrer Wahrheit bleiben", wendet sich der Vorsitzende an den Vater des Getöteten, der nicht an Notwehr glaubt. "Der große Haken daran: Die Geschichte ist einfach nicht wahr."

Die Kammer halte eine andere Geschichte für wahrscheinlicher, erklärt Schuster. Nämlich die eines alkoholisierten und penetranten 23-Jährigen, der aus "Dummheit" ein Messer mit sich geführt habe und von einem "Studio"-Türsteher geschlagen wurde, weil er dessen "aggressive" Freundin angesprochen hatte.

Dass er bereits vor der Tat mit dem Messer gedroht habe, wie von einem Zeugen ausgesagt, stimme nicht. Auf die Schläge des Türstehers habe der Angeklagte nicht aggressiv reagiert. Erst als er am Kreisverkehr vor Stift Haug vom Umfeld des Türstehers erneut attackiert wurde, habe der 23-Jährige zugestochen: "Er zog das Messer zur eigenen Verteidigung", sagt Schuster.

Richter zu Zeugen: "Erheblicher Kausalbeitrag zum Tod des Freundes" 

Auf die Sekunde genau benennt der Vorsitzende relevante Ereignisse. Er ordnet verschiedenenen Zeugen belegbare Schläge zu und erklärt, warum manche Personen Dinge gesehen haben müssen, an die sie sich bei ihrer Aussage nicht mehr erinnern konnten. "Sie müssen damit leben, einen erheblichen Kausalbeitrag zum Tod des eigenen Freundes beigetragen zu haben", sagt der Richter.

Lange Schlange und Taschenkontrolle vor dem Gerichtssaal: Sicherheitsleute begleiteten am Donnerstag die Urteilsverkündung des Landgerichts Würzburg aufmerksam. 
Foto: Thomas Obermeier | Lange Schlange und Taschenkontrolle vor dem Gerichtssaal: Sicherheitsleute begleiteten am Donnerstag die Urteilsverkündung des Landgerichts Würzburg aufmerksam. 

Von einem bleibenden "weißen Fleck" spricht Schuster dennoch. Wie sich der Getötete vor den Stichen verhalten habe, lasse sich nicht aufklären. "Dieses Urteil beschädigt sein Andenken nicht." Der Vater des 28-Jährigen schüttelt immer wieder hilflos den Kopf. "Wir haben nur noch den Glauben an die Justiz", hatte er sich zuvor flehend an die Kammer gewandt.

Die Urteilsverkündung verfolgt er gefasst, völlig zurückhalten kann er seine Tränen nicht.

Kritisch wendet sich der Vorsitzende Richter schließlich an Oberstaatsanwalt Thorsten Seebach: "Die Staatsanwaltschaft hat sich mit widersprüchlichen Indizien nicht auseinandergesetzt", sagt Schuster. Dies liege nicht an der Polizei. Sie habe mit ihren umfassenden Ermittlungen schlicht nicht alle Widersprüche ausräumen können. 

Verteidiger treten nach Urteil im Foyer des Landgerichts vor die Kameras

Es stehe nicht fest, dass die Tatnacht so abgelaufen sei, wie vom Gericht angenommen, räumt Schuster schließlich ein. Aber es sei wahrscheinlich - und zu Gunsten des Angeklagten nicht auszuschließen. "Wir entscheiden nach Recht und Gesetz, nicht nach Moral", sagt der Vorsitzende am Ende. "Das wird vielen nicht gefallen und es ist trotzdem richtig. Im Zweifel für den Angeklagten."

Die Verteidiger Norman Jacob (v.re.), Peter Möckesch und Güney Behrwind sprechen nach dem Freispruch am Landgericht von einem 'großen Sieg für den Rechtsstaat'.
Foto: Thomas Obermeier | Die Verteidiger Norman Jacob (v.re.), Peter Möckesch und Güney Behrwind sprechen nach dem Freispruch am Landgericht von einem "großen Sieg für den Rechtsstaat".

Das Urteil ist gesprochen, der Gerichtsaal leert sich. Freundinnen und Freunde nehmen den Vater des Getöteten in den Arm. Umringt von Unterstützern verlässt er das Gerichtsgebäude. Ob er Rechtsmittel gegen das Urteil einlegen wird, lässt sein Rechtsanwalt offen.

Die drei Verteidiger Peter Möckesch, Norman Jacob junior und Güney Behrwind treten vor die Kameras. "Ein Mensch ist gestorben, das lässt uns Verteidiger nicht kalt", sagt Jacob junior. Möckesch spricht von "enormen Mut" der Kammer und sagt: "Das Urteil ist ein großer Sieg für den Rechtsstaat."

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Die Staatsanwaltschaft hat Revision angekündigt.

 
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  • Matthias Kemmer
    Die Justiz hat in vorbildlicher Weise ihre Aufgabe erfüllt, dafür meinen vollsten Respekt.
    Unser aller Aufgabe ist es, dieses Urteil zu respektieren, auch wenn es einem nicht passt.
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  • Barbara Fersch
    alkoholisiert waren wohl an diesem Abend der Tat nicht nur der Täter, aber diesen Leuten als Zeugen Glauben zu schenken ist doch wohl "ermessenssache" ?? Ich finde es sehr suspekt, was es hier an Zeugenaussagen gegeben hat !!!
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  • Christa Klug
    Mein tiefes Mitgefühl den Eltern. Die Trauer endet nie. Meine Tochter wurde 2017 getötet, mit 23 Jahren, weil die Fahrerin des Pkw`s , mit dem sie unterwegs waren mit stark überhöhter Geschwindigkeit in eine Kleinstadt fuhr. Meine Tochter hatte viele Verletzungen, von denen einzelne tödlich waren. Fahrerin und Beifahrer blieben unverletzt. Die Fahrerin war zum Unfallzeitpunkt 18 Jahre und bekam 60 Sozialstunden. Unser Leben ist seitdem zerstört. Mein Mann verstarb sechs Wochen später.
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  • Stefan Wolz
    Dann nimmt man wohl lieber ein Messer mit, wenn man Abends /Nachts in Würzburg unterwegs ist, damit man sich in Notwehr verteidigen kann.
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  • Fabian König
    Sie werden überrascht sein, wie viele Menschen das tatsächlich tun. Biodeutsche aus gutem Hause. Selbst kennengelernt.
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  • Manfred Englert
    Ich finde Ihren Ausdruck "Biodeutsch" unangebracht.
    Weshalb sollte sich jemand, der aus egal welchen Gründen sich im öffentlichen Verkehrsraum ängstigt, kein Messer, welches nicht verboten ist, mitsichführen? Und sei es nur unter der Vorstellung, "ich könnte mich im Falle eines Falles ja verteidigen".
    Wie gesagt, kein verbotenes Messer
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  • Stefan Wolz
    Ja muss mal schauen welche Messer erlaubt sind. Ist Tränengas auch erlaubt, kennen Sie sich da aus?
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  • Fabian König
    Ich habe den Begriff "Biodeutscher" deshalb gebraucht, weil in den Kommentarspalten bereits seit langer Zeit (nicht erst seit Alice Weidels rassistischer Tirade über "Messermänner, Kopftuchmädchen und sonstiger Taugenichts") die Meinung vertreten wird, dass nur Südländer bzw. Flüchtlinge aus dem arabischen/nordafrikanischen Raum mit Messern durch die Gegend rennen würden. Das ist dezidiert nicht der Fall, sondern es gibt eben auch Deutsche ohne Migrationshintergrund, die Messer mit sich führen.
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  • Stefan Wolz
    Nein überrascht mich wirklich nicht mehr. Aber es muss wohl so sein in der heutigen Zeit in der man immer wieder gefrat wird:"Alter hast Du Problem? "
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  • Mirko Gasparovic
    Dies ist ein Fall an dem man sehen kann wie schwer es für Richter ist. Sie müssen sich mit Darstellung und Gegendarstellung befassen und sich ein Bild machen, welches möglichst der Wahrheit entspricht um daraus ein sachliches Urteil zu bilden, ganz frei von Emotionalen drängen und ganz ohne Vorurteile.
    Doch zugleich müssen Richter auch mit den Resultaten solcher Urteile leben und in unserer leider sehr aggressiven Welt wohl leider auch mit Hass, welcher nun auch auf den Richter gerichtet wird.
    Laut einem Nebensatz im Radio gab es wohl auch Kommentare, welche dem nun freigesprochenen gegenüber in Richtung Lynchjustiz gingen.
    Wie tief sind die Menschen eigentlich gesunken? Wer nach Lynchjustiz ruft ist doch letztlich als das, was diese Menschen von dem angeklagten denken.
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  • Manfred Englert
    Wie wohl Richter Schuster mit dem Urteilsspruch umgehen wird?
    Er hat aufgrund der vorliegenden Fakten einzig so entscheiden können.
    Ich kann nur hoffen, daß Herr Schuster Beistand erhält für diese schwere Entscheidung.
    Alles Gute für die Zukunft
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  • Jürgen Gittel
    Der Richter hat in diesem Fall nicht alleine entschieden. Er war nur der Vorsitzende der Großen Strafkammer, die neben ihm noch mit zwei Berufsrichtern und zwei Schöffen besetzt ist. Diese fünf beraten über das Urteil. Wenn man den Prozess hier in der Zeitung verfolgt hat, gab es schon viele Ungereimtheiten bei den Zeugenaussagen und dass hier einige eigene Ermittlungen angestellt haben bzw. versucht haben, im Vorfeld Zeugen zu beeinflussen, war auch kontraproduktiv. Am Ende konnte das Urteil nur auf Freispruch lauten, da nicht alle Zweifel beseitigt werden konnten. Das Gericht hat das wirklich super gemacht!
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  • Fabian König
    Eben. Es kann gut sein, dass das Gericht zu einem anderen Urteil gekommen wäre, wenn sich die Zeugen vorher nicht abgesprochen hätten. Das scheint ein wichtiger Grund gewesen zu sein, weshalb man ihre Aussagen als unglaubwürdig hat einstufen müssen.
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  • Georg Ries
    Mein tiefer Respekt vor dem Gericht!!!
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