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Würzburg
Retrospektive für den berühmten Unbekannten: So reich ist das Vermächtnis des Würzburger Malers Dieter Stein
Zwei Jahre nach seinem Tod wird Dieter Stein in seiner Heimatstadt Würzburg mit einer großen Ausstellung geehrt. Im Kulturspeicher wirken seine Experimente so frisch wie eh und je.
Mit umfassender Werkschau gewürdigt: Das Würzburger Museum im Kulturspeicher zeigt die experimentierfreudige Kunst des 2022 verstorbenen Malers Dieter Stein. 
Foto: Patty Varasano | Mit umfassender Werkschau gewürdigt: Das Würzburger Museum im Kulturspeicher zeigt die experimentierfreudige Kunst des 2022 verstorbenen Malers Dieter Stein. 
Mathias Wiedemann
 |  aktualisiert: 20.10.2024 09:50 Uhr

Knapp zwei Jahre nach seinem Tod bekommt der Würzburger Maler Dieter Stein die erste große Einzelausstellung im Museum im Kulturspeicher. Einerseits traurig, dass er sie selbst nicht mehr erlebt, andererseits fürs Publikum erfreulich: Die auf zwei Räume verteilte Retrospektive "Dieter Stein - die Augen auswaschen" zeigt bis 2. Februar 2025 einen Künstler, den man getrost zu den interessantesten kreativen Köpfen der deutschen Nachkriegszeit zählen darf.

1924 geboren, war Dieter Stein der erste Künstler in Würzburg, der sich nach dem Krieg von der gegenständlichen Malerei abwandte. Seine Arbeiten sind in bedeutenden Sammlungen wie der des Münchner Lenbachhauses oder des Frankfurter Städels vertreten. Dass der Maler heute fast nur in Würzburg bekannt, ja berühmt ist, lag zu guten Teilen an ihm selbst: Anstatt sich mit einer typischen Handschrift selbst zur Marke zu machen, wie etliche Kollegen das taten, ging er beharrlich bis stur seinen eigenen Weg und zog weiter, sobald sich Ansätze überlebt hatten.

Kuratorin Henrike Holsing hat die Ausstellung im Museum im Kulturspeicher in enger Abstimmung mit Peter Stein, dem Sohn von Dieter Stein, gestaltet. 
Foto: Patty Varasano | Kuratorin Henrike Holsing hat die Ausstellung im Museum im Kulturspeicher in enger Abstimmung mit Peter Stein, dem Sohn von Dieter Stein, gestaltet. 

Dieter Stein war an Ausstellungen in Paris, Hamburg und Tokio beteiligt. Auf der documenta II 1959 in Kassel waren seine Bilder in einer Begleitschau für junge Talente zu sehen. Und als der Würzburger 1960 Stipendiat der Villa Massimo in Rom wurde, schien es, als stünde ihm die Tür in die große Kunstwelt offen. Ausgerechnet in dieser Zeit aber geriet er in eine Schaffenskrise.

Peter Stein hat den Nachlass des Vaters gesichtet und katalogisiert

"Der Kunstmarkt, der Betrieb, das hat ihn alles nicht interessiert", sagt Sohn Peter Stein, Jahrgang 1952 und selbst Maler. Er hat den Nachlass des Vaters gesichtet und katalogisiert und zusammen mit Kuratorin Henrike Holsing die Ausstellung im Würzburger Kulturspeicher konzipiert.

'Der Kunstmarkt, der Betrieb, das hat ihn alles nicht interessiert', sagt Sohn Peter Stein, selbst Maler.
Foto: Patty Varasano | "Der Kunstmarkt, der Betrieb, das hat ihn alles nicht interessiert", sagt Sohn Peter Stein, selbst Maler.

Er schildert den Vater, der nie eine Kunstakademie besucht hatte, als akribischen Arbeiter und Tüftler, der unermüdlich Wirkung und Zusammenspiel von Farben und Formen erforschte und sich erst zufriedengab, wenn ein Bild restlos stimmig war: "Er war gefürchtet", erzählt Peter Stein. Plötzlich habe der Vater gesagt: "Da muss ich noch was machen!" Und sei verschwunden mit dem Bild - "das man dann nie wieder gesehen hat, das hat den Käufern natürlich nicht gefallen".

Vor allem die Arbeiten bis 1960 und das Spätwerk strahlen Steins spielerische Freude aus. Der Maler vermied eindeutig lesbare Bildbotschaften. Sobald das Auge glaubt, einen Raum, eine naturnahe Form ausgemacht zu haben, sind da Störfaktoren, etwa schwarze Linienbündel, die wie nachträglich eingefallene Fremdkörper wirken, aber genau abgezirkelt sind.

Die Arbeiten der ersten großen Schaffensphase vereinen vermeintlich Unvereinbares zu harmonisch-unharmonischen Bildwelten, in denen Assoziationen von Gravitation, räumlicher Tiefe oder Gegenständlichkeit wetteifern, alsbald widerlegt werden und dabei auch bei dunklen Farben einnehmende Heiterkeit ausstrahlen.

Hoffnung, dass ein seltenes Wandgemälde erhalten werden kann

Nach 1960 werden die flächigen Formen kleinteiliger, zerfallen zugunsten psychedelischer, seriell eingesetzter Farbverläufe, die immer wieder den Widerstreit von Licht und Dunkel nahelegen. Hier experimentiert Stein auch mit jäher, explosiver Bewegtheit.

Dieter Stein auf einer undatierten Aufnahme beim Malen im Atelier. 
Foto: Joachim Koch | Dieter Stein auf einer undatierten Aufnahme beim Malen im Atelier. 

Im Spätwerk dann, den nach Beethoven benannten "Bagatellen", findet Dieter Stein, der in der Ausstellung auch als brillanter (Porträt-)Zeichner gewürdigt wird, zurück zu flächigen Formen, die der Fantasie unendlich viele Brücken anbieten.

Dass diese Ausstellung Dieter Stein "wieder ans Licht bringt", wie Sohn Peter hofft, scheint gesichert. Bleibt zu hoffen, dass diese neue Wertschätzung auch der letzten erhaltenen Arbeit Steins im öffentlichen Raum zuteilwird: Das Wandgemälde "Fröhliche Bewegung" von 1957 in der Grundschule Höchberg ist derzeit von der geplanten Sanierung und Erweiterung des Gebäudes bedroht. Seine Zerstörung wäre ein großer Verlust - nicht nur für Steins Heimatstadt Würzburg.

Von der geplanten Erweiterung des Gebäudes bedroht: Dieter Steins Wandgemälde 'Fröhliche Bewegung' aus dem Jahr 1957 in der Grundschule Höchberg.
Foto: Johannes Kiefer | Von der geplanten Erweiterung des Gebäudes bedroht: Dieter Steins Wandgemälde "Fröhliche Bewegung" aus dem Jahr 1957 in der Grundschule Höchberg.

Dieter Stein – "die Augen auswaschen": Retrospektive im Museum im Kulturspeicher Würzburg, Oskar-Laredo-Platz 1, bis 2. Februar 2025. Öffnungszeiten: Di.  13-18 Uhr, Mi. 11-19 Uhr, Do. 11-19 Uhr, Fr./Sa./So. 11-18 Uhr.

 
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