Immer mehr verurteilte Straftäter werden statt im Gefängnis in der Psychiatrie untergebracht. Dies gilt deutschlandweit, bayernweit – und es gilt auch für Unterfranken. Die Folge: Die forensischen Abteilungen der unterfränkischen Bezirkskrankenhäuser Werneck und Lohr, in denen suchtkranke oder psychisch kranke Straftäter therapiert werden, sind massiv überfüllt. Aktuell werden in der Wernecker Forensik, die für 44 Patienten ausgelegt ist, 88 verurteilte Straftäter therapiert. In der Lohrer Forensik, ausgelegt für 136 Patienten, sind derzeit 160 Patienten untergebracht. Die Belegungszahlen beider Forensiken sind nachweislich über die vergangenen Jahre massiv angestiegen.
Bei Therapieerfolg können suchtkranke Straftäter früher entlassen werden
Warum aber ist das so? Warum sitzen immer mehr Verurteilte ihre Strafe nicht in einer Justizvollzugsanstalt ab, sondern werden stattdessen in der Psychiatrie untergebracht? Oder in einer Entziehungsanstalt, die eine realistische Chance auf frühere Entlassung bietet? Tatsächlich können bei Therapieerfolg psychisch kranke oder suchtkranke Straftäter nach der Hälfte ihrer Haftzeit auf Bewährung entlassen werden, während im Gefängnis einsitzende Täter für eine Entlassung auf Bewährung meistens zwei Drittel ihrer Haftstrafe abbüßen müssen. Dies bestätigt Michael Schaller, Sprecher des Landgerichts Würzburg.
Auf der Suche nach Gründen für die stark steigende Zahl von Straftätern in der Psychiatrie liegt die Annahme nahe, dass deren Zahl wächst, weil die Zahl der Straftäter insgesamt zunimmt. „Falsch“, sagt Landgerichtssprecher Schaller. Die Kriminalitätsstatistik weise allgemein fallende Zahlen auf. Landen Straftäter immer häufiger in der Psychiatrie, ist das laut Schaller die Folge davon, dass bei immer mehr Tätern die Voraussetzungen für eine Unterbringung in der Forensik vorliegen.
Diese Voraussetzungen sind in den Paragraphen 63 und 64 des Strafgesetzbuchs beschrieben. Paragraph 63 greift bei „Schuldunfähigkeit wegen einer krankhaften seelischen Störung“, wegen „Schwachsinns“ oder wegen einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung“; Paragraph 64 wird wirksam bei Personen mit „dem Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen“. Der Leitende Oberarzt der Wernecker Forensik, Roland Schaumann, sagt: "Gerade bei den nach Paragraph 64 Untergebrachten explodieren die Zahlen!“
Ordnen Richter zu oft Unterbringung nach Paragraph 64 an?
Kann es sein, dass unterfränkische Richter sich zu oft auf den Paragraphen 64 beziehen? „Absolut nicht. Richter haben in dieser Hinsicht überhaupt keinen Ermessensspielraum“, betont Landgerichtssprecher Schaller. Lägen die entsprechenden Voraussetzungen vor, müsse der sogenannte Maßregelvollzug verhängt werden, der definiert wird als „fachgerechte Behandlung und sichere Unterbringung von Straftätern, die als nicht oder als vermindert schuldfähig gelten. Was die Schuldfähigkeit von Straftätern angeht, müssen die Richter auf die Einschätzung von Gutachtern vertrauen. Dass sich die Sichtweise dieser Gutachter in den letzten Jahren geändert habe, könne theoretisch nicht ausgeschlossen werden, so Schaller.
Eine erweiterte Auslegung erfahre derzeit möglicherweise auch die Formulierung „andere berauschende Mittel“ im Paragraphen 64 des Strafgesetzbuchs, so der Landgerichtssprecher. Ob Cannabis, Crystal Meth oder Heroin – bei Konsumenten von Drogen liege seit jeher die Unterbringung nach Paragraph 64 nahe. Allerdings sei in den vergangenen Jahren die Zahl der möglichen „berauschenden Mittel“ gewachsen: „Crystal Meth etwa gab es vor zwanzig Jahren noch nicht.“ Vor einiger Zeit sei am Würzburger Landgericht sogar ein Fall verhandelt worden, bei dem die Verteidigung wegen der Anabolika-Abhängigkeit des Angeklagten Unterbringung nach Paragraph 64 gefordert habe, erinnert Schaller. Das Gericht habe dies allerdings anders gesehen und den Verurteilten zu einer normalen Haftstrafe verurteilt. Der Fall sei zum Bundesgerichtshof (BGH) unterwegs.
Welche Rolle spielt der Bundesgerichtshof bei der Zunahme von Forensik-Patienten?
Nach Schallers Einschätzung, die deutschlandweit von zahlreichen anderen Juristen geteilt wird, trägt möglicherweise der Bundesgerichtshof indirekt zur Zunahme der Zahl von Straftätern in der Psychiatrie bei. Wie? Der BGH lasse in den letzten Jahren die Tendenz erkennen, Urteile von Erstgerichten aufzuheben, die die Entscheidung, ob Gefängnis oder Maßregelvollzug anstehe, „eher restriktiv“ handhaben.
So hätten Gerichte auch in Unterfranken früher öfter gezögert, bei psychisch- oder suchtkranken Straftätern ohne Deutschkenntnisse eine Unterbringung in der Forensik anzuordnen – in dem Wissen, dass der Maßregelvollzug kommunikationslastige Therapien voraussetze. „Wenn der Täter sich nur in einer Sprache verständigen kann, die kein regionaler Psychologe beherrscht und man weiß, dass vor Ort auch nicht dauernd ein Übersetzer greifbar ist, erschien Psychotherapie sinnlos.“ Diese Auffassung habe der BGH kritisiert. Die Frage, ob eine Therapie praktikabel sei, dürfe nach BGH-Auffassung nicht ausschlaggebend sein für die Frage der Unterbringung.
Die Folgen der massiv steigenden Patientenzahlen jedenfalls treffen die Bezirke, die in Bayern für den Maßregelvollzug zuständig sind. „Natürlich sind steigende Belegungszahlen immer auch mit einem höheren Personalbedarf oder baulichen Erweiterungen verbunden“, teilt der Bezirk Unterfranken für die Forensik Lohr mit. Dass die Forensik Werneck von aktuell 44 Planbetten auf 92 Planbettern erweitert wird, ist beschlossene Sache. Laut dem Leitenden Oberarzt Roland Schaumann ist der Baubeginn fürs Frühjahr 2020 geplant; in rund drei Jahren soll der dreigeschossige Klinikbau fertig sein.
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Wie managt bis dahin die Wernecker Klinikleitung die massive Überbelegung, wie versorgen die Verantwortlichen 88 Patienten bei 44 Planbetten? „Zweibettzimmer werden als Dreibettzimmer genutzt“, sagt Schaumann. Rund 15 Patienten stünden kurz vor der Entlassung, lebten zum Teil schon als „Probewohner“ außerhalb der Einrichtung und übernachteten dort nur noch einmal pro Woche. An der Problematik der Überbelegung ändert dies nichts.
Der Durchschnittsbürger und Zeitungsleser ist ja immer noch der Meinung, dass es sich hier durchweg um "schwere Straftaten" handelt. Nach meiner Erfahrung werden jedoch § 63 / 64 StGB bereits bei Bagatelldelikten wie Hausfriedensbruch, Sachbeschädigung etc. "angewandt". Der Fall um den lästigen "Querulanten" Mollath scheint allgemein in Vergessenheit geraten zu sein, Fehleinweisungen scheinen kein Thema mehr.
Dabei sind es doch nach wie vor die immer gleichen Gutachter, die hier agieren - und ebenfalls nach meiner Erfahrung in der Region - aus Gefälligkeit, Standesdünkelei oder eigenen "Sicherheitsinteressen" (lieber Empfehlung "wegsperren", dann bin ich auf der sicheren Seite) - zumindest den § 63 StGB überstrapazieren, um es freundlich auszudrücken!