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WERNECK
Forensik in Werneck: Klinik hinter Gittern
Hohe Zäune, Schleuse am Eingang und Überwachungstechnik: Die Forensik ist streng gesichert.
Foto: Anand Anders | Hohe Zäune, Schleuse am Eingang und Überwachungstechnik: Die Forensik ist streng gesichert.
Nike Bodenbach
 |  aktualisiert: 27.04.2023 03:09 Uhr

Etwas versteckt am Rand des Schlossparks steht hinter hohen Zäunen ein Gebäude, über das es viele Vorurteile gibt: die Forensik der Psychiatrie Werneck. Hier sind psychisch kranke und drogenabhängige Straftäter untergebracht, die ein Gericht als nicht oder nur teilweise schuldfähig eingestuft hat. Ist das also ein Käfig voller Vergewaltiger? Ein Verrückten-Gefängnis? Ein Therapiezentrum für Serienmörder? Mit vielen geht beim Gedanken an die Einrichtung die Phantasie durch. Ein Grund, etwas genauer hinzuschauen.

Im schwer gesicherten Haus gibt es zwei Stationen. Eine für die „63er“ und eine für die „64er“, wie die Mitarbeiter hier sagen. Die Zahlen kommen von den Paragrafen des Strafgesetzbuchs (StGB), die die Unterbringung regeln. Ein 63er ist nach Paragraf 63 StGB hier untergebracht, weil er psychisch krank ist, deshalb eine Tat begangen hat und die Gefahr besteht, dass er es wieder tut. Paragraf 64 meint das gleiche, nur für Drogen- oder Alkoholsüchtige.

 

Die Delikte waren oft schwer

Was hier passiert, nennt man „Maßregelvollzug“. Die Therapie steht im Mittelpunkt. Deshalb heißen die Männer hier auch nicht Insassen, sondern Patienten, und die Zimmer nicht Zellen. Auch wenn der Zaun hoch ist und die Delikte oft schwer. Körperverletzung, Vergewaltigung, Totschlag, Mord – all das haben die Männer, die hier leben, getan. Zu den häufigsten Diagnosen psychisch kranker Patienten im Maßregelvollzug zählen laut mehrerer Statistiken Schizophrenie und Persönlichkeitsstörungen, häufig gepaart mit Sucht oder einer Minderbegabung.

Auf der 64er-Station im ersten Stock, baugleich mit der 63er darüber, haben die Mitarbeiter vom Stationsstützpunkt hinter Glas einen guten Blick in die langen Gänge der beiden Stationsflügel. Neben den Computermonitoren sind Sichtschutzwände angebracht, damit die Patienten nicht lesen können, was dort steht. Auf den Gängen reihen sich die Zimmer der Männer aneinander, an der Decke hängen Videokameras. Wohin sie gerichtet sind, darf nicht in der Zeitung stehen.

Die Sicherheitsbeauftragte begleitet den Besuch

Zum Rundgang mit Oberarzt Dr. Roland Schaumann ist extra auch die Sicherheitsbeauftragte des Hauses, Gabriele Saal-Rumpel, mitgekommen. Im Flügel links sind die, die noch recht neu sind. „Und die wir noch nicht gut kennen“, sagt Schaumann.

Im anderen Flügel wohnen jene, die schon intensiv in der Therapie stecken. Gesprächstherapie, Arbeitstherapie, medikamentöse Therapie, Ergotherapie, soziales Kompetenztraining – das Programm ist umfassend und soll die Störungen behandeln und die Patienten fit machen für den Weg zurück in die Gesellschaft.

Einzelzimmer gibt es kaum, die meisten schlafen zu zweit oder gar zu dritt in einem Raum, es gibt Stockbetten. Einer hat die Wand am Kopfende seines Bettes gepflastert mit Fotos, auf denen er gemeinsam mit seiner Freundin in die Kamera lacht. Eine Küche gibt es, einen Aufenthaltsraum mit TV und einen Besuchsraum mit mehreren Tischen. Die Sofas im Gemeinschaftsraum sind nicht plüschig, sondern hart gepolstert, damit man in den Ritzen nicht so leicht etwas verstecken kann. Manche dürfen ihre Angehörigen nur durch eine Glasscheibe sehen.

Im Kriseninterventionszimmer können Patienten fixiert werden

Auf jeder Station gibt es auch das Kriseninterventionszimmer, in das einer kommt, wenn er komplett ausrastet und nicht mehr zu kontrollieren ist. Weiß gefliest, Edelstahltoilette, Spiegel aus poliertem Metall, Überwachungskamera. Psychiatrie, wie sie in Spielfilmen dargestellt wird. Hier gibt es nichts, das man aus der Wand reißen, und nichts, woran man sich aufhängen kann.

Als die Reporterin zum Termin kommt, ist der Raum auf der 64er-Station gerade belegt. Schaumann betont, „dass wir ihn aber eigentlich nur sehr selten nutzen müssen“. Am Bett gibt es Riemen, mit denen ein Patient fixiert werden kann. „Das ist die Ultima Ratio“, sagt Schaumann, es brauche auch eine richterliche Genehmigung. In den letzten eineinhalb Jahren habe man dreimal einen Menschen fixiert – einmal unter Zwang, zweimal freiwillig.

Unzerstörbares Waschbecken und Spiegel aus Edelstahl im Kriseninterventionszimmer.
| Unzerstörbares Waschbecken und Spiegel aus Edelstahl im Kriseninterventionszimmer.

In der Stationszentrale hängt an der Wand ein Regal mit kleinen Fächern und den Namen der Patienten. Vor allem Rasierzeug ist darin, die Klingen dürfen die Männer nicht im Zimmer aufbewahren. Das gleiche gilt für den Stabmixer und die scharfen Messer, die ausgeliehen werden, wenn die Patienten auf Station abends zusammen kochen.

In der bayerischen Forensik sind fast nur Männer untergebracht

In der Wernecker Forensik sind etwa 60 Männer untergebracht, in ganz Bayern waren es 2014 laut Statistischem Bundesamt 2541 Personen, darunter übrigens nur 234 Frauen. Insgesamt gibt es in Bayern 14 Einrichtungen des Maßregelvollzugs, immer angegliedert an ein psychiatrisches Krankenhaus.

Der Tag ist in der Forensik genau strukturiert. Einer, der seit Ende 2013 hier untergebracht ist, berichtet im Gespräch von seinem Tagesablauf. Er möchte nicht sagen, warum er hier ist und was die Ärzte bei ihm diagnostiziert haben. Nur soviel: Er ist ein „63er“.

Immer um 7.15 Uhr gibt es eine Morgenrunde, in der man zum Beispiel sagen könnte, dass man dringend den Therapeuten sprechen möchte. Danach gibt es ein schnelles Frühstück, das Essen kommt aus der großen Krankenhausküche des Bezirkskrankenhauses. Um 7.50 Uhr geht es für den Mann dann zur Arbeitstherapie.

Computer ohne Internetanschluss

Im Erdgeschoss gibt es unter anderem eine Schreinerei, eine Schlosserei und einen Computerraum ohne Internetanschluss. Hier können jene Patienten lernen und arbeiten, die noch nicht „gelockert“ sind, also den gesicherten Trakt nicht verlassen dürfen. Der Mann, der sich zum Gespräch bereit erklärt hat, ist gelockert und darf außerhalb des streng gesicherten Stationsgebäudes in der nahen Therapiegärtnerei arbeiten.

Wenn er um 11 Uhr die Gärtnerei verlässt, um zum Mittagessen zu gehen, hat er genau zehn Minuten Zeit, dann muss er sich wieder auf Station gemeldet haben. Andernfalls würde eine Fahndungsmeldung rausgehen. Nach dem Essen gibt es noch einmal drei Stunden Therapie, entweder wieder in Form von Arbeit, oder auch bei Gesprächen oder Sport.

Ob und wie ein Patient das umzäunte Gelände verlassen darf, wird durch seine „Lockerungsstufe“ geregelt. In Bayern sind diese Stufen mit den Buchstaben A bis D bezeichnet. Wer keine Lockerungsstufe hat, darf nur innerhalb des Zauns an die frische Luft. Wie in einem „normalen“ Gefängnis hat auch hier jeder das Recht auf eine Stunde Hofgang am Tag.

Ausgang gibt es erst nur in Begleitung

Oberarzt Schaumann erklärt die Stufen so: A steht am Anfang, hier gibt es Ausgang nur in Begleitung eines Mitarbeiters, zum Beispiel dem Therapeuten. Bei B gilt: Ausgang auch alleine, aber nur kurz und nur innerhalb der Mauern des Wernecker Schlossparks. Stufe C bedeutet, dass der Patient stundenweise alleine in den Ort gehen darf. Und bei D, dann ist es meist nicht mehr weit bis zur Entlassung, sind schließlich mehrere Tage Urlaub mit Übernachtung draußen erlaubt.

Weil eine Lockerung riskant sein kann, wird darüber ausführlich beraten. Nicht der behandelnde Therapeut alleine entscheidet, sondern ein Gremium, in dem zum Beispiel auch Ärzte, Pfleger, Psychologen und Sozialarbeiter beteiligt sind. Mindestens fünf Personen müssen sich einig sein, dass ein Patient für eine Lockerung bereit ist. „So ist die Wahrscheinlichkeit, dass man sich täuscht, einfach geringer“, sagt Schaumann. Der Vorschlag geht dann an den Maßregelvollzugsleiter, bei bestimmten Delikten auch an Staatsanwaltschaft und die Polizei.

Einer der Patienten in seinem Zimmer.
| Einer der Patienten in seinem Zimmer.

Länger in der Forensik als man ins Gefängnis gemusst hätte

Es gibt keinen Zeitplan, alleine der Therapiefortschritt entscheidet. Überhaupt ist die Unterbringung psychisch kranker Straftäter zeitlich nicht begrenzt. Oft bleiben diese Patienten weit länger in der Forensik, als sie als „Gesunde“ im Gefängnis gesessen hätten. Laut Oberarzt Schaumann sind es bei den 63ern bundesweit im Schnitt gut sechs Jahre. Allerdings, das betont er auch mit Blick auf den Fall Gustl Mollath, würde die Verhältnismäßigkeit der Unterbringung regelmäßig überprüft.

Bei länger Untergebrachten komme mindestens einmal im Jahr, bei Drogenabhängigen einmal im Halbjahr, ein externer Gutachter, und zwar jedes Mal ein anderer. Die Entscheidung, ob ein psychisch kranker Straftäter wieder auf freien Fuß kommt, hat große Tragweite. Auf der einen Seite steht die Gesellschaft und ihr berechtigtes Bedürfnis nach Sicherheit, auf der anderen Seite die persönlichen Rechte des Patienten. Wieviel Restrisiko muss und darf man eingehen?

Der „63er“ aus der Gärtnerei hat nach drei Jahren in Werneck die Lockerungsstufe C, er darf also auch alleine hinaus. Das nutze er fast jeden Tag, sagt er. „Es ist die einzige Zeit, wo ich mal alleine bin.“ Er wohnt in einem Drei-Mann-Zimmer. Im Park hört er Musik oder benutzt das Handy, das außerhalb des Zaunes nicht nur erlaubt, sondern zwecks Erreichbarkeit sogar erwünscht ist. Manchmal geht er in die Kneipe, Alkohol ist den Patienten allerdings verboten. Wenn er wieder zurück ist, ist er meist eher in sich gekehrt, liest, schaut TV oder löst Kreuzworträtsel.

Ein Job und ein geregeltes Leben: Wichtig für eine gute „Legalprognose“

Im Moment ist er auf der Suche nach einem Job. Er wünscht sich das ganz persönlich, aber es ist auch wichtig für die Entlassung. Entlassen wird nur, wer eine positive Legalprognose hat, also mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht wieder straffällig wird. Generell sind die Rückfallquoten in der Forensik deutlich niedriger als im normalen Strafvollzug. Neben der psychischen Stabilität, dem Bewusstsein für die eigene Krankheit und erlernten Strategien für schwierige Situationen sind Arbeit, Wohnung und das soziale Umfeld wichtige Faktoren.

Der Mann hat sich schon bei ein paar Firmen beworben, aber immer Absagen erhalten. Das könne er sogar verstehen. Ob er denn gleich sage, dass er aus der Forensik kommt? „Ja, ich spiele mit offenen Karten. Ich sehe keinen Sinn darin, mit einer Lüge zu starten.“

 
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