„Schade!“, sagt Sven*. „Wenn man den Film sieht, geht man lieber in den Knast.“ Der Dokumentarfilm „Therapie für Gangster“ hat am Dienstag immerhin 30 Interessenten in den Kulturkeller der Weinstube Mehling gelockt. Vielleicht war es auch die anschließende Diskussion. Denn zu dieser hatte Dominikus Bönsch, der Ärztliche Direktor des Lohrer des Bezirkskrankenhauses neben zwei Mitarbeitern auch zwei Patienten mitgebracht: Eben jenen Sven, 25 Jahre alt und seit fünf Monaten im Maßregelvollzug, und den drei Jahre älteren Klaus*, der schon seit 15 Monaten im Haus 64 therapiert wird. „Wir haben viel mehr Möglichkeiten, können Stufen durchlaufen, arbeiten, können raus aufs Gelände ...“
Filmemacher Sobo Swobodnik hatte in seinem Film neun suchtkranke Kriminelle zu Wort kommen lassen – ohne Kommentierung, eindringlich, nüchtern. Es fehlte die Menschlichkeit, kritisierte eine Zuschauerin, die 40 Jahre lang in der Forensik tätig gewesen war. Dass kein einziger Pfleger zu Wort kam, habe sie „sehr irritiert“, meinte sie aus persönlicher Betroffenheit.
Viele Therapieangebote
„Optionen hast Du viele“, bestätigte auch Klaus. Er zum Beispiel habe seinen Realschulabschluss gemacht. Ihm würden die therapeutischen Angebote helfen, sich darüber klar zu werden: „Was will ich überhaupt?“
Die Forensik ist tatsächlich ein Gefängnis mit zwei Zielen: Sicherung und Therapie. Etwa ein Drittel der 160 Patienten in Lohr sind in Haus 63 untergebracht, überwiegend Sexualstraftäter und Kranke, etwa Schizophrene, die sich selbst oder andere gefährden könnten. Im Film wie in der Diskussion ging es um die zweite Gruppe: Kriminelle mit Drogenerfahrung. Kriminelle wie Sven und Klaus, untergebracht in Haus 64. Es war in jeder Hinsicht eine Premiere.
Wer erwischt wird, wird zurückgestuft
Stichwort Drogen: Die meisten jener aus Haus 64 waren bis zur Gerichtsverhandlung in Untersuchungshaft, kommen also aus dem Knast, haben den Entzug schon hinter sich – so sie denn ihre Finger von Drogen gelassen haben. Dort seien praktisch jeden Tag Drogen verfügbar, sagt Klaus, und Direktor Bönsch räumt ein, dass auch er sich nicht der Illusion hingebe, dass die Forensik „eine drogenfreie Zone“ ist. Doch wenn Verdacht auf Drogenkonsum besteht, wird dieser sofort anhand einer Urinprobe kontrolliert. War der Patient tatsächlich rückfällig, wird dies sanktioniert, wird er zurückgestuft, werden Lockerungen gestrichen.
Klaus hat das schon hinter sich. „Irgendwo ist das gar nicht so verkehrt“, meint er, wenn man nicht wie unter einer Käseglocke lebt. Der Versuchung zu widerstehen, sei ja auch eine Herausforderung für das Leben in Freiheit.
Freigabe von Haschisch?
Wie sie zur Freigabe von Haschisch stehen, fragte eine Frau. „Eine gute Idee“, antwortete Sven wie aus der Pistole geschossen. Cannabis sei „viel besser als Alk“. Während sich angetrunkene Autofahrer meist überschätzen, würden Kiffer eher vorsichtig fahren. Und: „Tote Kiffer? – Haben wir nicht“, stellte er in den Raum. Klaus gestand: „Wenn's jetzt passieren würde, wär's echt mies ...“
Bönsch teilte diese Einschätzung nicht vorbehaltlos. „Cannabis ist schon etwas Fatales“, sagte er. Er sei gegen eine Freigabe. Doch „Alkohol ist das noch größere Problem“, gestand er ein. „Das gehört viel stärker sanktioniert.“
Schon als Kinder kriminell
Sven war elf Jahre alt, als er erstmals mit dem Gesetz in Konflikt kam, Klaus – gleichwohl aus einer wohlhabenden Familie, wie er selbst sagte – gar erst zehn. Beide haben sich verleiten lassen, auf andere gehört. „Vieles ist schicksalhaft“, sagt Bönsch über die Forensiker generell. „Eine richtig glückliche Kindheit hatten die wenigsten.“
„Die Gesellschaft guckt auf Defizite“, sagte der Psychologe Simon Höfling und machte den Therapieansatz deutlich: „Wir versuchen, zu lernen, die eigenen Ressourcen zu nutzen. Da bringen die Patienten auch viel mit.“ Bei Klaus ist es der Wille, sein Leben in Ordnung zu bringen. Er hat sich für Forensik statt Knast entschieden. Sein Credo: „Therapie geht nur, wenn man dazu bereit ist.“
*Namen von der Redaktion geändert