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Veitshöchheim
Prozess um Würzburger Messerattacke: Wie der bayerische Innenminister Herrmann die Ermittler überraschte
Um am Montag in der Verhandlung um die Bluttat vom Würzburger Barbarossaplatz auszusagen, reiste ein Polizist extra vom G7-Gipfel in Elmau an. Was der Zeuge sagte.
Im Prozess um die Messerattacke von Würzburg sehen der Vorsitzende Richter Thomas Schuster (rechts) und Verteidiger Hanjo Schrepfer viel Klärungsbedarf. Hier die beiden im Gespräch vor der Verhandlung an diesem Montag in den Mainfrankensälen in Veitshöchheim.
Foto: Thomas Obermeier | Im Prozess um die Messerattacke von Würzburg sehen der Vorsitzende Richter Thomas Schuster (rechts) und Verteidiger Hanjo Schrepfer viel Klärungsbedarf.
Manfred Schweidler
 |  aktualisiert: 08.02.2024 10:55 Uhr

Am elften Verhandlungstag um die Würzburger Messerattacke werden Ermüdungserscheinungen in diesem Prozess unübersehbar - nicht nur bei dem Beschuldigten. Abdirahman J. selbst sagt während der zwei Stunden auf Drängen des Vorsitzenden Richters ein einziges Mal "ja", um eine Aussage seiner Verteidiger zu bestätigen. Ansonsten starrt der 32-Jährige schweigend ins Leere, als sei er in einer ganz anderen Welt. Die Dolmetscherin übersetzt für ihn jedes Wort dieser Verhandlung ins Somalische. Doch es wirkt, als rede sie gegen eine Wand. 

Countdown im Prozess läuft: Am 22. Juli stehen die Gutachten an

Nur noch sieben Anwälte der 14 Opfer, vier Zuschauer und zwei Journalisten verfolgen an diesem Montag die Aussagen der Zeugen. Sitzplätze gibt es in den Mainfrankensälen in Veitshöchheim für viermal so viele Zuhörerinnen und Zuhörer. Ab und zu ringt ein Nebenkläger pflichtschuldig um eine Nachfrage, wirklich Erhellendes aber hat bisher keine der Antworten gebracht. Man quält sich dem 22. Juli entgegen, an dem zwei Gutachter vor Gericht erwartet werden. Aller Wahrscheinlichkeit nach werden sie sagen, dass der Beschuldigte zur Tatzeit, 25. Juni 2021, schuldunfähig war. Dann kann plädiert und entschieden werden.  

Immerhin wird eine folgenschwere Voreiligkeit jetzt zum Thema: Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) war offenbar falsch informiert, als er kurz nach der Festnahme des Messerangreifers den Ermittlungen den Weg wies - in die falsche Richtung: Vieles spreche für eine "islamistisch motivierte Tat", sagte Hermann in Interviews. Man habe bei der Durchsuchung der Unterkunft des Angreifers "einiges gefunden, was auf islamistisches Propagandamaterial hinweisen könnte".

Bayerns Innenminister sorgte mit seiner Aussagen bei Ermittlern für Staunen

Nichts hat dies in den bislang zehn Prozesstagen auch nur andeutungsweise bewiesen. Die Aussage des Ministers habe unter den Fachleuten für Staunen gesorgt, sagte am Montag ein Würzburger Ermittler im Zeugenstand. Er war eigens vom G7-Gipfel aus Elmau angereist. Man habe kein Propagandamaterial gefunden, sagte er auf Nachfrage des Vorsitzenden Richters. Es hätten sich "nicht einmal ansatzweise" Bezüge zur in Somalia tätigen Terrormiliz Al Schabaab herstellen lassen, bestätigte der Polizist auf Nachfrage des Verteidigers Hanjo Schrepfer.   

Langwieriger Prozess des Landgerichts Würzburg: Der Vorsitzende Richter Thomas Schuster (rechts) am elften Verhandlungstag in den Mainfrankensälen in Veitshöchheim. 
Foto: Thomas Obermeier | Langwieriger Prozess des Landgerichts Würzburg: Der Vorsitzende Richter Thomas Schuster (rechts) am elften Verhandlungstag in den Mainfrankensälen in Veitshöchheim. 

Immerhin hatte Herrmann vor einem Jahr auch gesagt, man müsse die Auswertung zweier Handys des Messerangreifers abwarten: zwei Nachrichten, geschrieben eineinhalb Stunden vor Beginn der Bluttat. Sie wurden jetzt im Prozess verlesen: "Ich hoffe, ich komme ins Paradies", hatte Abdirahman J. geschrieben - nicht an islamistische Drahtzieher, sondern an seine Mutter und an seine Frau. Wenig später hatte er im Kaufhaus Woolworth ein großes Messer genommen und wie wild auf ahnungslose Kunden und Passanten eingestochen. Drei Frauen ermordete er, neun Menschen verletzte er schwer.

Vorfälle in Chemnitz: Im Interview aus dem Jahr 2018 war der Täter noch Opfer

Bei ihren Ermittlungen stießen die Polizisten auf ein vier Jahre altes Interview mit dem Geflüchteten, das nun auch dem Gericht vorliegt.  Am 1. September 2018 war es in Chemnitz, wo der Somalier damals wohnte, zu Übergriffen gegen Ausländer gekommen. Die Reporterin Johanna Rüdiger hatte danach Abdirahman J. und einen Mitbewohner zum Interview getroffen. 

Im Video berichteten sie, wie sie von mutmaßlich rechtsextremen Schlägern gejagt worden seien. "Er bat mich um Hilfe", schilderte die Reporterin nach der Würzburger Bluttat in einem Beitrag der Deutschen Welle die Begegnung mit dem Somalier. "Auf mich wirkte er nicht psychisch gestört, sondern sehr normal."

"Wir haben große Angst, in Chemnitz zu leben", klagt J. in dem Video. Auf die Frage der Journalistin, ob er das Gefühl habe, dass Rechte in der Stadt Hetzjagd auf Flüchtlinge machen würden, antwortete er: "Ja, immer, immer, immer, immer, immer."

Kein Anfangsverdacht für einen terroristischen Hintergrund

Der Ermittler erinnerte am Montag daran, dass der Beschuldigte 2016 einen Landsmann mit einem Messer bedroht habe. Das damalige Opfer berichtete vor einem Jahr der Polizei, er habe ein Telefonat von Abdirahman J. mitgehört, in dem dieser behauptet habe, in Somalia "Polizisten und Journalisten umgebracht" zu haben. Der heute 32-Jährige bestritt das.

Ermittlungen gegen einen mutmaßlichen Terroristen hätte nach dem Messerangriff Generalbundesanwalt Peter Frank in Karlsruhe übernommen. Doch die Beweislage war so so dünn, dass Deutschlands höchster Strafverfolger nicht einmal einen Anfangsverdacht für einen terroristischen Hintergrund sah. 

Der Prozess pausiert nun zweieinhalb Wochen und wird am 14. Juli fortgesetzt.

 
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    Genau der IM trägt die meiste Schuld. .... Über was kann man sich eigentlich alles aufregen? Dieser Prozess ist doch nur noch eine Farce. Man könnte mit den wenigen Leuten ins Gericht wechseln um schon mal Kosten zu sparen. Wenigstens das. Der Täter führt alle schon an der Nase rum. Obwohl alles klar ist. Man sollte mal im Koran lesen, was es bedeutet wenn man barfüßig in den heiligen Krieg zieht..... Bei einem islamistischen Anschlag gäbe es wenigstens eine Entschädigung von Staat so wie beim Weihnachtsmarkt in Berlin
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  • A. M.
    Die Aussage passt halt super ins Weltbild eines IM Herrmann. Tatsachen sind für die CSU doch eher nebensächlich.
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  • W. P.
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    Ich frag mich ernsthaft was dieser Aufwand noch soll. Die Tat ist doch klar...Urteil lebenslänglich ...
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  • H. S.
    ist dieser ein Artikel ein Versuch das Gräuel irgendwie zu verharmlosen? Was braucht es Zeugenaussagen, alte Geschichten? Dieser "Mensch" muss bestraft werden, darf bei Wasser und Brot nie mehr das Tageslicht sehen!
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  • H. S.
    Naja, der Herr Herrmann ist an sich schon eine Blamage für Bayern!
    Nichtsdestotrotz sollte man sich fragen, wer von Uns ein Messer in die Hand nimmt und damit gezielt andere Menschen absticht! Das würden die wenigsten tun! Doch vor denen, die sowas tatsächlich tun, muss die Gesellschaft geschützt werden!

    Da ist mir die Motivation des Täters vollkommen egal: So ein Typ ist eine Gefahr für seine Mitmenschen! Jeder Mensch, der normal sozialisiert wurde, hätte da eine Hemmung vor so einer Tat. Der Täter hatte die jedoch nicht.
    So jemanden will ich nie mehr in Freiheit sehen müssen. Denn der hat ein Denkmuster im Kopf, das nicht zu einer Gemeinschaft passt. Er löst seine Probleme scheinbar auf eine Art und Weise, die mit unserem Werteverständnis absolut nicht vereinbar ist!
    Ich bin keineswegs ausländerfeindlich, aber ich bin der Meinung, dass diese Menschen sich an unsere Kultur anpassen sollten, wenn Sie unsere Hilfe erhalten wollen, und nicht Wir Uns an sie...
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  • M. E.
    In Ihrer Argumentation gebe ich Ihnen vollkommen Recht. Jedoch Ihr Eingangssatz ist, gelinde gesagt, eine Unverschämtheit, weswegen ich Ihren guten und fundierten Kommentar nicht gutieren kann. Leider
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    hast wohl zuviel Silvaner grtrunken??
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  • E. B.
    An Silvaner: Warum immer gleich "juristische Konsequenzen"? Kann man sich in Deutschland, auch als Politiker, in so einer Situation nicht mal falsch äußern? Das wird dann korrigiert - und gut ist es!!! Egal, von welcher Partei man ist.
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  • R. S.
    Immer diese fadenscheinigen Entschuldigungen.....ich kann es nicht mehr hören!!!!! Es wurden unschuldige Menschen umgebracht....Familien zerstört und Trauer und Angst nach Würzburg gebracht. Wer fragt eigentlich wie es den Menschen geht ????!!!
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    Herrmanns Voreiligkeit grenzte meines Erachtens an Verleumdung. Im jeden Fall war sie ein unangemessener Eingriff in eine laufende Ermittlung. Sollte so etwas nicht juristische Konsequenzen haben?
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  • M. E.
    Da sehen Sie mal, wie gut die Polizei in BY arbeitet. Und selbst Vermutungen eines IM verhindern eine objektive Ermittlungsarbeit nicht. Nein, das war kein"unangemessener Eingriff in eine laufende Ermittlung" oder sonst was, weshalb sollte es dann überhaupt "juristische Konsequenzen" geben? Und das selbst so einem hervorragenden Minister in solch einer fürchterlich schrecklichen Lage mal aus Betroffenheit was über die Lippen rutschen kann, gestehe ich ihm zu. Können Sie das in Ihrer selbstgerechten Art nicht verstehen? Ach so, ich vergaß, Herrmann ist ja ein CSUler! Der kann seinen Job, anders als ein jetziger Kanzler, der aus lauter Verzweiflung und Angst vor wiederholtem Versagen den G7 Gipfel nach BY holte und nicht nach HH!
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  • A. M.
    Herrmann ein hervorragender Minister? Das ist definitiv keine mehrheitsfähige Einzelmeinung.
    Die Leistung ist einfach nur unterirdisch, wie üblich bei der CSU...
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