Der Schauplatz ist gewöhnungsbedürftig - aber er ist im Prozess um die Messerattacke von Würzburg erneut eine Konzession angesichts der vielen Beteiligten und den Corona-Bedingungen. Am dritten Verhandlungstag beherbergt die Weiße Mühle Estenfeld (Lkr. Würzburg) das Verfahren, das bundesweit verfolgt wird. Die fünf Richter nehmen in der Turnhalle des Anwesens Platz. Das hat in mehrfacher Hinsicht Symbolkraft.
Mehrzweckhalle in Estenfeld: Ein Schauplatz von mehrfacher Symbolkraft
Von der Stirnseite des Spielfeldes schauen die Richter direkt auf den Strafraum hinab, wo am Rand der 32-jährige Beschuldigte sitzt. Hinter dem Gericht sind an der kleinen Bühne der Mehrzweckhalle die roten Vorhänge weit aufgezogen, was man als Botschaft verstehen kann. Und die Anzeigentafel mitten in der Halle ist leer, als wolle man klarmachen: Diese Begegnung ist noch nicht entschieden.
Dabei ist der Ausgang des Verfahrens im Kern vorgezeichnet: Es handelt sich um ein Sicherungsverfahren, in dem es nicht um eine Haftstrafe, sondern um die dauerhafte Unterbringung in einer geschlossenen Psychiatrie geht – um die Öffentlichkeit vor weiteren Taten des Beschuldigten zu schützen. So hat es die Staatsanwaltschaft beantragt, die den Somalier wegen paranoider Schizophrenie als schuldunfähig einstuft. Ob man für dieses Verfahren tatsächlich 27 Verhandlungstage über viele Monate braucht, ist Gegenstand lebhafter Diskussionen - auch in den Kommentarspalten der Medien.
Nur noch vier Pressevertreter verfolgen den dritten Verhandlungstag
Am 25. Juni 2021 soll Abdirahman J. in der Würzburger Innenstadt drei Frauen mit einem Messer getötet haben - und versucht haben, zehn weitere Menschen zu töten. Er soll die Opfer in einem Kaufhaus und auf dem Barbarossaplatz davor angegriffen haben, ehe ihn mutige Passanten an weiteren Taten hinderten und die Polizei ihn festnahm.
Medien in New York, Bangkok und Madrid hatten damals über die Bluttat berichtet. Nun ist der für die Verhandlung eingerichtete Pressebereich fast zu groß. Von den rund 30 Pressevertretern beim Auftakt des Prozesses am vergangenen Freitag sind am dritten Tag noch vier lokale Berichterstatter geblieben. Daneben folgen an diesem Mittwoch noch zehn Zuschauer, darunter einige Opfer, der Beweisaufnahme, die weitere fünf Monate dauern soll.
Wie das elfjährige Mädchen den Tod seiner Mutter schildert
Es wäre ausreichend Platz für jene, die sich in großer Zahl lautstark in den Medien über den Fall und den Prozess zu Wort melden, ohne dabei gewesen zu sein. Dabei sind auch an diesem dritten Verhandlungstag in der Beweisaufnahme Eindrücke zu gewinnen, die bei der Einschätzung der Vorgänge wichtig sind.
Der Beschuldigte schleppt sich zu Beginn des Prozesstages mühsam gestützt von zwei Polizisten in die Mehrzweckhalle. Wenig später wird per Video die Zeugenaussage des elfjährigen Mädchens vorgespielt: Es hatte miterleben müssen, wie der Täter im Kaufhaus - wortlos und in wilder Wut - seine Mutter niederstach. Eine andere Kundin hatte das flüchtende Kind schützend in ihre Arme genommen und wurde selbst zum Opfer. Schließlich stach Abdirahman J. – das hatte er zu Prozessbeginn über seine Verteidiger Hanjo Schrepfer und Tilman Michler zugegeben - auch auf das Mädchen ein.
Opfer: "Er konnte nicht genau zielen, weil ich weggerannt bin"
"Ich bin gerannt und gerannt und gerannt", sagt die Elfjährige bei ihrer Aussage. Die Videoaufzeichnung geht den Prozessbeobachtern ans Herz, so ruhig schildert sie bei der Vernehmung über das Erlebte, so gefasst spricht sie über den Tod ihrer Mutter. "Er konnte nicht genau zielen, weil ich weggerannt bin", erklärt sie dem Ermittlungsrichter.
Es passt zum rücksichtsvollen Umgang des Vorsitzenden Richters Thomas Schuster mit den Opfern, dass er dem kleinen Mädchen nun den Auftritt vor Gericht (und damit eine möglicherweise neue traumatische Erfahrung) erspart. Der Vater des Mädchens ist einer der 14 Nebenkläger in dem Prozess. Und niemand hat Einwände dagegen, dass statt der Befragung in aller Öffentlichkeit das Video der 45-minütigen Vernehmung zu sehen ist, das keine Fragen offenlässt.
Gerade mal fünf Minuten dauert vor Ort während der Verhandlung die Vernehmung der 29-jährigen Verkäuferin, die der Täter im Kaufhaus nach Messern gefragt hatte. Und die dann mit ansehen musste, wie der Mann auf Kundinnen losging: "Ich hatte Angst, ich dachte, ich muss weg von hier", schildert die 29-Jährige die dramatischen Minuten. Sie sei vor dem drohend geschwungenen Messer geflüchtet - und erst zuhause wieder richtig zur Besinnung gekommen.
Die Beschreibung des Rechtsmediziners: von nüchterner, aber schrecklicher Präzision
Umso detaillierter und krasser sind die Schilderungen des Rechtsmedizinern Dr. Thomas Tatschner. Was er vor Gericht berichtet, ist von nüchterner, aber für Laien schrecklich klingender Präzision: Siebenmal hat der Täter laut Tatschner heimtückisch von hinten auf eine Kundin eingestochen, fünfmal auf eine zweite Kundin, fünfmal auf eine dritte. Alle drei Frauen überlebten den Messerangriff von Abdirahman J. am 25. Juni im Kaufhaus Woolworth nicht.
Die brutalen Stiche verletzten das Rückenmark, durchtrennten eine Aorta, öffneten den Brustkorb, so dass die Opfer nicht mehr atmen konnten, sagt der Rechtsmediziner. Sie ersticken und verbluteten. "Es gibt keine Abwehrverletzungen", macht der Gutachter vor Gericht deutlich. Keine der drei Frauen im Kaufhaus "hatte eine realistische Überlebenschance", sagt er.
Mit Tatschners Beschreibungen endet nach knapp drei Stunden der Prozess für diesen Tag. Er wird am Freitag, 6. Mai, fortgesetzt werden - dann wieder in den Mainfrankensälen in Veitshöchheim
Eine andere Kundin hatte das flüchtende Kind schützend in ihre Arme genommen und wurde selbst zum Opfer.
Kundin? Wenn von mir die rede ist, dann bin ich Angestellte bei Woolworth, und keine Kundin.
Und ja ich habe überlebt trotz Intensivstation .
PS. der account ist von meinem Schwiegervater.
Ich danke Gott oder, wenn es Ihnen lieber ist, dem Schicksal, dass Sie überlebt haben.
Danke für die Berichterstattung.
Aber über die nüchternen Informationen hinaus ist Ihnen hierbei ein bisschen eigene Meinung und (aus meiner Sicht) ein wenig Überheblichkeit gegenüber anderer Meinungen unterlaufen.
Die Symbolik der Utensilien aus der Turnhalle ist zwar unterhaltsam, wirkt aber hier in Anbetracht der Schwere des Falles auch nicht recht angemessen.
Gott tut der mir leid! Wenn ich Zeit habe werde ich ihn bedauern, leider habe ich keine. Ich muss arbeiten und die Steuern verdienen mit denen (auch) diese Farce bezahlt wird.
Gehe ich recht in der Annahme, dass man alles tut um den TÄTER als bedauernswertes OPFER zu präsentieren? Ich will gar nicht wissen, wie sich die wahren Opfer und ihre Angehörigen dabei fühlen.
Manfred Schweidler, das ist sch… Journalismus.
Ich war fast dort, jemand lief mir entgegen und rief, weg weg, da läuft einer rum und bringt Leute um. Meine 86 Jahre alte Mutter sass 30 Min. zuvor dort, um sich auszuruhen. Ich war wochenlang unter Schock. Weinte bei jeder Kleinigkeit. Konnte meinen Alltag kaum bewältigen. Die Familie litt. Ich kann dieses weichgespülte Mitleid für den Täter nicht nachvollziehen. Never! Und Allahu Akbar rief er doch, und nun zensiert mal schön. Ihr werdet uns nicht los, die wir das unglaublich ungerecht finden.
Wie bitte ist dieser Absatz zu verstehen? Ist das ein Vorwurf? Der Täter genießt schon jetzt viel zu viel Aufmerksamkeit.... Ich gehe arbeiten um Steuern zu zahlen, damit solche Spektakel finanziert werden können. Ich würde es vorziehen, dass meine Steuern den Opfern als finanzielle Entschädigung zukommen würden. Stattdessen müssen hier alle die schlimmen Erlebnisse nochmal durchleben. Zum Glück sind nur noch Medienvertreter anwesend.
die Aussage des Mädchens war doch nicht vor Gericht - das war das Video einer Vernehmung aus dem letzten Jahr, wenn ich mich nicht täusche.
Im Artikle steht explizit, dass die Aussauge des Kindes vor einem Ermittlungsrichter gemacht wurde und im Prozess als Videoaufnahme abgespielt wurde. Im Weitern ist zu lesen, dass das zum behutsamen Umgang des vorsitzenden Richters mit den traumatisierten Opfern und Zeugen widerspiegelt. Das Kind nimmt aktiv nicht am Prozess teil, was sehr gut ist.
Ich verstehe echt nicht, was daran nicht zu verstehen ist, wenn man es gelesen hätte.
Und wer braucht bei einem ‚gesunden Volksempfinden‘ schon ein Verständnis von ‚Recht und Gesetz‘…