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Würzburg
Politikpsychologe: "Schreihälse werden noch aggressiver"
Bürgermeister als Zielscheibe: Wieso nehmen Hass und Gewalt gegen Kommunalpolitiker zu? Was bedeutet die Angst der Gewählten für die Demokratie? Ein Politikpsychologe warnt.
Prof. Thomas Kliche ist Bildungsforscher und Politikpsychologe an der Hochschule Magdeburg-Stendal.
Foto: Julia Izotova | Prof. Thomas Kliche ist Bildungsforscher und Politikpsychologe an der Hochschule Magdeburg-Stendal.
Andreas Jungbauer
 |  aktualisiert: 07.04.2020 11:06 Uhr

Die aktuelle Umfrage dieser Redaktion unter den mainfränkischen Bürgermeistern zeigt es: Persönliche Anfeindungen haben in den vergangenen Jahren zugenommen. Das finden zwei Drittel der Teilnehmer. Jeder Dritte hat schon einmal Hasszuschriften bekommen oder wurde in den sozialen Medien bedroht oder beschimpft. Selbst tätliche Angriffe blieben nicht aus.

Was aber passiert in der Politik, wenn Gewählte verbal oder körperlich attackiert werden? Oder im schlimmsten Fall ermordet wie der Kasseler Regierungspräsident Wolfgang Lübcke? Woher kommt die Aggression und was sind die Folgen? Ein Gespräch mit Professor Thomas Kliche, Politikpsychologe an der Hochschule Magdeburg-Stendal.

Herr Kliche, die Umfrage dieser Zeitung unter Bürgermeistern der Region bestätigt die zunehmende Aggression gegenüber Kommunalpolitikern. Überrascht Sie das Ergebnis?

Thomas Kliche:  Nein. Es ist gut, dass diese Dinge mal deutlich auf den Tisch kommen. Gemeinden sind in den letzten Jahrzehnten immer wichtiger für den Alltag geworden, etwa für Bauen, Verkehr, Kitas, Umwelt, Abfallbeseitigung, Energiesparen und Strom, lokale Bildungslandschaften, Gesundheitsförderung durch Städtebau. Und Kommunalpolitiker sind gut greifbar, wohnen um die Ecke, haben keinen Personenschutz. Früher hat einem einer mal ein paar Eier an die Türe geworfen, aber heute geht es auch gegen die Familien.

Sind Kommunalpolitiker empfindlicher als früher oder ist die Hemmschwelle gesunken?

Kliche: Eine tiefere Ursache ist, dass unsere Kultur Durchsetzungsfähigkeit anhimmelt, während Anstand und Güte meist still und unauffällig sind. Dadurch ermutigen wir menschliche Luschen, die etwa bei Unfällen Helfer wegschubsen, um zu fotografieren, selbst wenn sie noch einen Unfall bauen. Diese Art Rohling will auch in der Politik alles nach der eigenen Nase, aber fix, ohne Abstriche, ohne Aufwand. Wenn das nicht klappt, werden Politiker zum Sündenbock – "die da oben" taugen alle   nichts. Und wenn im Internet viele so reden, fällt es instabilen Egoisten leichter, zu pöbeln oder gar tätlich zu werden und sich sogar noch im Recht zu wähnen.

Aber woher rührt eine solche Verrohung?

Kliche: Das hat zwei Quellen. Erstens eine wachsende, tiefe Verunsicherung über unsere Lebensweise der Zukunft, weil immer mehr Menschen begreifen, dass man Natur, Freiheit und soziale Verantwortung künftig ganz anders schützen muss, und dafür müssen wir unser Leben ändern.   Zweitens den Populismus: Der erklärt es ja für Politik, Wut und Hass auszuleben, Andersdenkende anzugreifen, Minderheiten zu entwerten und Menschenrechte nicht so wichtig zu finden. Der Populismus erklärt Rohheit zum politischen Normalfall.

Verunsicherung ist das eine. Aber warum werden Aggression und Drohung daraus?

Kliche: Offen passiert das nur bei kleinen Gruppen. Aber unterschwellig gibt es eine starke Strömung von Wut und Enttäuschung darüber, dass die ruhigen Jahre vorbei sind. Viele Menschen haben seit 2005 die Illusion geliebt, es gebe immer nur etwas mehr oder weniger Wachstum, wir könnten einfach weitermachen. Diese falsche Gemütlichkeit ist mit Klimakatastrophe, Globalisierung und Digitalisierungsdruck zerbrochen. Und daran muss doch jemand schuld sein.

Anfeindungen und Hass im Netz hat schon jeder dritte Bürgermeister in Mainfranken erlebt. Überträgt sich das in den realen Alltag?

Kliche: Ja, indirekt, durch das erlebte Gefühlsklima. Das Netz liefert Rechtfertigungen für Hassverbrechen. Aber das Klima hat auch Langzeitfolgen. Studien zeigen zum Beispiel erhöhte Gesundheitsbelastung durch erlebten Rassismus, auch bei Menschen, die gar nicht direkt angegriffen werden, einfach durch die Angst, die die bedrohliche Stimmung macht. 

Was bedeutet es aus psychologischer Sicht, wenn gewählte Politiker Angst haben?

Kliche: Die demokratische Macht, die Macht des Volkes, schwindet. Macht entsteht ja, wie Hannah Arendt zeigt, weil Menschen etwas gemeinsam unternehmen. Sollten die Politiker zaghafter werden, verlieren sie an Kraft, die Gemeinschaftsanliegen und Aufträge des Wahlvolks voranzubringen. Die Schreihälse lernen durch diesen Erfolg und werden noch aggressiver.

Heißt das, Politiker ändern durch Bedrohungen ihr Verhalten?

Kliche: Manche tun das inzwischen, etwa in Ostdeutschland. Sie werfen hin oder treten nicht mehr an: Macht Euren Mist doch allein!

Wie passt das zusammen mit der Sehnsucht von Wählern nach Politikern mit "Ecken und Kanten"? 

Kliche: Menschen wünschen sich authentische Politik: erstens tiefe und klare Überzeugungen, die nicht als Fähnchen im Wind hängen, zweitens ein Leben, das für die Überzeugungen einsteht, drittens Klarheit ohne Hintergedanken im psychologischen Vertrag mit den Wählerinnen und Wählern. Gleichzeitig erwarten wir aber, dass Politiker mit allen Wässerchen gewaschen sind und unsere Anliegen gegen die gerissenen Interessengruppen verteidigen können. Ehrlich, aber gerissen –ziemlich viel verlangt.

Wer riskiert denn noch ein klares Wort, wenn er mindestens einen Shitstorm im Netz befürchten muss? 

Kliche:  Ein Shitstorm ist ja selbst eine anonyme Zusammenrottung, also das Gegenteil von Ehrlichkeit. Die Schreihälse sind halt schwer zu übertönen, ohne selbst noch lauter und gröber zu werden. In ein paar Jahren könnte ein Shitstorm deshalb zur Auszeichnung für Politiker werden: Gerade wer Überzeugungen hat, wird viele ärgern.

Kann dem inneren auch leicht der äußere Rückzug folgen, also der Rücktritt vom Ämtern?

Kliche: Das passiert schon. In Ostdeutschland sind ja ohnehin halb so viele Menschen bemessen an der Gesamtbevölkerung in Parteien und Verbänden. Da gibt es an vielen Stellen schon deutlichen Fachkräftemangel in der Politik, auf allen Ebenen, gerade in der Kommunalpolitik. Die ist ja recht anstrengend, man muss sich in die Kommunalverfassung und allerlei Bau- und Umwelt- und Verkehrsrecht einarbeiten, das kostet Zeit und Konzentration. Dafür mag man nicht auch noch Bosheit ernten.

Vor dem Hintergrund wird es immer schwerer, noch Bürgermeisterkandidaten zu finden - auch in Mainfranken.

Kliche: Am leichtesten bleiben womöglich die Bedenkenlosen stehen, die keine Angriffe fürchten, weil sie den möglichen Angreifern sympathisch sind oder keine Ahnung haben, wie anspruchsvoll die Aufgaben sind. Keine gute Entwicklung.

So wird das politische Personal noch schwächer und die Anfeindungen wachsen. Ein Teufelskreis?

Kliche: Ja. Politiker arbeiten ohnehin gegen eine Erfahrung an, die viele Menschen in psychosozialen Berufen machen, etwa bei der Polizei oder in Schulen oder in der sozialen Arbeit: Menschliche Vernunft und  Freundlichkeit sind reichlich unzuverlässige Kräfte, man muss ein Leben lang um sie kämpfen und hat sie niemals sicher hinter sich. Das kann schließlich zu einem tieftraurigen Achselzucken führen. Das wäre dann der Moment, wo ein Bürgermeister oder Gemeinderat sich   zurückzieht und damit die Hasser ermutigt.

Was bedeutet das für unsere Demokratie?

Kliche: Kurzfristig werden die Trittbrettfahrer und Zyniker bestätigt: Da sieht man mal wieder, es lohnt nicht, sich für andere einzusetzen. Langfristig wird entscheidend sein, wie wir die gleichzeitige neue Politisierung seit 2015 in gute Formen gießen können. Klar wird: Über das Schicksal einer Demokratie entscheidet auch der Anteil der faulen, feigen Mitläufer. Wenn wir die Ansätze zu neuen sozialen Bewegungen anschauen, etwa Fridays for Future, wäre meine Prognose: Wir erleben das Ende der Konsumdemokratie, der Schönwetterdemokratie – macht mal,  mein Kreuz habt Ihr, Hauptsache mehr Bequemlichkeit und Geld. Die weitblickenden Menschen werden sich anders zusammenschließen als bisher und die Richtung unserer Entwicklung ändern.

Sind Politiker und Parteien an der Verrohung im Umgang eigentlich auch mitverantwortlich?

Kliche: O ja. Sie haben grausige Fehlleistungen durchgewunken, ohne jemanden zur Verantwortung zu ziehen – Flughafen Berlin, Dieselbetrug, Mautblamage, so was. Sie haben offenkundigen Gestaltungsbedarf inkompetent ignoriert, um jetzt in hektische, ziellose Betriebsamkeit   auszubrechen – Klimaziele und Digitalisierung sind solche Baustellen des Versagens. Sie haben zugelassen, dass größere Bevölkerungsgruppen jahrzehntelang systematisch benachteiligt wurden, etwa Ärmere oder Ostdeutschland. Damit haben sie Vertrauen dauerhaft verspielt und große Verbitterung hinterlassen. Einfaches Beispiel: Je größer im internationalen Vergleich die Angst vor Arbeitslosigkeit, desto geringer das Politikvertrauen. Die Politik der letzten 20 Jahre hat gern mal vergessen, dass Demokratie auf Verantwortung und Fürsorge füreinander beruht.

Was würden Sie Mandatsträgern für den Umgang mit Bedrohungen raten?

Kliche: Tut das Richtige, weil es richtig ist, dafür hat Euch eine klare Mehrheit gewählt. Unseren Erfolg haben wir nicht immer in der Hand. Aber ob wir Rückgrat haben oder uns klein machen, das ist unsere Entscheidung. Und sagt uns klar, wenn Ihr Hilfe braucht, weil Leute sich daneben benehmen. Wir Wählerinnen und Wählern begreifen gerade, wie viel wir ändern müssen und wie man trotzdem respektvoll miteinander umgehen und die Zukunft demokratisch erarbeiten kann. Das ist nirgendwo leicht – nicht beim Abschmelzen der Parteien, nicht beim Verlust der politischen Gemütlichkeit, nicht bei den Fridays for Future. Die Geburtswehen einer neuen Epoche haben gerade erst begonnen.

Zur Person: Thomas Kliche, 62, ist Diplom-Politologe und Diplom-Psychologe, war mehrere Jahre Herausgeber der Zeitschrift für Politische Psychologie und Vorsitzender der Sektion Politische Psychologie im Berufsverband Deutscher Psycholog/-innen. Er hatte Lehraufträge für Sozialpsychologie und Politikpsychologie an mehreren Universitäten und ist heute Professor für Bildungsmanagement an der Hochschule Magdeburg-Stendal. Er forscht und veröffentlicht u.a. über Minderheiten, politische Skandale, Rechtsextremismus, berufliche Sozialisation und Korruption. Als Experte ist er regelmäßiger Gast in Fernseh- und Hörfunkstudios. 

 
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