
Es sind Antworten, die nachdenklich machen und Indizien sind für einen gesellschaftlichen Wandel, den wir alle wahrnehmen: "In einem kleinen Anteil unserer Gesellschaft wird die Hemmschwelle zu radikal vorgebrachten Äußerungen immer geringer." "Ein früher nicht denkbarer Stil wird zur Normalität." "Fehlende Umgangsformen, vielleicht auch aufgrund mangelnder Erziehung, fördern die deutlich vermehrt auftretende Respektlosigkeit." "Der Umgang in den Gremien ist teilweise besorgniserregend." "Kein Respekt mehr." "Menschen sind der Überzeugung, dass man im öffentlichen Bereich einfach mit Beleidigungen und Anfeindungen leben können müsse."
- Bürgermeister fordert Respekt: "Wir sind auch nur Menschen"
Die hohe Beteiligung zeigt, dass das Thema einen Nerv getroffen hat
Das ist nur eine kleine Auswahl an Antworten, die uns unterfränkische Bürgermeister auf die Frage gegeben haben, wie sie den Umgang in ihrem Alltag im Amt erleben. Ihnen hatten wir vor wenigen Wochen einen Fragenkatalog zugesandt. Nach dem offenbar rassistisch motivierten Mord im Juni am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke sowie dem Ergebnis einer ARD-Umfrage, der zufolge hierzulande mehr als 50 Prozent der Bürgermeister schon einmal bedroht worden sind, wollte diese Redaktion wissen: Wie stellt sich die Situation in Unterfranken dar? Ist die Region eine Insel der Glückseligkeit oder sind auch hier Bedrohungen und Angriffe an der Tagesordnung? Von 308 unterfränkischen Bürgermeistern haben 124 geantwortet – mehr als ein Drittel. Dafür sagen wir Danke. Die hohe Beteiligung und die intensive Auseinandersetzung mit den Fragen zeigen uns, dass das Thema einen Nerv getroffen hat.
Die Auswertung der Main-Post-Umfrage ist nicht repräsentativ, und doch ist sie eine Art Seismograph. Viele der Aussagen sind kleine Erschütterungen, die zusammengesetzt ein Bild für die Region abgeben: Bürgermeister sehen sich in einem hohem Maße persönlichen Anfeindungen ausgesetzt. Ein Phänomen, das in den vergangenen Jahren zugenommen habe – und das sich ändern muss. Sonst gibt es bald gar keine fähigen Kandidaten mehr.
- Rechter Hass: Auch Politiker in Unterfranken wurden bedroht (Archiv)
Aber nicht nur der Ton wird rauer: Die konstruktive Kritikkultur zerbröselt. Es wird gehasst, beleidigt, gedroht – aber, und das ist kein Einzelfall in Deutschland, auch zur Tat geschritten. Es sind deshalb Antworten, die sich jeder zu Herzen nehmen sollte. Jeder Bürger sollte sein Tun, sein Schreiben, seinen Internet-Kommentar hinterfragen. Und zwar nicht nur im Zusammenhang mit einem Bürgermeister und Verwaltungsangestellten, die übrigens auch oft genug Zielscheibe des Zorns sind, sondern in der Auseinandersetzung mit jedem Menschen.
Diese Umfrage bietet für alle die Gelegenheit, sich zu hinterfragen
Anstand und Respekt sind zwei Koordinaten unserer Kultur, Werte, die es zu verteidigen gilt. Oder muss es heißen: Die wieder gelernt werden müssen? Ein Bürgermeister hat es, verkürzt, in seiner Antwort so ausgedrückt: "Eltern mögen nach ihren Kindern schauen. Vereine mögen konträres Verhalten nicht billigen. Kirchen mögen auf Menschen zugehen. Medien mögen nicht tendenziös sein." Ja, diese Umfrage bietet für alle die Gelegenheit, sich zu hinterfragen. Auch die Bürgermeister, von denen einige im digitalen Zeitalter erst lernen müssen, mit Transparenz umzugehen. Die aber ist wichtig. Der Bürger hat ein Recht darauf, die Gründe für Entscheidungen zu erfahren. Die Zeit der Basta-Politik ist vorbei.
Kommunalpolitisches Engagement – häufig ehrenamtlich dazu – ist eine wichtige, eine tragende Säule unserer Demokratie, die es zu stabilisieren gilt. Wer Mandatsträger attackiert, beschimpft, beleidigt, bedroht, der zielt auf den Staat.