
In einer Sondersitzung beschäftigte sich der Innenausschuss des Bundestags am Mittwoch mit dem Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Wolfgang Lübcke. Geleitet wurde die Sitzung von Andrea Lindholz (48). Die Rechtsanwältin aus Goldbach vertritt den Wahlkreis Aschaffenburg seit 2013 als CSU-Abgeordnete im Bundestag, seit Januar 2018 ist sie Ausschussvorsitzende. Ein Gespräch über mögliche Konsequenzen aus dem Fall Lübcke.
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Frage: Der mutmaßliche Mörder von Wolfgang Lübcke hat die Tat gestanden. Sind Sie erleichtert?
Andrea Lindholz: Ja. Es ist gut, dass jetzt Gewissheit herrscht, wer der Täter ist.
Stefan E. sagt offenbar, er sei Einzeltäter. Nehmen Sie ihm das ab?
Lindholz: Ich nehme ihm erstmal gar nichts ab. Er hat es gesagt, aber es wird weiter in alle Richtungen ermittelt. Generalbundesanwalt Peter Frank hat uns im Ausschuss versichert, seine Kontakte und sein Umfeld werden intensiv durchleuchtet, auch mögliche Netzwerke, die dahinter stehen könnten. Auch der Frage, ob E. Bezüge zum NSU hatte, geht er bei den Ermittlungen nach und hat Akten angefordert.
Der Verdächtige war jahrelang in der rechtsextremistischen Szene unterwegs.
Lindholz: Alle haben im Ausschuss sehr offen kommuniziert. So hat Verfassungsschutzchef Thomas Haldenwang betont, dass E. kein V-Mann war, dass es auch keine Anwerbeversuche gab. Auch die Zusammenarbeit zwischen den Landes- und Bundesbehörden funktioniert. Da wird gute Arbeit geleistet. Wir sollten die Behörden jetzt erst einmal gründlich arbeiten und ermitteln lassen.
Nach Bekanntwerden der NSU-Mordserie war das Entsetzen groß. Wurden in der Folge die richtigen Schritte eingeleitet?
Lindholz: Es sind viele Empfehlungen gerade aus den Untersuchungsausschüssen umgesetzt worden. Das betrifft unter anderem die Zusammenarbeit der Behörden, die Einstellung zusätzlichen Personals, auch die Einrichtung eines Ständigen Bevollmächtigen beim Parlamentarischen Kontrollgremium, der eine bessere parlamentarische Aufsicht gewährleistet. Ob es weiteren Nachbesserungsbedarf gibt, müssen die weiteren Ermittlungen zeigen.
Der Präsident des Verfassungsschutzes hat neulich gesagt, er könne nicht sagen, wir beherrschen den Rechtsextremismus. Beunruhigend oder?
Lindholz: Hundertprozentig beherrschen wird man Extremismus in allen Formen am Ende nie. Sie können nicht in die Köpfe der Menschen hineinschauen. Die Frage ist: Stimmen unsere Strukturen, setzen wir die richtige Technik und das richtige Personal ein, um Taten wie diesen Mord zu verhindern.
Braucht es schärfere Gesetze?
Lindholz: Ich bin aktuell noch der Auffassung – ich sage bewusst noch, weil man nie weiß, was noch kommt –, dass wir kein Gesetzgebungsproblem haben. Wenn, dann haben wir Verbesserungsbedarf bei der Durchsetzung, beim Vollzug der Gesetze. Wir müssen als Staat zeigen, dass wir knallhart gegen Rechtsextremismus vorgehen. Auch gilt es, Rechtsverstöße im Netz schneller als bisher zu ahnden. Ich glaube nämlich schon, dass die Hetze dort ein Nährboden für Gewalttaten ist.
Sind die Sicherheitsbehörden auf dem rechten Auge blind?
Lindholz: Ich bin seit Januar 2018 Vorsitzende des Innenausschusses. Wir haben immer wieder zu allen Formen des Extremismus getagt, zuletzt sehr intensiv zum Rechtsextremismus. Die Zahl der rechtsextremistischen Gewalttaten ist zwar niedriger als die der linksextremistischen. Aber auch sie steigt. Wir haben das Thema auf dem Schirm, wir haben da nichts unterschätzt. Aber ja, dieser politische Mord an Wolfgang Lübcke ist eine Zäsur. Das hat Horst Seehofer heute im Ausschuss gesagt, und ich gebe ihm da Recht.
Nach dem Mord outen sich immer mehr Politiker, dass auch sie offen bedroht werden, bis hinein in ihre Familien. Erschreckend oder?
Lindholz: Ja, die Massivität, mit der man teilweise angegangen wird, der Tonfall der hier gewählt wird, die Sprache, all das hat sich extrem zum Negativen verändert. Da werden Dinge gesagt, die man noch vor einiger Zeit nicht gesagt hätte, und das nicht nur in den sozialen Netzwerken. Da sind nicht nur die Sicherheitsbehörden gefordert, das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.
Wie lassen sich Politiker, gerade auch ehrenamtliche kommunale, besser schützen?
Lindholz: Jeder kann etwas tun, indem er solche Bedrohungen umgehend anzeigt. Ich bin für Überlegungen, solche Übergriffe in einem Register zu sammeln, um so Muster zu erkennen, um ein Lagebild zu erhalten. Viele kleine Erkenntnisse könnten eine größere Erkenntnis ergeben. Aber: Wer betroffen ist, muss sich melden, auch wenn der Reflex manchmal ist, solche Dinge einfach zur Seite zu schieben, zu ignorieren. Ich glaube, das dürfen wir nicht tun. Wir müssen auch gegen diese Vorstufen von Gewalt vorgehen.
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Welche Rolle spielt die AfD bei der Verrohrung?
Lindholz: Wenn man Reden aus den Reihen der AfD im Bundestag verfolgt, merkt man, dass Vieles schon in Richtung Hetze geht. Aber auch über die AfD hinaus hat sich die Wortwahl im Plenum verschärft, wenn etwa Oppositionspolitiker in der Debatte um das Migrationspaket den Regierungsparteien vorwerfen, sie würden Flüchtlinge hierzulande "aushungern" lassen. Wenn sich die Parteien so wechselseitig in der Sprache hochziehen, verändert sich das gesellschaftliche Klima, da müssen wir aufpassen.