Die Bilder der Corona-Pandemie erschrecken. Verzweifelte Ärzte, immer neue Opferzahlen. Und immer wieder Patienten, die auf Intensivstationen über Schläuche beatmet und am Leben gehalten werden. Genau das ist für viele Menschen eine Angstvorstellung, eine, die sie vielleicht per Patientenverfügung ausschließen wollten. Müssen sie nun fürchten, im Zweifel nicht richtig behandelt, beatmet und gerettet zu werden? Nein, sagt Dr. Heribert Joha, Oberarzt auf der Abteilung für Anästhesie, Intensiv- und Palliativmedizin des Juliusspitals unter dem Dach des Klinikums Würzburg Mitte. Im Gespräch erklärt er, warum er seine Patientenverfügung trotzdem aktualisieren würde und welche Schwierigkeiten Covid-19 für Ärzte mit sich bringt.
Frage: Viele Menschen wollen per Patientenverfügung ausschließen, dass sie rein von Maschinen am Leben gehalten werden. Kann das in der Corona-Krise gefährlich werden?
Dr. Heribert Joha: Normalerweise wird bei einer Patientenverfügung im ersten Teil erklärt, für welche Situationen diese gelten soll. Die Standardformulare nennen meist vier klassische Fälle: den unabwendbaren Sterbeprozess, ein dauerhaftes Koma, eine fortgeschrittene Demenz und eine weit fortgeschrittene Tumorerkrankung. Bei einer Lungenentzündung aufgrund von Corona ist zunächst keine dieser vier Situationen eingetreten. Es handelt sich vielmehr um eine behandelbare Erkrankung – allerdings unter Intensivbedingungen.
Also schließt eine klassische Patientenverfügung eine Beatmung für Covid-19-Patienten nicht aus?
Joha: Nein, zunächst nicht. Eine Covid-19-Pneumonie ist eine Krankheit, bei der man eine Heilungschance hat. Dass die Behandlung wesentlich schwieriger ist und länger dauert als bei anderen Lungenentzündungen, das kristallisiert sich jetzt schon heraus. Aber man hat eine gute Chance, wenn der Organismus stark genug ist – und das wird durch eine Patientenverfügung nicht verhindert. Das ist vergleichbar mit einem Patienten, der mit einem Magendurchbruch in die Klinik kommt und nach der Operation eine kurze Nachbeatmung braucht – auch das wird nicht von einer Patientenverfügung verboten.
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Warum müssen viele schwer erkrankte Corona-Patienten künstlich beatmet werden – würden sie andernfalls sterben?
Joha: Grundsätzlich mussten auch schon vor Corona-Zeiten Menschen mit Lungenentzündungen teilweise beatmet werden. Sie hingen an Maschinen, genauso wie auf den Bildern, die wir jetzt aus Italien und Spanien sehen. Allerdings hatten die Lungenentzündungen damals in der Regel eine deutlich günstigere Prognose, mit drei, vier Tagen Beatmung konnte man sie häufig gut überstehen. Das liegt auch daran, dass man spezifisch wirksame Medikamente einsetzen konnte, beispielsweise Antibiotika. Gegen die Covid-19-Pneumonie sind diese nicht wirksam – das ist ein großer Unterschied. Jetzt haben wir eigentlich nur die Beatmungstherapie, die den Menschen am Leben halten kann. Die Infektion mit dem Virus muss der Körper selbst bewältigen. Aus diesem Grund ist die Beatmung bei Covid-19-Patienten wesentlich komplizierter und dauert deutlich länger.
Ab wann gilt eine Patientenverfügung?
Joha: So lange ein Mensch seinen Willen äußern kann, ist dieser absolut bindend. Eine Patientenverfügung tritt erst dann in Kraft, wenn man nicht mehr in der Lage ist, auszusprechen, welche Therapie man wünscht oder ablehnt.
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Was passiert, wenn das im Laufe einer Corona-Erkrankung eintritt, wenn der gesundheitliche Zustand immer schlechter wird?
Joha: Da kommen wir zu einem Defizit bei den klassischen Patientenverfügungen: Sie sind, wie bereits beschrieben, für bestimmte Situationen formuliert. Aber auch schon vor Covid-19 hatten wir in den Kliniken Patienten, deren Zustand sich im Laufe der Behandlung immer weiter verschlechtert hat. Wenn die Prognose immer ungünstiger wird und sich zum Beispiel zeigt, dass eine extreme Pflegebedürftigkeit entstehen würde, ist eine Patientenverfügung in der bisherigen Form oft nicht sehr hilfreich.
Was kann man dagegen – gerade auch mit Blick auf Corona – tun?
Joha: An der Palliativakademie des Juliusspitals empfehlen wir, ein Beiblatt zu der Patientenverfügung zu legen, eine Art Einstellungsbogen. Darauf sollte man fünf wichtige Fragen beantworten, die Ärzten ein besseres Bild des Menschen geben: Wie gerne leben Sie? Wenn Sie ans Sterben denken, was kommt Ihnen in den Sinn? Haben Sie weltanschauliche Verankerungen religiöser Art? Wo ist für Sie eine rote Linie – wo muss Medizin stoppen? Und wie weit darf Medizin gehen, um Ihr Leben zu erhalten? Letzteres würde beispielsweise eine Beatmungstherapie bei Covid-19 betreffen. Liegt ein solches Beiblatt der Patientenverfügung bei, kann man sich eher ein Bild davon machen, wie dieser Mensch entscheiden würde, wenn er dazu in der Lage wäre.
Muss man also wegen der Corona-Pandemie seine Patientenverfügung ändern?
Joha: Ich glaube, es macht Sinn, wenn man sie ergänzt – etwa um ein solches Beiblatt. Wenn es mit Datum und Unterschrift versehen ist, dann hat es eine Verbindlichkeit. Man kann hier zum Beispiel sagen: Ich weiß, dass ich aufgrund meines Alters und diverser Vorerkrankungen zur Corona-Risikogruppe gehöre – und bei einem schweren Verlauf wünsche ich zum Beispiel keine Beatmungstherapie, sondern eine gute palliative Versorgung, damit ich kein Erstickungserleben haben muss.
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Sollten in Corona-Zeiten auch junge Menschen eine Patientenverfügung haben?
Joha: Ich kann das nur empfehlen. Es kann auch jedem jungen Menschen etwas passieren – zum Beispiel kann man bei einem Fahrradunfall ein schweres Schädel-Hirn-Trauma erleiden und danach im Koma liegen. Vorsorge treffen ist immer gut.
Was ich gerne hinzufügen möchte - obwohl es nichts mit Corona zutun hat - ist: Auch das BMJV.de empfiehlt seine Patientenverfügung regelmäßig (einmal jährlich) zu überprüfen und zu erneuern.