Eigentlich wäre Karina Dreshpan an diesem Wochenende nach Kiew geflogen. Sie hatte ihre Familie länger nicht gesehen. Mit Mutter und Bruder sollte es ins Theater gehen, alle hatten sich schon gefreut. Doch dann begann in der vergangenen Woche Putins Krieg gegen die Ukraine.
Die 26-Jährige, die seit vier Jahren in Würzburg lebt und hier Germanistik als Fremdsprachenphilologie studiert, wollte es beim Entsetzen über den Angriff nicht bewenden lassen. Schnell stellte sie fest: Vielen ihrer in Würzburg lebenden Landsleute geht es ebenso. "Es tat uns einfach weh, das Gefühl zu haben, nichts machen zu können", sagt sie. "Deshalb haben wir entschieden: Wir haben hier Möglichkeiten zu demonstrieren, wir können humanitäre Hilfe organisieren. Jeder von uns hat doch Familie in der Ukraine."
Seit einigen Tagen kann man Karina Dreshpan deshalb in der Würzburger Fußgängerzone antreffen. Das Zelt am Sternplatz ist nicht zu übersehen. Die Farben blau und gelb leuchten schon von weitem, es sind die Nationalfarben der Ukraine. Dreshpan informiert hier mit ihren Mitstreiterinnen und Mitstreitern über den neu gegründeten Verein "Mrija".
Der Vereinsname erinnert an das weltgrößte Frachtflugzeug
"Mrija" ist das ukrainische Wort für Traum, und "Mrija" lautete auch der Name des weltgrößten ukrainischen Frachtflugzeugs Antonow AN-225, einer Legende am Himmel, vielfach bestaunt von Luftfahrt-Enthusiasten weltweit. Die Maschine wurde jetzt bei einem russischen Angriff zerstört.
"Russland mag unsere 'Mrija' zerstört haben, aber sie werden nie unseren Traum von einem starken, freien und demokratischen europäischen Land zerstören", hatte Dmytro Kuleba, der ukrainische Außenminister, kurz danach gesagt. Der Satz steht jetzt auch auf den blau-gelben Infozetteln, die der Verein am Sternplatz ausgelegt hat, und er ist wie ein trotziges Bekenntnis: Wir lassen uns nicht unterkriegen.
Karina Dreshpan war schon bei der ersten Demonstration gegen den Krieg am vergangenen Donnerstag am Würzburger Markt dabei. "Am Anfang lief alles ziemlich chaotisch", sagt sie, deshalb sei schnell klar geworden: Ein Verein muss her. "Wenn man einen Verein hat, ist es viel einfacher, Dinge zu organisieren oder im Rathaus Informationen zu bekommen."
Seit Montag gibt es deshalb den Verein "Mrija", den Dreshpans Mitstreiterin Nastja Schmid mit zunächst acht weiteren Menschen im Eiltempo aus der Taufe hob. Schmid, von Beruf Fotografin, kam 2001 nach Würzburg, lebt hier mit ihrem Mann und den drei Kindern. Die 41-Jährige ist überwältigt vom Zuspruch zum neuen Verein. Auf etwa 200 schätzt sie aktuell die Zahl der Menschen, die helfen wollen. "Die meisten stammen natürlich aus der Ukraine, aber es sind auch Menschen aus Russland und Kasachstan dabei", sagt sie.
Karina Dreshpan kümmert sich bei "Mrija" um die Öffentlichkeitsarbeit. "Es kommen sehr viele Leute, die uns unterstützen und spenden", sagt sie nach den ersten Tagen am Infozelt in der Würzburger Fußgängerzone, und sie spüre auch Empathie: "Wenn jemand von unseren Leuten anfängt zu weinen, hören wir oft: Ihr müsst euch nicht für eure Emotionen entschuldigen."
Verein will in mehreren Themenfeldern aktiv werden
Auch Dreshpan liegt das Kriegsgeschehen in ihrer Heimat wie Blei auf der Seele. Dennoch: "Meine Geschichte ist noch okay, niemand ist gestorben, meine Familie hat es geschafft, aus Kiew zu fliehen." Vier erwachsene Angehörige und sechs Kinder sind zurzeit auf dem Weg zu ihr nach Würzburg. "Aber es gibt so viele Menschen, die nicht fliehen können, zum Beispiel aus Cherson, Melitopol oder Charkiw. Da darf ich nicht jammern", sagt sie und wählt deutliche Worte: "Mir geht es gut, den Menschen, die jetzt unter Bomben sitzen, denen geht es beschissen."
"Mrija" will sich breit aufstellen und in sieben Themenfeldern – Medizin, Logistik, Geflüchtete, Finanzen, Rechtsfragen, Zwischenmenschliches, Öffentlichkeitsarbeit – aktiv werden. Geholfen werden soll Menschen in der Ukraine, aber auch denen, die vor dem Krieg flüchten und in Würzburg ankommen. Deshalb braucht der Verein auch Fachleute, die ehrenamtlich helfen, zum Beispiel bei rechtlichen Problemen oder Behördenangelegenheiten. "Ich bin Studentin, ich wüsste gar nicht, was da zu tun ist. Wir als Freiwillige sind da schnell überfordert", sagt Karina Dreshpan. Dringend benötigt der Verein auch einen Lagerraum für Sachspenden.
Vorerst wird die 26-Jährige am Sternplatz mit ihren Mitstreiterinnen und Mitstreitern weiter über den Verein und die Situation in der Ukraine informieren. "Es gibt viele Menschen, die helfen wollen, aber nicht wissen, wie", ist sie überzeugt. "Mrija", den Traum von der freien Ukraine, ihn geben Karina Dreshpan und die anderen im Verein so schnell nicht auf.
Kontakt zum Verein "Mrija": info@mrija-ua.de. - Spenden an den Verein (für medizinische Zwecke) über Raiffeisenbank Main Spessart, IBAN: DE 92 7906 9150 0005 7448 90. Verwendungszweck: Hilfe für die Ukraine.
Weitere Infos zur Ukraine-Hilfe in Unterfranken unter www.mainpost.de/10742006