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Würzburg
Mit dem Motorrad um die Welt: Dieter Schneiders Seelentour
Eine Reise? Für Dieter Schneider wurde es ein Lebensabschnitt voller Eindrücke. Mit dem Motorrad umrundete der Würzburger die Welt. Warum ihn erst Corona stoppen konnte.
Weltumrundung mit dem Motorrad: Dieter Schneider im Monument Valley in Arizona.
Foto: Archiv D. Schneider | Weltumrundung mit dem Motorrad: Dieter Schneider im Monument Valley in Arizona.
Andreas Jungbauer
 |  aktualisiert: 08.02.2024 21:20 Uhr

Im Juni 2018 ist er von Würzburg aufgebrochen: Mit seinem Motorrad, einer BMW F800 GS Adventure, ging es Richtung Osten, immer weiter, fast zwei Jahre lang. 100.000 Kilometer hat Dieter Schneider, Olympiafechter 1984 und 1988 und früher Inhaber einer Werbeagentur, auf "Toni" durch vier Kontinente zurückgelegt. Der 61-Jährige, der einen Sohn durch Suizid verloren hat, wollte mit der Tour auch auf die Volkskrankheit Depression aufmerksam machen. Kurz vor der Rückkehr nach Europa stoppte Corona seine Weltumrundung in Argentinien. Ein Gespräch über die Begegnung mit Menschen, Religionen – und sich selbst.

Frage: Wer mit dem Motorrad einfach immer weiter um die Welt fährt, scheint etwas zu suchen. Was haben Sie gesucht?

Dieter Schneider: Die Frage konnte ich eigentlich nie richtig beantworten. Ich bin einfach losgefahren. Ein Mönch in Georgien hat mich dann genau das gefragt: Wonach suchst Du? Eine Antwort hatte ich nicht, aber die Frage hat mich unterm Helm weiter beschäftigt: Suchen, wonach ich suche… Ein buddhistischer Mönch im Himalaya hat mir später gesagt: „Wenn Du es gefunden hast, weißt Du, wonach Du gesucht hast.“ Das war’s!

Wissen Sie es also jetzt?

Schneider: Ja, absolut. Es klingt spiritueller als ich eigentlich bin: Ich habe die Seele gefunden. Und zwar meine und die meines Sohnes. Mir war vorher nicht bewusst, dass es so etwas wie eine universelle Energie gibt.

Wo sind Sie fündig geworden?

Schneider: Ich bin durch alle Weltreligionen gefahren, von den orthodoxen Christen im Kaukasus über den Islam in Pakistan und Iran, den Hinduismus bis zum Buddhismus. Ich habe immer den gemeinsamen Nenner gesucht – in meinen Augen ist es die universelle Energie, die einen nennen sie Allah, die anderen Gott oder Shiva. In Kanada musste ich vier Wochen auf mein US-Visum warten, da hat mich ein alter Indianer zur „Sundance-Zeremonie“ in der Prärie eingeladen – ein Treffen von Indianern, ich durfte dort vier Tage mein Zelt aufschlagen. Am dritten Tag nimmt mich der Häuptling an der Hand, führt mich zu einem heiligen Baum und fängt an, mit mir für meinen Sohn zu beten. Der Häuptling hieß Casey – ausgerechnet, wie der Spitzname meines Sohnes. Am Ende sagte der Häuptling: Die Seele Deines Sohnes ist jetzt bei Dir. Und ich habe eine Energie gespürt, die man nicht messen, zählen, wiegen kann. Es war für mich ein Schlüsselerlebnis.

Am Titicacasee in Bolivien.
Foto: Archiv D. Schneider | Am Titicacasee in Bolivien.

War es also mehr eine Reise zu sich selbst als zu anderen?

Schneider: So weit würde ich nicht gehen. Ich bin gestartet aus Passion, nicht als Reisender oder Tourist, sondern als Entdecker. Ich bin wahnsinnig neugierig und gern unterwegs. So bin ich losgefahren, mit offenem Visier. Ich wollte Dinge entdecken, jeden Tag etwas Neues. Ich war null vorbereitet, wusste nur wenig über die Länder.

2015, 2016 waren Sie auf Tour von Würzburg nach Kapstadt, quer durch Afrika. War der persönliche Antrieb jetzt ein anderer?

Schneider: Das war ein Jahr nach dem Tod meines Sohns. Zur Hälfte war die Tour damals eine Trauma-Verarbeitung. Unterwegs zu sein in fremden Ländern, das hat mir wahnsinnig geholfen. Und seit der Rückkehr hatte ich mit dem Gedanken gespielt, einmal mit dem Motorrad um die Welt zu fahren.

Das haben Sie aber niemandem verraten!

Schneider: Stimmt, ich habe es weder Freunden noch der Familie kommuniziert. Ich habe nur gesagt, dass ich nach Osten fahre, zur Seidenstraße und nach Persepolis im Iran. Schritt für Schritt ging es dann weiter bis nach Australien – da war mir klar, dass ich die Kugel umrunde.

Hatten Sie Respekt vor der Distanz? Oder warum das Geheimnis?

Schneider: Ich wollte keine große Lippe riskieren. Eine Weltumrundung allein anzukündigen und dann in Passau oder Wien mit dem Motorrad hängenzubleiben – das wollte ich nicht. Ich bin kein großer Schrauber. Ob ich es schaffe, wusste ich selbst nicht.

Mit dem Motorrad um die Welt: Dieter Schneiders Seelentour

Wo haben Sie entschieden, nicht mehr umzukehren, sondern weiter zu fahren?

Schneider: Auf Sumatra in Indonesien. Ich hatte dort meinen 60.Geburtstag gefeiert und entdeckt, dass man recht günstig von Kuala Lumpur nach Australien übersetzen konnte. Meine Frau war zunächst sauer, hat es aber akzeptiert. Für mich war es das „Go“, weiterzutouren nach Australien und Amerika.

Wie bringt man eine solche Tour mit seinem Privatleben zusammen?

Schneider: Das ist eine spezielle Situation. Wir waren in einem guten Kontakt und ich bin ja wieder zurück zur Familie. Mit meiner Tochter habe ich sogar Silvester in Bangkok gefeiert. Aber ich bin mir bewusst: Ich war in einer glücklichen Lage, ich hatte die Chance und Option. Es hat beruflich, zeitlich und familiär gepasst – da ist eine Tür aufgegangen.

Ist so eine Reise nicht auch ein Stück Flucht?

Schneider: Nein, überhaupt nicht. Für mich war es auch keine Reise, sondern ein Lebensabschnitt. Der große Unterschied zur Afrika-Tour war: Dort hatte ich unterm Helm geheult, ich war emotional zerrissen, wenn ich an meinen Sohn gedacht habe. Jetzt habe ich mich gefreut, wenn ich mit anderen über meinen Sohn sprechen konnte. Damals war Trauer, jetzt war Freude.

Begegnung in Guatemala: Dieter Schneider unterwegs.
Foto: Archiv D. Schneider | Begegnung in Guatemala: Dieter Schneider unterwegs.

Sie wollten mit ihrem „Fellows Ride“ auf die Volkskrankheit Depression und auf Suizidhilfe aufmerksam machen und dazu Rotary-Clubs in aller Welt ansteuern. Hat das funktioniert?

Schneider: Unterschiedlich. In Australien zu 99 Prozent: Ich wurde von einem Rotarier zum nächsten vermittelt, habe an einem Treffen von Leuten mit Depressionserfahrung teilgenommen, an einer Ausfahrt mit dem Titel „Black Dog Ride“. In Australien wird das Thema Depression sehr offen und vorbildlich behandelt. Anders war es in Ländern wie Indien und Pakistan: Die Rotarier dort waren nicht meine Leute. Wenn du wochenlang die Armut im Land erlebst und dann die reiche Clique mit Schlips und dickem Auto vor der Tür – das war nicht meine Sache.

Wie sind Sie mit dem Gegensatz zwischen arm und reich zurechtgekommen?

Schneider: Man versucht die Gründe zu verstehen und fragt sich: Wer ist dafür verantwortlich? Das Thema Korruption und schlechte Regierungsführung spielen hier eine große Rolle.

Über den Karakorum-Highway zum höchstgelegenen Grenzübergang der Welt: Dieter Schneider  auf 4600 Meter zwischen Pakistan und China.
Foto: Archiv D. Schneider | Über den Karakorum-Highway zum höchstgelegenen Grenzübergang der Welt: Dieter Schneider  auf 4600 Meter zwischen Pakistan und China.

Sie selbst waren als wohlhabender Reisender in Armutsgegenden unterwegs… Sorgt das für Spannung oder Ängste?

Schneider: Auf dem Motorrad mit so viel Gepäck sieht man aus wie ein dreckiger Vagabund und nicht wie ein reicher Tourist. Da war der Gegensatz nicht so groß. Für mich ist es auch keine Frage von arm oder reich, mit wem ich zu tun habe. Und man schraubt auf einer solchen Tour die eigenen Ansprüche herunter, schläft auch mal in Verschlägen oder unter offenem Himmel. Aber so ein Sternenhimmel gibt mir mittlerweile mehr als ein Fünf-Sterne-Hotel.

Hat Sie diese Tour verändert?

Schneider: Ich denke schon. Man legt auf andere Dinge wert. Sortiert, was im Leben wirklich wichtig ist – menschliche Beziehungen weit mehr als materielle Dinge, Statussymbole bedeuten mir nichts mehr. Ich komme ja aus dem Marketing. Aber Werbung für konventionelle Produkte könnte ich jetzt nicht mehr machen, weil ich mich frage: Wofür braucht man den Kram?

Wofür könnten Sie anstelle dessen Werbung machen?

Schneider: Zum Beispiel für fair gehandelte Dinge, wie Kaffee. Ich war in Kolumbien auf einer Kaffeefarm. Da bekommen die armen Arbeiter drei Dollar am Tag. Das reicht hinten und vorne nicht. Wir müssen deutlich machen, wo ein Produkt herkommt und die Menschen dahinter wertschätzen.

Im Himalaya auf einem der höchsten zu befahrenden Pässe der Welt, dem Khardungla in Indien.
Foto: Archiv D. Schneider | Im Himalaya auf einem der höchsten zu befahrenden Pässe der Welt, dem Khardungla in Indien.

Was hat Sie auf der Tour mehr bereichert: Landschaften, Sehenswürdigkeiten oder die Menschen?

Schneider: An erster Stelle stehen die Begegnungen mit den Menschen, ob Einheimische oder andere Reisende. Das macht eine solche Tour aus, und nicht die Besichtigung von Taj Mahal oder von irgendwelchen Burgen und Klöstern. Du lernst viel von den Menschen. Und ich habe gemerkt, dass ich auch selbst mit meiner Geschichte viele andere inspirieren konnte.

Gab’s Momente des Zweifels auf der Tour? Gedanken an Abbruch?

Schneider: Zweimal ganz konkret. Einmal habe ich von Armenien aus kein Visum für Pakistan bekommen. Da dachte ich, das war’s. Über einen persönlichen Kontakt hat es noch geklappt. Das zweite Mal war im Himalaya – das war motorradtechnisch, landschaftlich der Höhepunkt und ich fragte mich: Was soll jetzt noch kommen? Es war dann ein Holländer, mit dem ich ein paar Wochen unterwegs war, der mich zum Weiterfahren überredet hat. Was ich getan habe – erst missmutig, im Nachhinein zum Glück.

Gab’s Momente der Verzweiflung, wo Sie menschenmüde wurden?

Schneider: Natürlich gibt es Hochs und Tiefs. Und die unglaubliche Gastfreundschaft im Iran konnte auch mal anstrengend sein. Aber menschenmüde? Nein.

In Sydney in Australien vor Harbourbrigde und der Oper.
Foto: Archiv D. Schneider | In Sydney in Australien vor Harbourbrigde und der Oper.

Braucht man Glück auf einer solchen Tour?

Schneider: Oh ja. Ich hatte einen guten Schutzengel und großes Glück bei zwei von drei Unfällen. Man wird demütig und dankbar, wenn man so unterwegs ist.

Aber stumpft man nicht ab, wenn man Tag für Tag, fast inflationär neue Eindrücke sammelt?

Schneider: Tatsächlich habe ich in den letzten Wochen angefangen, Dinge als Routine hinzunehmen und zu vergleichen. Da bist du in den Anden auf 4000 Meter Höhe und denkst: Im Himalaya war’s noch einen Tick schöner… Unsinn. Ich habe mir immer vorgenommen, den Moment zu genießen. Aber zwei Jahre sind vielleicht dann auch genug. Man stumpft ab, das Neue wird alltäglich. Davor hatte ich Angst.

Wie lange wäre denn die Tour ohne Corona-Knockout noch weitergegangen?

Schneider: Ich wollte nach Buenos Aires, mein Motorrad nach Madrid verschiffen und wäre von dort aus über Portugal heimgefahren. Ich wollte mit dem Motorrad wieder daheim in Würzburg ankommen. Das fehlt mir noch.

Das heißt, die Reise ist nicht zu Ende, sondern nur unterbrochen?

Schneider: Mein Motorrad steht mit vollem Gepäck noch in Buenos Aires. Sobald es geht, will ich es holen – vielleicht davor noch durch Südamerika touren – und dann wie geplant über Spanien heimfahren bis zur letzten Kurve in Rottenbauer.

Durch das Canyon del Pato in den Anden in Peru.
Foto: Archiv D. Schneider | Durch das Canyon del Pato in den Anden in Peru.

Wie fühlt sich die Würzburger Heimat jetzt an? Fällt Ihnen die Decke auf den Kopf?

Schneider: Ich kann es wahnsinnig genießen – den Wohlstand, die Sicherheit, die medizinische Versorgung, die schöne Gegend. Wenn man zwei Jahre so unterwegs war, lernt man die Heimat noch einmal richtig wertzuschätzen. Man sieht sie mit anderen Augen.

Ihre Erinnerungen können Sie jetzt wegen der Corona-Verbote nicht wie geplant in Vorträgen und Diashows mit anderen teilen . . .

Schneider: Ja, das ist schade. Ich habe 15 000 Fotos gemacht, 1500 Videoclips. Ich halte zwar Vorträge über Zoom. Aber viel lieber würde ich den Leuten im Kino meine Bilder zeigen und die Geschichten erzählen. Das wird hoffentlich bald möglich sein. Ich möchte den Menschen zeigen, wie schön unsere Welt ist. Und dass wir achtsam miteinander umgehen müssen.

 

 
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