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WÜRZBURG
Vater verlor Sohn: „Es wurde für ihn immer dunkler“
Andreas Jungbauer
 |  aktualisiert: 08.02.2024 14:06 Uhr

Dieter Schneider (59) hat in den 90er Jahren in Würzburg die Marketing-Agentur Schneider & Partner gegründet und aufgebaut, ab 2001 dann die Agentur Buena la Vista AG. Nach dem Verkauf der Anteile ist er heute als Berater („Tailerwork“) tätig. Zusammen mit Schwimm-Weltmeister Thomas Lurz gründete er 2012 eine Stiftung zur Förderung des Behindertensports. Ein privater Schicksalsschlag ereilte ihn im Herbst 2014: Sein 22-jähriger Sohn nahm sich nach schwerer Depression das Leben. Schneider startete als Säbelfechter bei den Olympischen Spielen 1984 und 1988. Aus dieser Zeit ist er mit dem Berliner Schauspieler Simon Licht befreundet, damals Mitglied der Jugend-Nationalmannschaft. Gemeinsam wollen die beiden mit einem Benefiz-Motorradtreffen in Würzburg, dem 1. Fellows Ride am 13. Mai, über Depressionshilfe und Suizidprävention aufklären und Spenden dafür sammeln. Schneider kann mittlerweile offen über seine Erfahrungen als Suizid-Angehöriger sprechen.

Herr Schneider, Sie wollen mit dem „Fellows Ride“ die Themen Depression und Suizid aus der Tabuzone holen. Tun wir uns wirklich so schwer, darüber zu reden?

Dieter Schneider: Subjektiv habe ich das so erlebt, als das mit meinem Sohn passiert ist. Einige Leute im privaten Umfeld haben sich schwer getan, damit umzugehen. Objektiv gesehen berichten Medien aktuell zwar mehr über Depression und Suizidgefahr. Aber traditionell ist es weiter ein Tabuthema – das fängt bei den Kirchen und ihren Schwierigkeiten an, Suizidopfer beizusetzen. Und es reicht bis in die Politik, wo für Suizidprävention deutlich weniger getan wird als etwa für die Verkehrssicherheit, obwohl fast dreimal so viele Menschen durch Suizid sterben als im Straßenverkehr.

Sie denken an konkrete Verbesserungen?

Schneider: Ja, es fehlen Stellen in der Psychiatrie, und es ist oft schwierig, überhaupt einen Termin zu bekommen. Auch die Therapieangebote reichen nicht aus. Insofern haben wir hier ein Ungleichgewicht.

Sie selbst haben im Herbst 2014 Ihren Sohn durch Depression und Suizid verloren. Wie weit sind Sie in der Verarbeitung?

Schneider: Ich kann jetzt offen darüber reden und bin emotional nicht mehr so aufgewühlt. Dazu habe ich lange gebraucht. Trotzdem ist da eine offene Narbe auf der Seele, die sich ein Leben lang nicht komplett schließen wird.

Ihre viermonatige Motorradtour durch Afrika war eine Art Therapie?

Schneider: Absolut. Das hat mir sehr geholfen. Es war die Kombination aus einem Lebenstraum und der Traumabewältigung. Ich habe unterwegs viele Menschen getroffen – da spricht man über Gott und die Welt und das eigene Schicksal. Da habe ich gelernt, darüber zu reden. Und vielfach haben Leute von eigenen Depressionserfahrungen berichtet.

Was hat sich durch die Reise für Sie verändert?

Schneider: Im Blick auf das Leben hat sich viel relativiert. Wenn man die Not in afrikanischen Ländern sieht oder Flüchtlingen auf dem Weg nach Europa begegnet – da hadert man weniger mit dem eigenen Schicksal.

Welche Gefühle hat man als Vater, wenn einem die Nachricht vom Suizid des eigenen Kindes überbracht wird?

Schneider: Den Moment vergisst man sein Leben nicht. Wenn die Polizei im Wohnzimmer steht und fragt, ob das dein Sohn ist. Man hatte ja im Vorfeld Befürchtungen. Und dann möchtest du am liebsten die Zeit anhalten und alles auf Reset stellen. Du willst nicht daran glauben und möchtest es ungesagt und ungeschehen machen. Aber der Alptraum fängt erst an. Es ist ein langer Prozess, in dem du lernen musst, damit umzugehen.

Zweifelt man als Eltern auch an sich selbst oder macht sich gar Vorwürfe?

Schneider: Unser Sohn war in den acht Wochen vor seinem Tod in klinischer Behandlung – was insofern gut war, als sich die Schuldfrage für uns nicht gestellt hat. Es war nicht unsere Verantwortung, wir haben mit unserem Sohn auch darüber gesprochen. Darüber bin ich froh. Ich glaube, wenn in der Familie im Nachhinein über Schuld diskutiert wird, können leicht Partnerschaften daran zerbrechen.

Das heißt, Sie konnten mit Ihrem Sohn offen über seine Krankheit reden?

Schneider: Ja, er hat viel mit meiner Frau gesprochen, auch offen über Suizid. Er war völlig klar im Kopf. Und wir hatten den Eindruck, dass es besser wird. Aber dann dieser eine Moment...

Wie ist Ihr Sohn in die Depression gerutscht? Gab es auslösende Momente?

Schneider: Es passierte innerhalb eines Jahres. Er hat sich selbst im Studium zu viel Leistungsdruck gemacht und zu hohe Ansprüche an sich gestellt. Als dann eine schwere Physik-Prüfung im dritten Semester anstand, ging es los. Er hat das Studium geschmissen, dann das zweite. Er war in der Spirale nach unten und es wurde für ihn immer dunkler.

Haben Sie diese Verdunklung auch bemerkt?

Schneider: Meine Frau und meine Tochter haben das früher wahrgenommen als ich. Sie haben auf unseren Sohn eingewirkt, einen Arzt in Anspruch zu nehmen und zum Therapeuten zu gehen. Letztlich war es eine Krankheit, deren Verlauf zum Tode geführt hat.

Was würden Sie aus Ihrer Erfahrung Angehörigen von Depressionskranken raten?

Schneider: Ich kann nur empfehlen, die Betroffenen frühzeitig in Behandlung zu schicken. Je früher, umso besser. Depression ist eine Krankheit und sie ist behandelbar – durch Therapie und Medikamente. Wichtig ist, dass die Nahestehenden in der Familie oder auch die Chefs in den Betrieben die Erkrankung frühzeitig erkennen und richtig damit umgehen. Die Stiftung Deutsche Depressionshilfe bietet hier kompetente Hilfe an.

Sie sammeln beim Fellows Ride Spenden für diese Stiftung. Was wollen sie konkret fördern?

Schneider: Wir werden für ein Projekt der Stiftung Deutsche Depressionshilfe spenden, das bei jungen Menschen ansetzt: die Erstellung und Verbreitung von Schulmaterial sowie Schulungen für Lehrer und andere Multiplikatoren. Die Lernziele dabei sind: Wissen, Handlungskompetenz und Entstigmatisierung. Damit verbunden sind die Themenfelder „Woran erkenne ich eine Depression?“ und „Hilfe für mich, für Angehörige – Hilfe im Notfall“.

In einer autobiografischen Erzählung schreibt Dieter Schneider über das Trauma durch den Tod seines Sohnes und dessen Bewältigung – bei einer viermonatigen Motorradtour von Würzburg nach Südafrika. Titel des gerade erschienenen Buches: „Wenn Dich Dein Leben rechts überholt. Mit Freude und Tränen durch Afrika“, Verlag Vorwerk 8, 92 Seite, 12,70 Euro.

 
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