
Inalena H. (Name geändert) steht an einem Montagnachmittag vor ihrem Wohnhaus nahe der Würzburger Grombühlbrücke und raucht eine Zigarette. Sie zieht gierig, nach kaum einer Minute ist die Kippe aufgeraucht. Im Gespräch hat die 53-Jährige gerade erfahren, dass das Haus wegen Brandschutzmängeln geräumt werden soll. H. ist schockiert, niemand hat ihr das bisher mitgeteilt –nicht die Stadt Würzburg, nicht der Vermieter. "Für uns interessiert sich keiner", seufzt die Frau.
H. sieht müde aus. Ihr dunkles, zu Dreadlocks geflochtenes Haar ist ausgeblichen, ihre Hände sind abgearbeitet. H. kommt aus Kuba, ist vor vielen Jahren nach Deutschland gekommen, um zu arbeiten. Heute arbeitet sie in der Würzburger Uniklinik als Putzfrau, was gerade zum Leben reicht. Mehr als die rund 330 Euro Miete, die sie aktuell zahlt, könne sie sich nicht leisten, sagt H.
Trotz Brandgefahr: Würzburger Vermieter baute dutzende Wohnungen ohne Erlaubnis
Die Wohnung der zierlichen Frau ist klein, 2o Quadratmeter maximal. Couch, Toilette, Kochplatte, Hochbett – das wars. Auf ihr Hochbett schafft sie es seit Jahren nicht mehr, der Körper spielt nicht mehr mit. Seitdem schläft sie auf der Couch. Inalena H. verabscheut das verdreckte Wohnhaus, das direkt an der vielbefahrenen Nordtangente liegt: "Es ist laut und ekelhaft." Eine Räumung wäre für sie dennoch eine Katastrophe: "Wo soll ich dann hin? Diese Wohnung ist alles, was ich habe."
Im Juli hat das Verwaltungsgericht Würzburg eine Nutzungsuntersagung der Stadt Würzburg aus dem Jahr 2019 bestätigt. 51 Wohnungen müssen geräumt werden, weil sich der Vermieter Walter K. (Name geändert) trotz intensiver Bemühungen der Würzburger Bauaufsicht nicht um ausreichenden Brandschutz gekümmert habe. Gegen diese Entscheidung hatte K. geklagt, das wurde abgewiesen. Laut Gericht besteht "Gefahr für Leib und Leben". Dagegen hat K. Berufung eingelegt, was jedoch keine aufschiebende Wirkung in Bezug auf die Räumung hat.
Wohnraum ist knapp in Würzburg. Als K. 2011 den Antrag stellt, 17 Wohnungen in ein ehemaliges Bürogebäude zu bauen, legt die Stadt ihm keine Steine in den Weg, ist den Gerichtsunterlagen zu entnehmen. Doch der Vermieter will mehr, stellt laut Gerichtsunterlagen immer neue Bauanträge für Wohnungen, die nicht genehmigt werden. Bei einer Kontrolle im Jahr 2016 fällt die Bauaufsicht dann aus allen Wolken. K. hat auf engstem Raum ohne Erlaubnis inzwischen 75 Wohnungen errichtet.
Abgase der Würzburger Nordtangente sind einzige "Frischluftzufuhr"
Etwa die Wohnung von Mahdi N., der vor sechs Jahren aus Afghanistan geflohen ist und sich in Würzburg als Produktionsarbeiter ein neues Leben aufbauen will. N. wohnt im Untergeschoss des Hauses – genau wie Inalena H. in einer winzigen Wohnung. Die Wohnung des 37-Jährigen liegt direkt auf Höhe der Nordtangente, kaum einen Meter entfernt brettern die Fahrzeuge vorbei. Wenn Mahdi N. sein Fenster öffnet, dringen Abgase und Fahrzeuglärm hinein.
"Ich habe nur diese Wohnung hier", sagt Mahdi N. Wohl fühle er sich nicht in dem Haus: "Wenn ich das Fenster aufmache, kommt Schmutz hinein. Wenn ich es geschlossen lasse, kommt gar keine Luft." Eingezogen ist N. vor etwa zwei Monaten. Dass das Haus bald geräumt werden könnte, hat ihm der Vermieter damals nicht mitgeteilt, sagt er.

Ein Ortstermin einige Tage zuvor, die Morgensonne scheint sanft auf die oberste Etage des von Abgasen gezeichneten Hauses. Hier oben wirkt das Stadtleben seltsam entrückt, sogar der Lärm der Nordtangente dringt nur als beruhigendes Brummen nach oben. Für die Bewohnerinnen und Bewohner könnte es ein friedlicher Freitagvormittag sein, wäre da nicht dieser Mann, der mit wummernden Schlägen an einige der Türen trommelt.
Trotz Gerichtsentscheid: Vermieter will Wohnhaus "auf keinen Fall" räumen
"Aufmachen, lass mich rein", ruft Vermieter Walter K. zwischen seinen Schlägen. K. ist aufgebracht, hat zum Angriff geblasen. Kurz zuvor hat er erfahren, dass die geplante Räumung Thema im Würzburger Stadtrat war. Nun will er beweisen, dass der Brandschutz in seinem Haus gar nicht so schlecht sei. "Ich, als 76-Jähriger, behaupte, dass ich mich aus jeder der 51 Wohnungen, die geräumt werden sollen, in zehn Sekunden ohne Hilfe der Feuerwehr ins Freie retten kann", schreibt K. in einer von zahlreichen E-Mails an die Redaktion.
Die Tür bleibt für K. an diesem Tag verschlossen, seine These kann er nicht beweisen. Es hätte wohl auch keinen Unterschied gemacht. Laut Gerichtsunterlagen geht es um ganz andere Probleme: um fehlende Rauchableitung, falsche Brandschutztüren und mangelhafte Fluchtwege. Einer der wichtigsten Fluchtwege für zahlreiche Wohnungen ist laut Gericht an seiner schmalsten Stelle 38 Zentimeter breit und damit "ersichtlich zu schmal". K. sieht darin kein Problem. "Auf keinen Fall" werde er seinen Mieterinnen und Mietern mitteilen, dass das Haus geräumt werden muss.

Warum ist die Stadt bisher nicht aktiv geworden, wenn doch seit Jahren klar ist, dass in dem Haus Lebensgefahr besteht und der Vermieter sich querstellt? "Die Stadt ist sich der äußerst weitreichenden Konsequenzen – insbesondere für alle Mieterinnen und Mieter – bewusst, die mit einer Räumung einhergehen und bereitet sich entsprechend gewissenhaft und abgestimmt auf diese Maßnahme vor", heißt es auf Anfrage der Redaktion. "Die Stadt weiß einfach nicht, wohin mit den Leuten in dem Haus", sagt ein Eingeweihter, der namentlich nicht genannt werden will.
Wohnungslosenhilfe: Stadt Würzburg muss notfalls Hotelzimmer mieten
"Eine Räumung des Hauses bedeutet Wohnungslosigkeit für viele dieser Menschen", sagt Michael Thiergärtner, Leiter der Wohnungslosenhilfe der Würzburger Christophorus-Gesellschaft. Er kenne das Haus in Grombühl, dort seien viele seiner Klienten untergebracht, die anderswo keinen Platz finden würden. Thiergärtner geht davon aus, dass sich viele der Betroffenen nach einer Räumung an ihn und seine Organisation werden werden. "Das wird uns kurzfristig überfordern."
Die drohende Obdachlosigkeit sei angesichts der Lebensgefahr in dem Haus jedoch kein Argument für die Untätigkeit der Stadt. Notfalls müsse die Stadt vorübergehend Hotelzimmer anmieten, bis eine langfristige Lösung gefunden ist. "Jedem steht ein Mindestmaß an Menschenwürde zu."
Eigenen Angaben nach hat die Stadt Würzburg dem Vermieter Zeit bis Mitte Oktober gegeben, die Mieterinnen und Mieter über die Räumung zu informieren. Danach werde man weitere Schritte direkt mit den Betroffenen besprechen. Die Redaktion hat die Stadt gefragt, welche Vorbereitungen sie seit der ausgesprochenen Nutzungsuntersagung im Jahr 2019 getroffen hat, wann sie die Räumung vollstrecken wird und wie sie die Betroffenen unterstützen wird. Eine Antwort steht bislang noch aus.
Dazu kann man nur einen Ratschlag geben: diese Stadt verlassen und irgendwo anders hinziehen. Arbeitskräfte, von Putzfrauen über Hilfskräfte bis zu Fachkräften, werden heute überall händeringend gesucht. In vielen Städten ohne einen fürchterlichen Stadtring und ohne schlechte Luft im Talkessel - dafür mit schöneren Wohnungen zu günstigeren Mieten.
Ein jeder ist seines Glückes Schmied
dann müssen die Leute ja nur noch einen Arbeitsplatz im schönen Thüringen finden, um sich die Wohnung auch leisten zu können...
Spaß beiseite: das löst leider nicht den Mangel an bezahlbarem Wohnraum in WÜ und anderen Städten, und die entsprechenden Probleme/ Zusammenhänge werden wir hier auch nicht mit max. 1000 Zeichen erschöpfend abhandeln können. Nur zwei Schlagworte, die mir dabei bedeutsam erscheinen: zuwenig kostenträchtiger sozialer Wohnungsbau, zuviel gewinnträchtige Umwandlung - mMn klare Symptome für fortschreitenden Meudalismus und Entsolidarisierung. Leute, das kann nicht auf Dauer gutgehen.
mhhhhhhh
Ohne Witz. Es wird für so viel Müll Geld ausgegeben, aber das ist echt hier unterste Schublade.
Kaputte Leitungen, vergammelte Fassaden, zugebaute Fluchtwege und eine nicht funktionierende Müllabfuhr liegen hingegen im Zuständigkeitsbereich des Vermieters.
Und wer hier wieder unterschwellig unterstellen will, dass natürlich die Mieter mit Migrationshintergrund schuld an diesen Zuständen sind, sollte vielleicht mal darüber nachdenken, dass es genau umgekehrt ist: wer sonst muss sich noch mit solchen Wohnbedingungen abfinden außer denen, die keine andere Wahl haben???