Auch sieben Monate nach der Messerattacke mit drei Todesopfern und mehreren schwerverletzten Menschen am Barbarossaplatz in Würzburg haben nicht nur die direkt Betroffenen, ihre Angehörigen oder Augenzeugen mit den Erinnerungen an das Erlebte zu kämpfen. Auch viele Einsatzkräfte von Polizei und Rettungsdienst beschäftigen sich bis heute mit ihrem Einsatz am späten Nachmittag des 25. Juni 2021. Deutlich spürbar wurde das am Wochenende beim "Würzburger Forum Bevölkerungsschutz", bei dem die Messerattacke und ihre Folgen eine zentrale Rolle einnahmen.
In mehr als vier Jahrzehnten als Notarzt und Gerichtssachverständiger in Würzburg hat Gerhard Schwarzmann sehr viel erlebt und gesehen. Am 25. Juni war er kurz nach 17 Uhr als Privatmann in der Straßenbahn am Barbarossaplatz unterwegs und dachte nicht lange nach: Schwarzmann schnappte sich den Straba-Verbandskasten, ließ sich vom Fahrer die Tür öffnen und begab sich auf die Straße, um den Verletzten zu helfen.
Wie Notfallmediziner reagieren
"Notfallmedizin außerhalb jeder Norm" nannte er seinen Vortrag beim Bevölkerungsschutz-Forum, das seit 2019 vom Kreisverband des Bayerischen Roten Kreuzes (BRK) zusammen mit der Sektion Notfall- und Katastrophenmedizin der Uniklinik veranstaltet wird. Außerhalb jeder Norm deshalb, weil selbst ein erfahrener Notfallmediziner "privat nicht so funktioniert, als wenn man im Dienst ist", betonte Schwarzmann.
Im Dienst sei man nie alleine und auf belastende Situationen vorbereitet, außerdem wirke die persönliche Ausrüstung eines Notarztes psychisch wie ein Schutzpanzer: "Das ist mit Anzug und weißem Hemd ganz anders", sagte Schwarzmann. Er hatte bereits begonnen, sich um die ersten Verletzten zu kümmern, als er im Hintergrund den Schuss hörte, mit dem ein Polizist den Täter außer Gefecht setzen konnte.
"Normalerweise geht man als Sanitäter nicht in den roten Bereich. Ich war im roten Bereich", erzählte Schwarzmann. Im Woolworth versuchte er, mit dem Verbandskasten so gut wie möglich zu helfen, stieß dabei aber schnell an medizinische Grenzen und fühlte sich nach eigenen Worten teilweise hilflos: "Ich konnte nicht das machen, was ich sonst bei Patienten machen konnte."
Unterstützung für Einsatzkräfte, das Erlebte zu verarbeiten
Insgesamt waren am 25. Juni und den Tagen danach rund 300 Polizistinnen und Polizisten – von den Einsatzkräften der Bereitschaftspolizei bis hin zu den Ermittlern des Landeskriminalamts – und etwa 150 Rettungskräfte im Einsatz. Etwa ein Drittel beider Gruppen hat sich danach dabei unterstützen lassen, das Erlebte zu verarbeiten. Auch Gerhard Schwarzmann gehört dazu: "Es war ein traumatisierender Einsatz", sagt er und bedauert, nicht gleich das erste Angebot einer psychosozialen Betreuung noch am Abend der Messerattacke angenommen zu haben.
Für Uwe Kinstle von der Johanniter Unfallhilfe und Paul Justice vom BRK war es nach dem Axtangriff bei Heidingsfeld fünf Jahre zuvor bereits der zweite Großeinsatz in solch einer Situation: "Beides war sehr belastend. Wir werden diese Einsätze verarbeiten, aber wir werden sie nicht vergessen", sagte Kinstle. Am 25. Juni konnten sich die Einsatzkräfte der Rettungsdienste am Abend in geschützte Räumlichkeiten in der Zellerau zurückziehen, um in gemeinsamen Gesprächen mit der Verarbeitung der Geschehnisse zu beginnen.
Betroffenheit bis heute sehr hoch
Auch Polizeioberrat Florian Koch, stellvertretender Leiter der Polizeiinspektion Würzburg-Stadt, sprach beim Forum Bevölkerungsschutz über belastende Emotionen und Traumatisierungen – bei beteiligten Polizeikräften ebenso wie bei verletzten Opfern und ihren Angehörigen. Gerade bei ihnen sei die Betroffenheit bis heute teilweise sehr hoch, betonte Koch. So könnten zum Beispiel Veranstaltungen wie die der AfD und der Nazi-Kleinpartei "Dritter Weg" in den Wochen und Monaten nach der Tat für Betroffene oder Augenzeugen der Tat traumatisch sein.
Für die Polizei war auch die psychosoziale Betreuung ihrer Beamtinnen und Beamten nach dem Einsatz ein wichtiges Thema, ebenso wie die Unterstützung von Opfern und Angehörigen: "Hier wollen wir uns in der Zusammenarbeit mit den Rettungsdiensten noch weiter professionalisieren", kündigte Koch an.
Die Betreuung von Augenzeugen und Passanten begann bereits unmittelbar nach der Tat in einer Gaststätte am Barbarossaplatz. Dort wurden nicht nur Zeugen von der Polizei befragt, sondern auch rund 30 Personen rettungsdienstlich betreut. Vor Ort sei dann schnell deutlich geworden, "dass es einen riesigen Bedarf für psychologische Hilfe geben wird", berichtete Paul Justice.
Krisendienst als Anlaufstelle für Hilfesuchende
Der erst kurz davor eingerichtete unterfränkische Krisendienst wurde in den Tagen danach zur Anlaufstelle für die Bevölkerung mit insgesamt 59 ausführlichen Beratungsgesprächen. "Der Krisendienst ist in einer solchen Lage eine hervorragende Anlaufstelle für Hilfesuchende", betonte Justice.
Unabhängig von der grausamen Tat und ihren Folgen fällt die Einsatzbilanz von Polizei und Rettungsdiensten positiv aus: Bereits drei Minuten nach der ersten Mitteilung war die erste Polizeistreife vor Ort und konnte den Täter in Gewahrsam nehmen, weniger als 20 Minuten später war die erste schwerverletzte Person erstversorgt und auf dem Weg ins Krankenhaus. Das habe vor allem aufgrund der Erfahrungen beim Heidingsfelder Axtattentat "sehr vernünftig funktioniert", erläuterte Uwe Kinstle: Der damalige Einsatz wurde wissenschaftlich analysiert, ein Handlungskonzept erstellt und die Alarmpläne optimiert.
Selbst wenn ein Unfallopfer in den Armen eines Polizeibeamten verstarb, machte der nach einem Schulterklopfen vom DGF weiter seinen Frühdienst und das war es....