
Die Worte zum Würzburger Missbrauchsgutachten sind deutlich. "Das Ausmaß ist erschreckend." Oder: "Wäre rechtzeitig eingeschritten worden, hätten wahrscheinlich viele Übergriffe verhindert werden können." Und: "Opfer wurden marginalisiert, Täter geschützt". Die Liste ließe sich fortsetzen.
Doch die harten Worte von Bischof und anderen können nicht darüber hinwegtäuschen, dass das wichtige Gutachten Schwächen hat. Die größte ist der enge Tatbegriff, den die Unabhängige Aufarbeitungskommission vorgegeben hatte: Grenzverletzungen unterhalb der Strafbarkeitsschwelle blieben außen vor.
Hätte man niederschwelligere Taten mit einbezogen, wäre nicht nur die Zahl der Übergriffe, sondern wohl auch die der Täter höher gewesen. Der enge Tatbegriff blendet außerdem den Fakt aus, dass kaum ein Missbrauchstäter seine kriminelle Karriere mit einem schweren Sexualdelikt beginnt. In der Regel sind es zunächst eben jene kleineren, in der Studie unberücksichtigten Distanzlosigkeiten.
Waren Betroffene vielleicht noch jünger und dauerte ihr Martyrium länger?
Hätte man der Forschung einen anderen Rahmen gegeben, wären einige Statistiken wohl noch heftiger ausgefallen. Lag das Durchschnittsalter der Betroffenen beim ersten Missbrauch nicht wie in dem Gutachten ausgegeben bei 9,8 Jahren, sondern waren die Opfer jünger? Dauerte der Zeitraum, in der eine Person immer wieder missbraucht wurde, nicht im Schnitt 1,45 Jahre, sondern länger? Begingen die Beschuldigten ihren ersten Missbrauch nicht erst 11,9 Jahre nach Dienstantritt, sondern früher?
Das Gutachten kann dies nicht beantworten. Möglicherweise braucht es dafür eine weitere Untersuchung. Ein jetzt schon positives Signal ist es, wenn die Interventionsbeauftragte des Bistums betont, "dass unserer Präventions- und Interventionsarbeit ein deutlicher weiter gefasster" Tatbegriff zugrunde liegt.
Auch die Orden müssen die Aufarbeitung angehen und aufklären
Nur am Rande betrachtet, weil sie dem Papst und nicht dem Bischof unterstehen, wurden in dem Gutachten zahlreiche Orden. Vor drei Jahren hatten sich 13 Orden und Kongregationen zusammengetan, um Missbrauch aus ihren Reihen aufzuarbeiten. Gehört hat man seither wenig. So haben etwa die Ritaschwestern erst im Februar 2025 einen Aufruf gestartet und Betroffene, die in ihren Einrichtungen sexuelle, körperliche oder psychische Gewalt erfahren haben, gebeten, sich zu melden. Im März kündigten die Oberzeller Franziskanerinnen eine Missbrauchsstudie an.
Die Franziskaner-Minoriten haben bereits einen Untersuchungsbericht vorgelegt. Viele Orden aber sind bislang unbeleuchtet, auch sie müssen ihre Aufarbeitung endlich ernsthaft angehen und die Dunkelziffer aufhellen.
Wer sich beim deutschen Kinderschutz informiert, wird mit Entsetzen da mit ganz andere Zahlen konfrontiert:
etwa 14.000 Fälle von Missbrauch, die polizeiliche aktenkundig werden - und das jedes Jahr!
Die Aufarbeitung bei der katholischen Kirche hat begonnen (und muss selbstverständlich weitergehen!) - aber davon sind andere Institutionen der Jugendarbeit (Sportverbände, Jugendblaskapellen, Jugendfeuerwehren, Schulen - hier vor allem Internatsschulen zu nennen…) noch meilenweit entfernt, aus dieser Richtung hört man absolut nichts!
Daher greift dieser Kommentar leider viel zu kurz!
Finden Opfer wie Täter Stellen, an denen Heilung stattfinden kann?