
Die Unterrichtsstunden für Deutsch und Mathematik in der Grundschule aufstocken zu Lasten der musisch-kreativen Fächer und bei Bedarf auch Englisch: Das hat die Bayerische Staatsregierung in der Grundschulreform beschlossen und damit auf die schlechten Ergebnisse der Pisa-Studie reagiert.
Bettina Wohlleber, Schulleiterin der Fanny-König-Grundschule in der Zellerau, bewertet die Reform als positiv. Es sei ein Schritt in die richtige Richtung, den Grundschulen würde damit ein größerer Spielraum an Entscheidungsfreiheit gegeben. Durch die multikulturelle Zusammensetzung an ihrer Schule sei es ihr besonders wichtig zu schauen "Was brauchen unsere Kinder?", erst dann komme die Frage "Was sagt der Lehrplan?". Aufgrund der Reform könne sie einfacher Schwerpunkte setzen, und es könne ja auch fächerübergreifend gearbeitet werden: "Ich kann ja beispielsweise mit den Kindern etwas malen und gleichzeitig Übungen zum Wortschatz einbauen, die sich darauf beziehen."
Eine Grundschullehrerin aus Würzburg, die anonym bleiben will, findet, dass die bayerische Staatsregierung mit der Grundschulreform Probleme auf die Lehrkräfte abwälzt: "Für mich hört es sich so an, ja, wir haben ein Problem erkannt, aber wir vergeben es wieder mal schön an die Schulleitungen und Klassenlehrerinnen- und lehrer."
Dazu komme, dass die Verwaltung der kreativen Stunden schwieriger werde, da die Fächer Kunst und Musik meist vom Klassenlehrer gehalten werden, Werken und Gestalten hingegen meist von einer Fachkraft. Eine flexible Aufteilung dieser Stunden, wie von der Staatsregierung angedacht, sei so nur schwer möglich. Der Religionsunterricht werde ihrer Meinung nach nicht angetastet, "weil die CSU regiert und der Unterricht durch die Landeskirchen mitfinanziert wird".
Schulleiter würde sich eine Stunde "Glück" am Tag wünschen
Christoph-Rupert Schneider kann die schlechten Pisa-Ergebnisse nachvollziehen: "Den Abwärtstrend sehen wir seit Jahren, gerade in Deutsch", sagt der Schulleiter der Grundschule in Estenfeld. "Die zunehmende Digitalisierung sorgt dafür, dass Kinder der Bezug zum Lesen und zu Büchern verloren geht. Zudem stehen Eltern heute unter einem ganz anderem zeitlichen und gesellschaftlichen Druck. Die Schule muss dadurch viel mehr Erziehungsarbeit auffangen, für die eigentlich keine Kapazitäten da ist. Der Lehrermangel bringt uns zum Verzweifeln und Corona war für all diese Probleme noch mal ein Brandbeschleuniger", fasst der 56-Jährige zusammen.

Schneider begrüßt die Offensive von Kultusministerin Anna Stolz. "Es zeigt uns Lehrkräften, dass das Problem ernst genommen wird." Dass die dritte Stunde Religion zu Lasten der kreativen Fächer erhalten bleibt, hält er allerdings für falsch: "Wir brauchen die kreativen Fächer gerade für die Kinder, die sich in den anderen Fächern nur schwer ausdrücken können. Und davon gibt es immer mehr." Seiner Meinung nach findet eine Werteerziehung nicht nur in Religion statt: "Die dritte Stunde Religion hätte ich als erstes gestrichen. Es werden durch eine Stunde mehr nicht mehr Werte vermittelt. Werte müssen gelebt werden, in jedem Fach, zu jeder Zeit."
Der Rektor hat einen ganz anderen Vorschlag, den er aber selbst "leider nur eine Träumerei" nennt. "Schule sollte heißen, auch mal Zeit füreinander zu haben. Wenn ich es mir malen könnte, hätten die Schüler eine Stunde 'Glück' die Woche. Da würde es um Fragen gehen wie: Wie geht es dir? Was brauchst du gerade, um gut durch die Schule zu kommen? Was brauchen wir als Gruppe, als Gemeinschaft?"
Bürgermeisterin Judith Roth-Jörg sieht Kürzung der kreativen Fächer kritisch
Auch die Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW) Bezirk Unterfranken kritisiert die Einschränkung der kreativen Fächer. "Unser Bildungsauftrag bedeutet, den ganzen Menschen zu fördern. Die musischen Fächer bieten den Kindern die Möglichkeit, sich selbst zu erfahren und auszuprobieren und auch in der Gemeinschaft neue Ausdrucksmöglichkeiten kennenzulernen", sagt die Bezirkspersonalrätin und Grundschullehrerin Angela Berndt von der Würzburger Leonard-Frank-Schule in einer Pressemitteilung der GEW.
Schulbürgermeisterin Judith Roth-Jörg (CSU) begrüßt, dass auf die schlechte Pisa-Studie reagiert wird und auch an Grundschulen "etwas getan wird", eine Kürzung von Musik und Kunst aber sieht sie kritisch: "Genau diese Fächer regen die Kreativität der Kinder an und schulen auch ihre Feinmotorik." Besonders, wenn Kinder zuhause nie basteln oder musizieren, laufe man Gefahr, die Bildungsschere zu vergrößern.
Und: "Kinder, die Schwierigkeiten in den Kernfächern haben, brauchen Erfolge in den kreativen Fächern", meint Roth-Jörg. Warum an Religion nicht gekürzt wird? "Ich vermute, das liegt daran, dass mit der Kirche Staatsverträge geschlossen wurden über den Unterricht an den Schulen." Die Lösung der Staatsregierung sieht Würzburgs Schulbürgermeisterin nicht als richtigen Ansatz. Ihrer Meinung nach bräuchte es gezielte Lernförderung und Intensivierungsstunden in Kleingruppen. "Dazu müsste natürlich das Personal aufgestockt werden", sagt sie.
Petition "Stoppe die Zusammenlegung"
Viele Eltern von Grundschülerinnen- und Schülern in Würzburg sehen die Kürzung kritisch, so wird derzeit auch auf Social Media die Petition "Stoppe die Zusammenlegung der Fächer Kunst, Musik und Werken in den Grundschulen in Bayern" wieder und wieder geteilt, fast 200.000 Unterschriften sind schon zusammengekommen.
"Viel zu wenig Kreativ-Zeit wäre das dann für die Grundschüler", findet die Mama eines Achtjährigen aus dem Würzburger Frauenland, die die Petition unterschrieben hat. Diese kreativen Stunden förderten ja dann auch wieder die Konzentration der Kinder auf die Hauptfächer, so die Meinung der 42-Jährigen.
In der Musik spielt die Mathematik eine Rolle, welche für die geistige Reife eines Schülers wesentlich sein kann. Darüber hinaus besteht im Liedgut ein Moment der Sprachentwicklung. Ferner stehen die Lieder mit der kulturellen und historische-wissenschaftlichen Entwicklung einer Nation in Verbindung. Auch im Werken und der Handarbeit gibt es zu rechnen und zu messen. Diese Fächer sind oftmals angewandte Rechenexempel.
Kein Fach ist also so völlig isoliert von den anderen Fächern zu sehen.