Erst im neuen Schuljahr kommt der Umbau des Stundenplans an den bayerischen Grundschulen an, doch schon jetzt häuft sich Kritik am Konzept von Kultusministerin Anna Stolz. Minütlich wird sie größer. Mehr als 128.000 Menschen haben binnen drei Tagen eine Petition im Internet unterschrieben. Hauptkritikpunkt an den Umbauplänen, mit denen die Freie-Wähler-Ministerin auf die Schlappe der deutschen Schülerinnen und Schüler bei der Pisastudie reagiert: Um mehr Platz für Deutsch- und Mathematikstunden zu gewinnen, sollen die drei Fächer Musik, Kunst sowie Werken und Gestalten zu einem "Fächerverbund" werden. Hatten Dritt- und Viertklässler bisher wöchentlich eine Stunde Kunst und je zwei Stunden Musik und Werken, können die Schulleitungen sich jetzt auf insgesamt vier Stunden beschränken und diese flexibel über die einzelnen Fächer verteilen.
Initiatorin der Petition: "Ich habe gedacht, ich seh' nicht richtig"
Eltern empört das. "Stoppe die Zusammenlegung der Fächer Kunst, Musik und Werken in den Grundschulen in Bayern" heißt ihre Petition auf der Online-Plattform change.org. Initiiert hat sie Lisa Reinheimer, selbst Mutter und ehemalige Lehrerin aus Zweibrücken in Rheinland-Pfalz. Was kümmert sie das bayerische Schulsystem? "Ich habe gedacht, ich seh' nicht richtig", sagt Reinheimer in einem Video auf ihrem Instagramprofil über den Moment, als sie von der bayerischen Grundschulreform las. Sie sehe den Handlungsbedarf nach der verheerenden Pisastudie, sagt die Frau, die heute als Lerncoach arbeitet. "Aber muss es zum Preis der kreativen Fächer passieren? So viele Kinder ziehen ihr Selbstvertrauen oder ihre Freude, überhaupt in die Schule zu gehen, aus diesen Fächern." In Kunst, Musik und Werken würden viele wertvolle Kompetenzen gefördert, Problemlösen etwa oder eben Kreativität. Angesichts der drohenden Streichungen habe sie zum ersten Mal in ihrem Leben eine Petition eingereicht.
Auch Klaus Zierer, Professor für Schulpädagogik an der Universität Augsburg, hatte nach der Reform-Präsentation gegenüber unserer Redaktion einen Verbund aus Kunst, Musik und Werken kritisiert. Der Grundschulumbau werte diese Fächer ab, sagt Zierer. Zwar entscheiden die Schulen selbst, ob sie im Kreativbereich einschränken oder lieber woanders kürzen – beim in Sinn und Zweck umstrittenen Grundschul-Englisch etwa. Dennoch fürchtet Zierer, dass kreative Unterrichtszeit verloren geht. Seiner Meinung nach sollte sogar mehr Platz für Kunst, Musik und auch Sport geschaffen werden – Fächer, in denen Schulkinder lernen würden, wie man kooperiert, reflektiert und in denen sie ihre Persönlichkeit entwickeln könnten.
Zierer spricht sich stattdessen für eine "Entrümpelung" der Fachlehrpläne aus. So habe etwa die Wahrscheinlichkeitsrechnung in der Grundschule "keinerlei lebensweltliche Relevanz" für die Kinder. Würde man solche Inhalte zugunsten des Wesentlichen reduzieren, sagt er, "hätte es keine zusätzlichen Mathematikstunden gebraucht", dasselbe gelte für Deutsch.
Religion an der Grundschule bleibt von der Reform unberührt
Das allerdings ist auch ein Punkt in der Reform der Kultusministerin. Man wolle prüfen, wo man in den Lehrplänen "mehr Raum für Basiskompetenzen" schaffen könne, sagte Stolz diese Woche. Ihr waren bei der Kürzung ein Stück weit die Hände gebunden: Bei Sport zog Stolz selbst eine rote Linie, Heimat- und Sachunterricht fließt in die Übertrittsnote ein. Da bleibt nicht mehr viel übrig. Viele Eltern, die jetzt gegen Stolz' Pläne aufbegehren, hätten lieber Kürzungen im Fach Religion gesehen. Doch die Kirchen und Ministerpräsident Markus Söder (CSU) legten ihr Veto ein, obwohl bayerische Kinder mit drei Wochenstunden so viel Religionsunterricht haben wie nirgendwo sonst in Deutschland.
Ausgerechnet kommende Woche zeichnet Stolz 140 Schulen mit dem Siegel "musikbegeisterte Grundschule" aus. Eine davon ist die Comenius-Grundschule in Buchloe (Ostallgäu). Dort gibt es vier Chorklassen, die derzeit sogar bis zu vier Stunden Musik pro Woche haben. Rektor Georg Heinecker ist selbst leidenschaftlicher Musiker und fürchtet, dass Musik genauso wie Werken und Kunst durch den Zusammenschluss zu einem Fächerverbund "in der Außenwirkung enorm heruntergeschraubt wird". Dabei sei das Fach "extrem wichtig fürs soziale Miteinander". Auch Kunst und Werken hätten große Berechtigung: "Viele Kinder wissen ja gar nicht, wie sie Stift und Schere richtig halten."
Gleichzeitig betont Heinecker, dass man an Grundschulen längst fächerübergreifend denkt. "Jeder musikbegeisterte Lehrer holt auch in anderen Fächern mal die Gitarre raus oder singt mit den Kindern." Er erzählt von einer CD mit mathematischem HipHop, "wo die Kinder das Einmaleins beim Rappen lernen". Der Schulleiter ist sich sicher: "Musik wird an den Schulen nicht sterben."