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Mehr Care-Arbeit für Männer, weniger Online-Shopping: Ernste Themen beim Würzburger Neujahrsempfang
Was können wir alle tun, damit die Welt wieder etwas besser wird? Harvard-Absolventin und Soziologin Jutta Allmendinger gab beim Neujahrsempfang Antworten.
Die Soziologin Jutta Allmendinger sprach beim Neujahrsempfang der Stadt Würzburg mahnende Worte.
Foto: Silvia Gralla | Die Soziologin Jutta Allmendinger sprach beim Neujahrsempfang der Stadt Würzburg mahnende Worte.
Patrick Wötzel
 |  aktualisiert: 24.01.2025 02:40 Uhr

Wie in den letzten beiden Jahren ging es auch an diesem Sonntagvormittag beim Neujahrsempfang der Stadt viel um das Miteinander und den Zusammenhalt in der Gesellschaft. Etwa 400 Menschen waren in den Ratssaal gekommen, Oberbürgermeister Christian Schuchardt begrüßte Vertreter aus Politik, Verbänden, Behörden, Justiz, Hochschulen, Blaulichtorganisationen, Kirchen, Religionsgemeinschaften und "ganz besonders die normalen Mitbürgerinnen und Mitbürger und die Kolleginnen und Kollegen der Stadtverwaltung". Die Neujahrsansprache hielt in diesem Jahr die Sozialwissenschaftlerin Jutta Allmendinger aus Berlin.

Erst einmal sorgte die ehemalige Präsidentin des "Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung" für einen beim Neujahrsempfang eher ungewöhnlichen Moment: Sie stimmte zusammen mit den Anwesenden ein Geburtstagsständchen für FWG-Stadtrat und Handwerkskammer-Vizepräsident Josef Hofmann an. Nach der fröhlichen Gesangseinlage wurde es dann aber schnell ernst und nachdenklich.

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"Be kind" - zu Deutsch: "Seid freundlich" - sei ihr ganz großer Wunsch für das Jahr 2025, sagte Allmendinger und bezog sich damit vor allem auf den aktuellen Bundestagswahlkampf und andere politische Auseinandersetzungen: "Das Motto für uns alle sollte sein, einander zuzuhören und Freundlichkeit walten zu lassen."

Für Oberbürgermeister Christian Schuchardt ist es der letzte Neujahrsempfang als Stadtoberhaupt.
Foto: Silvia Gralla | Für Oberbürgermeister Christian Schuchardt ist es der letzte Neujahrsempfang als Stadtoberhaupt.

Jutta Allmendinger: "Wir ziehen uns zurück in die eigenen sozialen Kreise"

Die Waffenruhe im Gazastreifen, die eine gute Stunde vor ihrer Rede begonnen hatte, bezeichnete sie als "gutes Zeichen für den heutigen Tag". Ihr zweiter großer Wunsch für das neue Jahr: "Vielleicht bekommen wir es ja hin, dass auch in der Ukraine das Töten bald ein Ende hat."

Allmendinger sprach danach über demografische und soziale Entwicklungen, über Bildung, Migration, Digitalisierung und künstliche Intelligenz. Die Sozialwissenschaftlerin beobachtet in Deutschland eine Entwicklung hin zur Trennung unterschiedlicher gesellschaftlicher Schichten. "Wir ziehen uns zurück in die eigenen sozialen Kreise", sagte sie und hatte auch konkrete Lösungsansätze parat: So rät sie dazu, lieber ins Restaurant zu gehen, statt bei Lieferdiensten zu bestellen und besser in der eigenen Stadt einzukaufen, statt im Internet zu bestellen. Auch forderte sie, sozialen Wohnraum nicht getrennt von den Wohnungen finanziell besser gestellter Menschen zu bauen und wieder mehr konsumfreie Orte der Begegnung im öffentlichen Raum zu schaffen. "Gerade in den neuen Bundesländern gehen solche Orte immer mehr verloren. (…) Wir müssen die Menschen wieder zusammenbringen", forderte Allmendinger.

Rund 400 Gäste aus Politik und Gesellschaft waren zu Gast im Würzburger Ratssaal. 
Foto: Silvia Gralla | Rund 400 Gäste aus Politik und Gesellschaft waren zu Gast im Würzburger Ratssaal. 

Allmendinger sprach außerdem über die wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands in Zeiten des Fachkräftemangels. Lösen lasse sich das Problem unter anderem dadurch, dass Geflüchtete so früh wie möglich Deutsch lernen und ihre Ausbildungen und Abschlüsse unbürokratischer als bisher anerkannt werden. "Wir dürfen sie nicht in irgendwelche Camps am Rand stecken, sondern müssen ihnen helfen", so Allmendinger. Die aktuelle Debatte um "Remigration" hält die Harvard-Absolventin "für das Falscheste, was wir tun können."

Männer sollten mehr unbezahlte Care-Arbeit übernehmen

Auch eine Erhöhung der Erwerbstätigkeit von Frauen würde der Wirtschaft helfen - allerdings nur unter der Maßgabe, dass Männer einen Teil der unbezahlten Tätigkeiten bei der Kindererziehung und der Pflege von Angehörigen übernehmen. "Eine solche Umverteilung von bezahlter und unbezahlter Tätigkeit führt nicht in den wirtschaftlichen Abgrund", so die 68-Jährige: "Es erhöht die Produktivität, weil Frauen im Durchschnitt besser als Männer ausgebildet sind." Nach dieser Aussage fiel der Applaus im Saal deutlich verhaltener aus als an anderen Stellen.

Der Oberbürgermeister Christian Schuchardt hatte zuvor die Stadtentwicklung des vergangenen Jahres Revue passieren lassen und einen Ausblick auf 2025 gegeben. Die Arbeit von Umwelt-Bürgermeister Martin Heilig (Grüne) und Schul-Bürgermeisterin Judith Roth-Jörg (CSU), die sich beide um seine Nachfolge bewerben, lobte er dabei gleichermaßen. Schuchardt forderte die Anwesenden auf, bei Bundestags- und OB-Wahl vom Wahlrecht Gebrauch zu machen und dafür zu sorgen, dass Würzburg "vom schon viel zu weit fortgeschrittenen Rechtsruck" weiterhin verschont bleibe. Schuchardt plädierte außerdem für einen sauberen und fairen Wahlkampf ohne persönliche Angriffe: "Anstand sollte das Markenzeichen der Demokratie in unserem Land bleiben."

 
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  • Stefan Flessa
    Wenn die Frau drei vollwertige Uni—Diplome hat und der Mann „nur“ ein FH-Diplom - nur als Beispiel.

    Kommt vor.

    Augen auf bei der Berufswahl! ;-)

    Das ist doch genau das Problem: wenn ich beispielsweise irgendwas soziales studiere oder Psychologie - da verdient man nur einen Bruchteil von dem, was in der Wirtschaft möglich ist…. Und schon sind wir mitten drin in der Diskussion um den Gender pay gap - ja. Das ist ein strukturelles Problem….
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  • Martin Deeg
    Man muss beim Vergleichbaren bleiben: Männer "verdienen" im sozialen Bereich nicht mehr als Frauen im sozialen Bereich! Ebensowenig im öffentlichen Dienst, bei Polizei, Justiz etc., in der Gastronomie etc.; und es gibt auch zahlreiche Bereiche, wo Frauen ungleich mehr verdienen: im Modelbereich.

    Diese vorgebliche Ungleichheit ist kein "strukturelles Problem" sondern eine Legende, die bereits im Einzelfall zu widerlegen ist, indem man eben den Einzelfall anschaut!
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  • Hans-Martin Hoffmann
    Jaja, die Care-Arbeit -

    da frage ich mich immer mal wieder, wo die Zeit und die Kraft dafür herkommen sollen bei dem ganzen Fachkräftemangel, Trend zu weniger Teilzeitarbeit, Rente mit 67... meine Voraussage ist, dass "der Staat" immer mehr wird bezahlen müssen für Arbeiten, die früher von Angehörigen gewuppt werden konnten. Erstens weil es weniger Angehörige gibt (Kinderzahl sinkt weiter), zweitens weil die Familienverbände auch räumlich immer weiter aufreißen, drittens weil die Lebenshaltungskosten derart steigen, dass das mit Einkommenseinbußen z. B. wg. Pflegeaufwand nicht zu vereinbaren ist (bzw. wenn man mal kurz vor der 70 ist, fallen Anstrengungen ein wenig schwerer, die mit 40 oder so noch geschenkte Übung waren...).

    Also Frau Allmendinger hat ein Problem erkannt, aber Vorschläge zur Lösung gab es anscheinend keine ("be kind"= "sei nett" muss man sich erstmal leisten können). Schade!
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  • Martin Deeg
    ...."dass "der Staat" immer mehr wird bezahlen müssen für Arbeiten, die früher von Angehörigen gewuppt werden konnten."....

    Müsste er ja - das Gegenteil ist der Fall: es wird versucht, immer weniger zu bezahlen und Angehörigen etc. immer mehr aufzulasten, wofür zunehmend die Fachkräfte fehlen.

    Und: natürlich sind viele Probleme das Ergebnis sinnloser Aggression und Egozentrik.

    Gerade "Freundlichkeit" und Entgegenkommen wird da gerne zu vermeintlicher Schwäche umgedeutet und gegen den verwandt, der auf Kommunikation und Lösungen setzt. Insofern hat Frau Allmendinger mit ihrem Appell recht, nicht nur was politische Auseinandersetzungen angeht sondern auch den Zusammenhalt und die Solidarität im Alltag, zwischen Männern und Frauen bspw. - männerverachtender Feminismus ist Teil des Problems.
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  • Hans-Martin Hoffmann
    Wie ich sagte - @ Martin Deeg -

    Frau Allmendinger hat ein Problem erkannt, aber nicht wirklich Lösungsvorschläge gemacht. In einer Welt, die immer mehr nach dem Motto lebt, "wenn jede/r an sich selber denkt, ist auch an alle gedacht", werden (zu...) freundliche Menschen nur ausgenutzt, und wer will schon ausgenutzt werden?

    Ich frage (mich) an dieser Stelle (einmal mehr), wie konstruktiv bzw. nachhaltig "unsere" Paradigmen sind. Die daraus folgende Frage ist vmtl. noch schwerer zu beantworten, nämlich ob wir das wirklich so beabsichtigen und wie es weitergehen soll.
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  • Dietmar Eberth
    Wie wärs mit einer Arbeitspflicht von arbeitsfähigen Bürgergeldempfängern (1,7 Mio in Deutschland) wie von AfD und CDU in Schwerin beschlossen?

    https://www.bild.de/politik/inland/buergergeld-erste-stadt-verdonnert-stuetze-empfaenger-zur-arbeit-67764c4ac059a70650639399
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  • Hans-Martin Hoffmann
    Naja - @ Dietmar Eberth -

    also ich würde mich bedanken, wenn unzufriedene/ wenig motivierte/ genervte Menschen mich pflegen sollten. Das könnte allerdings in der Gesamtheit betrachtet die Lebenserwartung der "Gepflegten" senken und somit zu einer Einsparung im Rentensystem führen...

    Einen Job im Pflegebereich muss man mMn wirklich machen wollen, wenn alle Teile damit glücklich werden sollen.

    Ich stimme Ihnen aber insoweit zu, dass es genug Dinge gibt, die sonst von Ehrenamtlichen gemacht würden, w.z.B. das Kümmern um öffentliche Einrichtungen, wo flankierende gemeinnützige Arbeit nicht schaden könnte.
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  • Stefan Flessa
    Ich stelle mal die These auf: mehr Care -Arbeit für Männer - das wird zum finanziellen Problem, solange die Männer den großen Batzen Geld heimbringen und mehr Care-Arbeit finanzielle Einbußen für die Familie bedeutet….

    Da wird kaum eine Familie so idealistisch sein und das eh schon knappe Geld auf Befehl von Frau Allmedinger zum ideologischen Fenster rauswerfen.

    Der Alltag muss als Familie gewuppt werden. Wohl dem, der Reserven hat und Unterstützung. Wie viele Familien müssen inzwischen ohne Oma und Opa in der Nähe auskommen, wie viele Eltern würden sich freuen, wenn sie mal Zeit zum Durchschnaufen bekommen würden.

    Ideologische Vorgaben helfen da nicht. Es braucht praktische Hilfe.

    Also Frau Allmedinger: kommen sie und unterstützen Familien: Männer, die die Care Arbeit machen genauso wie die vielen Frauen! Familien sind intelligenter als sie denken. Ich kenne auch Beispiele, da ist der Mann zu nahezu 100% für die Care Arbeit zuständig. Familien sind intelligenter als sie denken.
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  • Martin Deeg
    ….“Ich kenne auch Beispiele, da ist der Mann zu nahezu 100% für die Care Arbeit zuständig.“….

    Tatsächlich? Ich nicht. Nach meiner Erfahrung haben (gerade gebildete und karriereorientierte) Frauen ein sehr großes Problem damit, Männer als Partner zu akzeptieren, die einkommensmäßig und vom „Status“ her unter ihnen stehen. Ein „Hausmann“? Völlig undenkbar, nicht vorzeigbar.
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  • Stefan Flessa
    Herr Deeg, ich gebe Ihnen Recht: es ist selten.

    Und ja: es gibt hier und da glücklicherweise Ausnahmen von dem, was die Regel ist und was Sie beschreiben.
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  • Lutz Saubert
    "Es erhöht die Produktivität, ..." Welches Menschenbild steht hinter einer solchen Aussage. Ein unmenschliches.
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  • Dominik Temming
    "Es erhöht die Produktivität, weil Frauen im Durchschnitt besser als Männer ausgebildet sind." Stell' dir mal vor, ein Mann stünde da und würde über Frauen einen schlechten Fakt raushauen... das gäbe ein Shitstorm. Aber gut, Feminismus machts möglich.
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  • Stefan Flessa
    By the way: was nützt eine bessere Bildung, wenn am Ende doch der Mann - auch mit weniger Bildung - mehr verdient als die Frau?

    Das ist viel zu kurz gedacht!

    Am Ende ist und bleibt für zu viele Familien das Geld der entscheidende Faktor!

    Da gilt es anzusetzen und dann übernehme ich als Mann liebend gerne mehr Carearbeit, wenn ich weiß, dass die Finanzen für meine Familie auch passen, wenn ich weniger bezahlt arbeite und mehr unbezahlt in der Familie.
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  • Martin Deeg
    ...."wenn am Ende doch der Mann - auch mit weniger Bildung - mehr verdient als die Frau?"....

    Wo soll das sein?
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  • Fabian König
    Naja, wenn's stimmt?
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  • Dominik Temming
    @Fabian: Wenn's stimmt, darf man das sehr gerne beim Namen nennen. Aber bitte nicht beschweren, wenn man auch andere Fakten benennt, wo es dann gerne heißt "Das darfst du nicht laut sagen, du pauschalisierst gerade und bedienst Stereotype"
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