Mit prüfendem Blick packt Carlos Nähle Lebensmittel in eine Kiste. Abgepackter Kartoffelsalat, Fischfilet, Crème fraîche. Jedes Mal schaut kurz er nach dem Mindesthaltbarkeitsdatum, dann wandern die Produkte in eine der Boxen. Zack, zack, zack. Die vollen Kisten landen im Kofferraum des weißen Lieferwagens, dann schwingt Nähle sich auf den Fahrersitz und schon rollt das Auto vom Parkplatz des Supermarkts. Zeit zum Trödeln bleibt nicht, denn der Zeitplan ist eng getaktet. Der Rentner ist einer von mehr als 70 Ehrenamtlichen im Team der Tafel Ochsenfurt. Insgesamt neun Stationen fährt der 70-Jährige an diesem Samstagvormittag an, um übriggebliebene, aber in der Regel einwandfreie Lebensmittel für die soziale Einrichtung abzuholen. Die gehen später an Menschen, die mit wenig Geld auskommen müssen.
Lebensmittelspenden sind zurückgegangen
Heute ist Nähle weniger zufrieden mit der Ausbeute. "Es sind leider nicht so viele Brötchen wie sonst dabei", stellt er fest. Auch bei einem Gemüsebauern in Segnitz hat er heute kein Glück. Im Sommer dürfe die Tafel dort so viele Gurken abholen, wie die Einrichtung für die Ausgabe an Bedürftige brauchen könne. Doch die Saison hat noch nicht begonnen. Deshalb geht auch die Tafel heute leer aus. Der Laderaum des Sprinters ist am Ende der Rundfahrt nur zur Hälfte gefüllt.
Generell seien die Lebensmittelspenden – vor allem von Supermärkten – nach seinem Empfinden zurückgegangen, sagt Nähle. Schon seit elf Jahren ist der Rentner mittlerweile dabei. Zurzeit ist er vor allem Springer und übernimmt Fahrten, wenn an einem Samstag ein Kollege ausfällt. "Da wird heute wohl besser kalkuliert als früher", vermutet Nähle. Das sei erstmal gut und ein Zeichen für weniger Lebensmittelverschwendung. Gleichzeitig könne die Tafel so aber auch weniger Waren ausgeben.
Als Nähle den Lieferwagen der Tafel gegen Mittag zurück auf den Hof steuert, sitzen dort vor dem Gebäude in der Uffenheimer Straße schon Menschen auf Stühlen oder im Gras in der Sonne. Mütter und Väter mit ihren Kindern, junge Männer und Frauen, Rentnerinnen, Rentner. Es sind Menschen, die vor Krieg und Verfolgung geflohen sind. Und es sind Deutsche. Sie alle haben eines gemeinsam: Sie haben nur wenig Geld zum Leben.
Mehr Platz für die Tafel in Aussicht
Drinnen werden währenddessen die Lebensmittel sortiert. Brot und Backwaren sowie Joghurt und Milchprodukte werden in einem Raum für die Ausgabe vorbereitet, Obst, Gemüse, aber auch Abgepacktes wie Nudeln, Kekse oder Gewürzgurken in einem anderen.
"Es ist sehr, sehr eng hier", sagt Helga Sennefelder, die heute die Teamleitung übernommen hat. Lange musste sich die Tafel das Gebäude mit dem Jugendzentrum und der Rettungswache des Bayerischen Roten Kreuzes teilen. Dank eines neuen Standorts für den Rettungsdienst, gebe es jetzt bald auch mehr Platz für die Tafel, sagt sie. Doch bis dahin müsse es eben so gehen.
Erst in etwa einer Stunde wird die Tafel ihre Tür öffnen. Für insgesamt 138 Personen werden die Ehrenamtlichen an diesem Tag ausgeben, was es zum Leben braucht. Bis es losgeht, ist für die Helferinnen und Helfer noch Zeit für einen Kaffee. Viele von ihnen sind seit Jahren dabei. "Mir geht es gut. Deshalb möchte ich auch helfen", sagt Michaela Voshagen, die später Milchprodukte und Gekühltes ausgeben wird. Die Schicksale der Kundinnen und Kunden bekäme man am Rande mit, sagt sie. Einige kämen schließlich seit Jahren. Doch das dürfe man nicht an sich heranlassen, so die einhellige Meinung der Ehrenamtlichen.
Doppelt so viele Bedürftige nutzen das Angebot
Seit im vergangenen Jahr die ersten Geflüchteten aus der Ukraine nach Deutschland gekommen sind, habe der Ansturm deutlich zugenommen, sagt Traudl Baier, Vorsitzende der Tafel in Ochsenfurt: "Die Zahlen haben sich verdoppelt." Zusammengenommen seien es mehr als 400 Personen, die derzeit mit Lebensmitteln unterstützt werden. Unmöglich für die Tafel, alle im gleichen Maß zu versorgen wie zuvor.
Dass sich der Sozialstaat auf das freiwillige Angebot der Tafeln verlasse, werde in solchen Situationen immer wieder deutlich, kritisiert Baier, die seit 21 Jahren ehrenamtlich mitarbeitet. Für die Tafel in Ochsenfurt war die Folge dieses Ansturms nicht nur ein Aufnahmestopp im Oktober vergangenen Jahres. Auch die Ausgabe musste neu organisiert werden, sagt die Vorsitzende. Statt wöchentlich, sei jede Kundin und jeder Kunde nun nur noch alle zwei Wochen an der Reihe.
Beschwerden darüber habe es keine gegeben, sagt Baier. Einige Menschen, die seit Jahren die Tafel besuchen, trifft der neue Ausgabe-Rhythmus dennoch. Darunter auch eine fünffache Mutter aus Gaukönigshofen, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen möchte. "Ich habe die Umstellung schon im Geldbeutel gemerkt", sagt sie. Hinzukomme die Inflation, die ihrer Familie finanziell zu schaffen mache. "Selbst im Discounter muss ich für Lebensmittel jetzt 200 Euro in der Woche hinlegen."
Sie sei es gewohnt, auf das Geld schauen zu müssen, sagt die 37-Jährige. Sie selbst habe kein Einkommen und das Gehalt ihres Mannes sei um wenige Euro zu hoch, um Bürgergeld erhalten zu können. Deshalb sei sie dankbar für die Unterstützung durch die Tafel, sagt sie. "Dann bleibt doch etwas mehr für die Kinder übrig."
Die Ehrenamtlichen müssen kalkulieren
Um 13.45 Uhr geht es los. Helga Sennefelder kommt mit einer Liste, Körbchen und nummerierten Chips in der Hand nach draußen. Die Teamleiterin organisiert heute gemeinsam mit einer jüngeren Kollegin die Ausgabe. Wer wann an der Reihe ist, entscheidet der Zufall. Einen oder zwei Euro kostet es Bedürftige, das Angebot der Tafel zu nutzen – je nachdem, wie viele Menschen sie mitversorgen. Ein eher symbolischer Betrag, sagt Traudl Baier.
Dann betreten die Kundinnen und Kunden der Reihe nach die Räume der Tafel. Brot, Äpfel, Müsli und Schokolade wandern über den Tresen. Ein Kunde fragt nach einem zweiten Salat. Doch Rita Hehn, die heute hinter der Gemüsetheke steht, schüttelt den Kopf, denn Salat ist heute Mangelware. "Man muss manchmal streng sein", sagt sie. "Sonst reicht es nicht für alle."
Lebensmittelspenden alleine reichen nicht mehr
Immerhin: In den Monaten nach Kriegsbeginn in der Ukraine ist die Spendenbereitschaft stark gestiegen, wie Traudl Baier sagt. Das Geld könne die Tafel gerade gut gebrauchen. Von ihm kaufe der Verein zu, woran es sonst fehlen würde. Vor allem frische Waren seien das – Butter, Käse, Milch, sagt die Vorsitzende. Eigentlich widerspreche das dem Prinzip der Tafel. Schließlich gehe es darum, Lebensmittel zu retten, die sonst in den Müll wandern würden. Wie viele gespendete Ware die Tafel bekommt, variiere von Woche zu Woche, sagt die Vorsitzende. "Aber ohne die gekaufte Ware hätten wir zurzeit zu wenig für die vielen Leute."
Für heute ist es geschafft. Alle Kundinnen und Kunden sind versorgt. Trotzdem: Mehr bedürftige Menschen, weniger Lebensmittel – das sei eine Entwicklung, die ihr Sorgen mache, sagt Baier. Entmutigen lassen will sie sich nicht: "Irgendwie haben wir das immer hinbekommen."
Ein Thema, was keiner bearbeitet haben will…
Die Tafeln sind für mein Dafürhalten eine Einrichtung, die sich wichtiger macht, als sie ist. Deswegen wird sie von der Politik nicht wirklich ernst genommen, sondern von Leuten, die sich wichtiger nehmen, als sie sein werden.
Aber egal, er ist wichtig.
"Es wird niemand etwas weggenommen" sagte einst eine Politikerin.
Das ist wirklich armselig.