Am Abend war er in Veitshöchheim bei der Aufzeichnung von "Fastnacht in Franken" zu Gast, am Mittwochvormittag kam Bayerns Ministerpräsident Markus Söder zum Interview in die Redaktion. Es wurde ein launiges Gespräch mit dem 55-jährigen CSU-Chef - obwohl es vor allem um ernste Themen ging: Impfpflicht, "Querdenker" und der Weg aus der Pandemie.
Markus Söder: Einige Menschen haben sich in der Pandemie leider in eine Welt von Verschwörungstheorien verirrt. Die Gesamtzahl derer, die gegen die Corona-Maßnahmen demonstrieren, geht zurück, aber es bleibt sicher ein harter Kern. Hier besteht die Gefahr, dass der dann gefährlicher wird. Wir dürfen am Ende keine Corona-RAF bekommen, für die Gewalt akzeptabel wäre.
Söder: Es ist wichtig, konsequent gegen antidemokratische Tendenzen vorzugehen. Wir haben in Bayern leider schlimme Einzelfälle gehabt, bei denen sich zum Beispiel Polizisten zur Ideologie der Reichsbürger bekannt haben. Hier wurde konsequent die Pension aberkannt. Bei den Schnellverfahren nach den "Spaziergängen" in Schweinfurt hat der Rechtsstaat zügig gearbeitet und geurteilt. Und wir haben an der Generalstaatsanwaltschaft eine Stelle geschaffen, die seit zwei Jahren bayernweit sehr konsequent gegen Hass und Hetze im Internet vorgeht. Damit setzen wir klare Grenzen und bieten antidemokratischen Kräften die Stirn. Einige finden übrigens wieder den Weg zurück in die Mitte und entschuldigen sich sogar, wenn sie die konsequenten Reaktionen des Rechtsstaates spüren.
Söder: Am Anfang waren manche überrascht, wie viele Menschen gekommen sind. Beobachter berichten, dass bei den Demonstrationen in Schweinfurt vor allem Autokennzeichen mit einer Herkunft außerhalb Bayerns gesehen wurden.
Söder: Der Verfassungsschutz hat vor vielen Entwicklungen gewarnt. Gut wäre es, wenn der Verfassungsschutz die gesamte AfD beobachten könnte. Denn die wandert immer weiter nach rechts und entwickelt sich zum parlamentarischen Arm der "Querdenker"-Szene. Was generell auf Seiten des Bundes fehlt, ist ein entschlossenes juristisches Vorgehen gegen Plattformen wie Telegram. Am wirkungsvollsten wäre in Deutschland ein Abschalten von Telegram – man nennt das Geoblocking –, weil über diese Plattform leider mit Abstand die meiste Hetze verbreitet wird.
Söder: Telegram agiert als Briefkastenfirma in Dubai und ist kaum zugänglich. In anderen Teilen der Welt ist Telegram möglicherweise ein Kanal der Demokratie. Bei uns ist es ein Kanal der Verunsicherung und Fake News.
Söder: Es gibt dort den rechtsextremen Bereich und auch Verschwörungstheoretiker. Aber nicht nur – sondern auch Bürger, die pandemiemüde sind und lediglich bei "Spaziergängen" mitgehen. Es ist jetzt die Aufgabe, denjenigen ein Angebot zu machen, wieder zurück in die demokratische Mitte zu finden.
Söder: Es gilt bei Corona immer der Maßstab der Wissenschaft. Doch eine Überlastung des Gesundheitssystems droht inzwischen nicht mehr, weil Omikron weniger gefährlich ist. Darauf muss man reagieren, indem man nicht "Team Stur" ist, sondern das "Team Vorsicht" und "Team Freiheit" in die richtige Balance bringt. Übrigens: Früher war der Begriff "Freiheit" ein eher linker Begriff. Das hat sich verändert: Das Bürgertum fühlte sich schon vor Corona immer stärker eingeengt von bürokratischen Vorgaben und Regeln. Deshalb muss man ein neues Freiheitsversprechen auf den Weg bringen. Wir wollen dieses Dickicht an Verordnungen lichten und wieder mehr Eigenverantwortung etablieren.
Söder: Wenn wir Corona einmal kurz außer Acht lassen: Der Großteil aller Vorgaben kommt aus Brüssel, sie werden in Berlin nochmal verkompliziert und kommen dann nach München. Auch hier wird manchmal noch an der Bürokratieschraube gedreht. Das muss sich ändern.
Söder: Wir waren von Corona in Bayern immer stärker betroffen, weil wir die längste Außengrenze in Deutschland haben und unsere Freunde in Österreich und Tschechien stets ein reges Infektionsgeschehen hatten. Außerdem haben wir im Süden Bayerns traditionell niedrigere Impfquoten. Ende Dezember waren daher die bayerischen Krankenhäuser überlastet und wir mussten angemessen reagieren. Insgesamt haben die Maßnahmen gut gewirkt und wir haben das Land und die Menschen gut beschützt. Wir haben versucht, jede einzelne Phase der Pandemie angemessen zu managen. Es wäre falsch gewesen, immer das gleiche zu machen, wenn sich die Situation ändert. Delta war gefährlicher als Omikron, also ist auch das Pandemie-Management anders gewesen. Aber klar: Auch wir können und wollen immer besser werden.
Söder: Omikron ist viel weniger gefährlich als frühere Virusvarianten. Bayern hat zwar eine hohe Inzidenz, aber im Vergleich zur vierten Welle ist nur ein Drittel der Intensivbetten mit Corona-Patienten belegt. Und für Geboosterte ist der Verlauf zum Glück meist eher mild. Daher ist es jetzt vertretbar, den Einstieg in den Ausstieg zu planen. Der Staat kann nicht die komplette Verantwortung für jeden einzelnen übernehmen. Es ist mehr Eigenverantwortung möglich. Was wir aber brauchen, ist ein gesetzliches Basis-Paket, das Masken-Pflicht und Tests gerade in den Schulen weiterhin möglich macht. Nur damit können das Schuljahr und die Abschlussprüfungen ohne Sorge und Druck stattfinden. Und zudem bedarf es einer Notfallstrategie für mögliche Mutationen im Herbst.
Söder: Wir brauchen zumindest eine temporäre allgemeine Impfpflicht. Impfen ist für den Herbst und für die nächsten ein oder zwei Jahre der beste Schutz vor denkbaren Mutationen. Deshalb ist die Diskussion über die Richtigkeit der Impfpflicht auch bedauerlich. Obwohl sich alle Ministerpräsidenten und die Bundesregierung für eine allgemeine Impfpflicht ausgesprochen haben, tut im Bund keiner etwas dafür. Die zuständige Bundesregierung erklärt sich für neutral und lässt diese zentrale Debatte ohne Führung laufen. Wenn die Impfpflicht am Ende scheitert, geht das auf das Konto der Bundesregierung. Das wäre für den Herbst ein hohes Risiko.
Söder: Wir haben von Anfang an gesagt: Wir wollen eine allgemeine Impfpflicht. Der Unions-Vorschlag versucht, die losen Enden der Diskussion über die Impfpflicht zusammenzubringen und eine Brücke zu bauen.
Söder: Natürlich müssten frühzeitig alle Vorbereitungen getroffen werden. Die organisatorischen Fragen – etwa nach einem Impfregister – müssen geklärt sein. Sonst bekommen wir eine Situation wie bei der Impfplicht für Pflegekräfte: Alle Sozialverbände und die Kommunen haben dabei Alarm geschlagen und vor einem Pflegechaos gewarnt.
Söder: Ja, Bayern bekennt sich zur einrichtungsbezogenen Impfpflicht. Aber sie muss auch umsetzbar sein. Da hat der Bund leider schlampig gearbeitet.
Söder: Wir sind natürlich rechtstreu. Und durch unseren Einsatz hat sich etwas bewegt. Jetzt ist noch Zeit für den Bund, nachzubessern. Wir erwarten das.
Söder: Wir brauchen sehr großzügige Übergangsfristen. Es wird auch Ausnahmen geben. Aber der Prozess ist noch nicht abgeschlossen und wir stehen noch vor vielen ungeklärten Fragen.
Söder: Die Wahrheit ist doch: Dieses Gesetz wird vom Bund gemacht, also ist er auch für die Umsetzbarkeit verantwortlich. Wir sehen uns als Anwalt der Pflege. Und wenn vor Ort Dinge nicht umgesetzt werden können, müssen wir das deutlich sagen. Jetzt wird in Berlin reagiert. Gut so.
Söder: In den Krankenhäusern ist die Impfquote sehr hoch, da sehe ich weniger Probleme. In der Altenpflege und anderen Pflegebereichen ist das leider anders. Dort ist die Personalsituation ohnehin schwierig und es könnte so rasch zu einer echten Pflegekrise kommen. Vor allem, wenn keine allgemeine Impfpflicht nachkommt: Dann könnten nämlich Impfunwillige auf andere Berufe ausweichen.
Söder: In manchen Heimatländern von Pflegekräften sind die Impfquoten leider traditionell geringer als bei uns. Und dann schwirren immer noch viele Falschinformationen durch das Netz, die gerade junge Frauen verunsichern. Es ist zu respektieren, wenn Frauen mit Kinderwunsch oder Schwangere sich genau Gedanken machen. Aber nach einem Jahr und Milliarden von Impfungen können wir Vertrauen fassen.
Söder: Die beste Vorsorge ist Impfen – auch gegen mögliche neue Mutationen. Es gibt aber keine hundertprozentige Sicherheit gegen Corona. Auch jetzt nicht. Als sich die Lage durch Delta im Winter erholte, hofften wir auf ein entspannteres Neujahr – und dann kam mit Omikron die nächste Welle.
Söder: Es muss einen geben, der es aus- und zusammenhält, der mit Vernunft und Empathie entscheidet. Das ist kraft Amtes der Ministerpräsident. Natürlich passieren auch Fehler. Aber nur wer nichts macht, macht auch keine Fehler. Ich glaube im Übrigen, die eigentliche Bewährungsprobe für Politiker sind weniger die Umsetzung selbst gesetzter Ziele, sondern das Bestehen von Herausforderungen, die vom Leben gestellt werden. Ich habe am Anfang von Corona tatsächlich oft gedacht: Warum wir? Warum in unserer Zeit? Ich habe meine Vorgänger um Rat gefragt. Es gab große Solidarität, aber keine echte Orientierung. Wie auch – so etwas gab es noch nicht. Man sucht dann nach Spuren, in denen man gehen könnte. Aber Corona war wie ein weißes Schneefeld über einem Gletscher, auf dem man keinen Pfad sah und nicht wusste, wo vielleicht die nächste Spalte wartet. Wir mussten Dinge entscheiden, von denen ich vorher gar nicht wusste, dass das möglich ist: zum Beispiel Geschäfte zu schließen oder Ausgangsbeschränkungen zu verhängen. Übrigens wurden diese Entscheidungen überwiegend im Nachhinein von den obersten Verfassungs- und Verwaltungsgerichten bestätigt.
Söder: Ich bin überzeugt, dass wir alle zusammen das im Großen und Ganzen in Bayern gut gemeistert haben. Wir haben nach einer Schätzung des Landesamts für Gesundheit über 130 000 Leben gerettet. Das ist bleibend. Vieles lief natürlich zu Beginn tastend, vieles musste rasch entschieden und manches auch korrigiert werden. Aber viele Menschen sagen mir, dass sie trotz aller Beschwer froh waren, während dieser Zeit in Bayern zu leben. Und das gibt mir Motivation.
den Bericht finden Sie hier: https://www.mainpost.de/regional/schweinfurt/spaziergang-gegen-corona-massnahmen-in-schweinfurt-warum-die-stimmung-kippte-art-10700041
Viele Grüße,
Benjamin Stahl, Regionalredaktion
Ihr in den Heilewelt-Dörfern (aus denen viele allenfalls im Urlaub mal raus kommen) könnt es euch wohl nur schwer vorstellen aber in den Großstädten wird man mit der Realität konfrontiert, dann ticken die Uhren anders. So war es schon immer. So war es auch zu Zeiten der RAF. So ist es heute immer noch.
Sind Sie Zeitzeuge? Oder verlassen Sie sich (blind) auf das was die Medien so widergeben? Geschichte wird oft etwas verzerrt dargestellt, vor allem wenn sie von Leuten verfasst wird die das Geschehen nur vom Hörensagen kennen. Manche Berichte die Jahrzehnte später verfasst werden lesen sich dann wie einem Roman entsprungen, den Leser freuts. Es geht halt nichts über eigene Erfahrungen! Die besitze ich aus der RAF-Zeit reichlich. Übrigens auch aus den Zeiten der 68er Proteste.
Ich habe nie behauptet, dass es Kinder der Großstadt waren. Ich habe lediglich geschrieben., dass in Großstädten die Uhren anders ticken als in den Dörfern wo man sich gemütlich einigelt und die Realität sehr oft sehr weit entfernt ist.
1967 ist Herr Söder geboren, das faktische Ende der RAF war 1978, 1992 gab es noch einen Ausläufer in Bad Kleinen, den diese Terrorgruppe, mit dem Tod eines GSG 9 - Beamten zu verantworten hat.
1978 war Herr Söder gerade mal 11 Jahre alt!
Ich habe meinen Teil zur Bekämpfung der Pandemie beigetragen, indem ich mich habe impfen lassen. Ich finde es aber absurd, "Andersdenkende" mit so einer Terrorgruppe in einen Topf zu schmeißen!
Die RAF hat immerhin 37 Menschen getötet (1969 - 1992) und sie sind immer noch nicht alle gefasst und so manches Verbrechen in jüngster Zeit, wird der verbliebenen RAF zugerechnet. So eine Aussage macht mich fassungslos.