
Die Zahl der Krankentage ist deutlich gestiegen, eine Debatte um den Vorschlag, Lohnzahlungen am ersten Krankheitstag abzuschaffen, ist entbrannt. Den Vorwurf, die Arbeitnehmer machten massenhaft blau, wiesen Ärzte wie auch Krankenkassen zurück. Wie sieht es in Unterfranken aus?
Klar habe er manchmal das Gefühl, dass ein Patient schwindele, sagt Joachim Lentzkow, unterfränkischer Vorstandsbeauftragter der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns (KVB) und Hausarzt mit eigener Praxis in Goldbach (Lkr. Aschaffenburg). Im Gespräch verrät der Mediziner, wie er mit Simulanten umgeht, wann Ärzte bockig werden und warum er Desinfektionsspender in Straßenbahnen kritisch sieht.
Joachim Lentzkow: Nein, aus meiner Sicht ist die Zahl nicht gestiegen. Ich stelle saisonal bedingt mal mehr, mal weniger Krankmeldungen aus. Im Moment rollt die Grippewelle durch Unterfranken, da ist es zum Beispiel mehr. Und sicher ist es grundsätzlich durch die telefonische Krankschreibung einfacher geworden, an eine Krankmeldung zu kommen.
Lentzkow: Ich glaube nicht, dass viele Menschen das ausnutzen. Außerdem darf ich nur diejenigen telefonisch krankschreiben, die ich kenne. Als Hausärzte fragen wir die Symptome ab und die Patienten schildern sie – das kann man telefonisch genauso machen, wie im direkten Gespräch. Wenn Patienten enorm leiden und erzählen, sie haben die ganze Nacht erbrochen, dann kann ich das schwer überprüfen. Ich muss das glauben. Natürlich kann ich in der Praxis untersuchen, abhören, an die Stirn langen, in den Hals und die Ohren schauen. Aber im Endeffekt reicht mir die Schilderung für die Krankmeldung – und dieses Vertrauen muss schon da sein.
Lentzkow: Klar. Aber auch da habe ich als Hausarzt den Vorteil, dass ich die Patienten kenne. Wenn mir auffällt, dass sich jemand den dritten Montag in Folge krankmeldet, kann ich das artikulieren.
Lentzkow: Ja und ich denke, das ist wichtig. Letztendlich geht es um den Job der Patienten, sie verlieren im Zweifel ihre Stelle – aber als Hausarzt weiß ich, wie das weitergeht. Wenn gekündigt wird, geht es den Betroffenen schlecht und daraus können sich ganz andere Krankheiten entwickeln. Das möchte ich vermeiden.
Lentzkow: Das darf ich. Wenn ich sage, ein Patient ist nicht krank, dann stelle ich ihm die AU, die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, nicht aus. Was allerdings nicht verhindert, dass er sie anderswo vielleicht bekommt.
Lentzkow: Im Moment telefoniere ich bestimmt zwölf Mal am Tag für eine Krankmeldung. Ich sage den Betroffenen meist: Okay, ich ziehe dich erstmal für drei Tage raus – aber wenn das nicht besser wird, komm' vorbei, dann schaue ich es mir gerne an. Für eine Folgekrankschreibung müssen Patienten also zu mir kommen. Das ist keine Gängelei, mir geht es nicht darum, ob mich ein Patient vorführt – sondern darum, dass ich im echten Krankheitsfall helfen kann. Das ist mein Job. Die Kontrolle nach drei Tagen soll verhindern, dass wir etwas verschleppen.
Lentzkow: Das gibt es und auch Anfragen nach dem Motto, könnten Sie nicht noch das Wochenende mit dazu nehmen? Das lehne ich ab und das ist wichtig, sonst mache ich mich unglaubwürdig. Man bekommt als Arzt schnell den Ruf, der schreibt jeden krank.
Lentzkow: Es ist ein Thema, wir diskutieren das und natürlich ist ein bisschen Trotz dabei. Wir wollen nicht vorgeführt werden, da können auch wir bockig reagieren.
Lentzkow: Ich finde, man muss direkt sein. Der Vorteil ist wie gesagt, dass ich als Hausarzt meine Leute kenne, auch meine Pappenheimer, auch die, die vielleicht in einer schwierigen Situation sind. Dann müssen und können wir darüber reden. Wenn der Job belastet, krank macht, dann sind wir plötzlich weit weg vom Blaumachen, dann geht es um seelische Erkrankungen. Die sind häufig. Und in solchen Fällen, wenn das Arbeitsverhältnis die Ursache für die Erkrankung ist, kann ich sogar dazu raten, den Job zu kündigen.
Lentzkow: Das ist komplex. Viele Stellen sind derzeit unbesetzt, wer arbeitet steht oft unter hohem Druck und immer mehr Menschen haben existenzielle Sorgen. Hinzu kommt die Weltlage, die auf die Stimmung drückt. In Aschaffenburg hat der Messerangriff die Menschen mitgenommen. Und ich glaube, ehrlicherweise gilt auch: Angebot schafft Nachfrage.
Lentzkow: Nehmen wir zum Beispiel Long-Covid: Wenn alle darüber reden, lauscht man viel mehr in sich hinein. Das ist wie mit Horoskopen: Ich finde die Symptome für psychische Erkrankungen, ich finde die auch bei mir. Ich halte mich für stabil, habe Spaß am Leben und am Beruf – aber wenn das nicht so wäre und ich mir Sorgen um meine Existenz machen müsste und vielleicht noch eine überfordernde Familiensituation dazukäme, dann könnte die Stabilität kippen.
Lentzkow: Ja, die Pandemie hat das Krankheitsbewusstsein verändert. Wir sind sensibler.
Lentzkow: Nicht in unserer Generation. Solange Masken in Zügen getragen werden, solange der Händedruck nicht wieder gesellschaftsfähig ist und in jeder Straßenbahn ein Desinfektionsspender hängt, lässt sich das nicht wieder einfangen. All das macht das Bewusstsein einer Gefahr allgegenwärtig. Was man an den Fingern hatte, war früher kein Thema. Ich glaube, diese Fixierung auf Krankheit, Keime und Gefahren ist typisch deutsch und wir gehen damit schlecht um. Aus menschlicher und auch aus ärztlicher Sicht täte uns allen mehr Entspannung gut.
Herr Huters Fall ist kein Einzelfall. In den Praxen kriegt man manche Gespräche mit.
Warum wird bis Sonntag krankgeschrieben wenn jemand bis Freitag arbeitet? Dann ist klar, dass ich das doch am Montag nochmals abklären muss ob ich vielleicht doch noch was haben könnte ( Satire). Wenn ich bis Freitag krank bin gehe ich wenn's noch zwickt am Freitag hin! Und nicht am Montag um zu ziehen bzw "zuzusichern). Und da muss der Arzt auch mal hinwirken! Und auch mal die Schrauben anziehen.
Letztendlich müssen die Kunden oder die Arbeit dann von den übrig gebliebenen Leuten verrichtet werden, die wieder dadurch mehr belastet werden. Und dadurch auch abkotzen.
Wie gesagt, in den Praxen hört man viel. Besonders wenn am Sonntag Nacht Superbowl ist... ein Schelm, wer ....
Auch wenn beim interviewten Doktor laut seinen Angaben nur drei Tage drin sind heisst das noch lange nicht, dass ein anderer Arzt nicht etwas grosszügiger ist.
Bin dankbar für diese Darstellung der 'anderen Seite' und hoffe sehr, dass hier ein Arzt tatsächlich auch einmal riskiert, 'gegen die Interessen' seiner Kunden zu handeln und hoffe noch mehr, dass das nie mit dem Versichertenstatus des Patienten zu tun hat.
Die klassischen Montagsblaumacher und Brückentagserkrankten kennt ja jeder in jedem Betrieb. Kurzdefinition für diese Kolleg*innen wäre vielleicht 'Generation Z', aber das wird ja kontrovers diskutiert.