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Würzburg
Liebesgeschichte in dunkler Zeit: Uraufführung von Christoph Ehrenfellners Oper "Karl und Anna" am Mainfranken Theater Würzburg
Nach der gleichnamigen Novelle von Leonhard Frank hat der österreichische Komponist ein Werk geschaffen, das sich ausdrücklich an der Spätromantik orientiert.
Johannes Schütz hat für die gut zweieinhalbstündige Oper in vier Akten ein hohes, von unten beleuchtbares Podest geschaffen. Im Bild Vero Miller (Anna) und Daniel Fiolka (Richard).
Foto: Thomas Obermeier | Johannes Schütz hat für die gut zweieinhalbstündige Oper in vier Akten ein hohes, von unten beleuchtbares Podest geschaffen. Im Bild Vero Miller (Anna) und Daniel Fiolka (Richard).
Mathias Wiedemann
 |  aktualisiert: 12.04.2024 02:43 Uhr

Darf man heute Musik schreiben, die klingt, als wäre sie vor 100 Jahren entstanden? Natürlich darf man das. Oder, anders gesagt: Man darf es wieder. Die ideologischen Grabenkämpfe früherer Jahrzehnte, wie zeitgenössische Musik zu klingen hat beziehungsweise, nicht klingen darf, harmonisch zum Beispiel, scheinen abgeebbt. Die Deutungshoheit darüber, was künstlerisch auf der Höhe der Zeit ist, liegt längst beim Publikum.

Der österreichische Komponist Christoph Ehrenfellner, Jahrgang 1975, war schon immer auf der Seite des Publikums. Und zwar des Publikums, das sich weniger für akademische Einordnungen, sondern schlicht für die Musik als solche interessiert. Und Ehrenfellners neo-spätromantische Musik ist Publikumsmusik. Sie ist hörbar, nahbar, genießbar.

Wie immer spielt der Chor des Mainfranken Theaters eine tragende Rolle.
Foto: Thomas Obermeier | Wie immer spielt der Chor des Mainfranken Theaters eine tragende Rolle.

Nach seiner 2. Sinfonie vor einem Jahr hat das Mainfranken Theater Würzburg nun im neuen Kleinen Haus mit dreieinhalb Jahren Verspätung Ehrenfellners Oper "Karl und Anna", ebenfalls eine Auftragsarbeit, uraufgeführt. Das Libretto von Roland Schimmelpfennig basiert auf der 1926 erschienenen Novelle des Würzburger Schriftstellers Leonhard Frank (1882-1961).  Die Uraufführung begleitete ein zweitägiges Symposium zu Frank, unter anderem mit Stadtrundgang, Podiumsgespräch und Vorstellung der Biografie von Katharina Rudolph.

Dass sich Karl als Richard ausgibt, ist eher eine Art Spiel als tatsächliche Täuschung

"Karl und Anna" ist eine Kriegsheimkehrer-Liebesgeschichte nach einer tatsächlichen Begebenheit: In sibirischer Kriegsgefangenenschaft erzählt Richard seinem Mitinsassen Karl so viel von seiner Frau Anna, dass dieser sich nicht nur aus der Ferne in sie verliebt, sondern nach seiner Befreiung Richards Platz an Annas Seite einnimmt. Dass sich Karl dabei dank seines Wissens als Richard ausgibt, ist eher eine Art Spiel als tatsächliche Täuschung. Zumindest erleichtert es Anna, ihre anfänglichen Skrupel zu überwinden.

Zwei Männer, die dieselbe Frau lieben: Richard (Daniel Fiolka) und Karl (Martin Berner).
Foto: Thomas Obermeier | Zwei Männer, die dieselbe Frau lieben: Richard (Daniel Fiolka) und Karl (Martin Berner).

Die Musik illustriert Umstände und Emotionen direkt und nachvollziehbar mit plastischen Klängen und wagnerscher Leitmotivik: Weite der Steppe, Sehnsucht nach Heimat, räumliche und soziale Enge im proletarischen Berlin, aufkeimende Liebe und schließlich Hoffnung auf ein besseres Leben.

Wirklich überraschend aus sich selbst heraus ist diese Musik selten. Dafür sind dissonante wie tonale Elemente, etwa das nahezu wörtliche Zitat aus dem "Parsifal", zu vertraut. Aber besonders zum Schluss, als der fabelhafte, vielfach auch solistisch aktive Chor unter der Leitung von Sören Eckhoff die Hörerschaft a cappella in eine hoffentlich versöhnliche Zukunft entlässt, verfehlt sie ihre Wirkung nicht. "Was einer fühlt, ist Wahrheit" – dieser zentrale Satz aus dem Libretto könnte für die Handlung ebenso stehen wie für das künstlerische Konzept.

Vero Miller und Martin Berner spielen die Titelrollen in 'Karl und Anna'.
Foto: Thomas Obermeier | Vero Miller und Martin Berner spielen die Titelrollen in "Karl und Anna".

Es ist eine Geschichte aus dunkler Zeit, die zwar durch die aktuellen Kriege eine gewisse mittelbare Aktualität erlangt, aber dennoch seltsam fern bleibt. Regisseur Markus Trabusch betont den historischen Kontext auch ästhetisch (Kostüme: Nicole von Graevenitz). So bleiben die seelischen Konflikte der Figuren zwar nicht gänzlich ihrer Zeit verhaftet, es braucht aber einen gewissen Transfer, sie mitzuempfinden.

Hinten rechts dirigiert Gábor Hontvári, vorne links Sören Eckhoff

Johannes Schütz hat für die gut zweieinhalbstündige Oper in vier Akten ein hohes, von unten beleuchtbares Podest geschaffen. So entsteht einerseits seitlich und hinten ein Graben für Chor und Orchester und andererseits ein nach allen Seiten offener Spiel-Raum, der doch von Menschen eingehegt ist. Möbel und Requisite werden von unten angereicht.

Karl (Martin Berner, Mitte) entkommt, während Richard vorerst in Gefangenschaft bleibt.
Foto: Thomas Obermeier | Karl (Martin Berner, Mitte) entkommt, während Richard vorerst in Gefangenschaft bleibt.

Seit Januar habe er die Oper komplett umgearbeitet, um sie den klanglichen Bedingungen des Saals anzupassen, erzählt Christoph Ehrenfellner. Die so gefundene Konstellation funktioniert überraschend gut. Hinten rechts dirigiert Gábor Hontvári, vorne links Sören Eckhoff. Chor und Orchester sind bestens transparent zu hören und überdecken doch nie die Solostimmen.

Und Christoph Ehrenfellner, ehemaliger Wiener Sängerknabe, weiß, wie man für Stimmen komponiert. Die Partien sind effektvoll, von heldischer Schwere bis zur eingestreuten Koloratur. Das Ensemble dankt es ihm mit großer Präsenz und darstellerischer Intensität. Vero Miller ist eine anrührend sensible Anna, Martin Berner ein fürsorglicher Karl, Daniel Fiolka ein zerrissener Richard, Minkyung Kim eine betriebsame Marie. Jasmina Aboubakari und Anastasia Fendel ergänzen das Quartett der Hauptrollen als tratschsüchtige Teenager Alma und Elfie. Langer, herzlicher Applaus.

Weitere Vorstellungen: 14., 17., 18., 24., 30. April, 22., 26. Mai. Karten: Tel. (0931)  3908-124, karten@mainfrankentheater.de

 
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