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Würzburg
Umjubelte Uraufführung bei Würzburgs Philharmonikern: Wie eine Sinfonie zum kämpferischen Statement wird
Das muss man sich erstmal trauen: Christoph Ehrenfellner schreibt tonale Musik, zitiert Mahler und Wagner - und klingt trotzdem kein bisschen altbacken.
Uraufführung geglückt, Beweis erbracht: Komponist Christoph Ehrenfellner und Generalmusikdirektor Enrico Calesso haben gezeigt, dass gute Neue Musik hör- und genießbar sein kann.
Foto: Thomas Obermeier | Uraufführung geglückt, Beweis erbracht: Komponist Christoph Ehrenfellner und Generalmusikdirektor Enrico Calesso haben gezeigt, dass gute Neue Musik hör- und genießbar sein kann.
Mathias Wiedemann
 |  aktualisiert: 18.05.2023 02:34 Uhr

Es geht also. Man kann heute Musik schreiben, die weder rückständig noch banal ist. Die ihr Publikum aufnimmt, einnimmt, mitnimmt. Das Vorurteil, gute Neue Musik habe immer unverständlich bis unerträglich zu sein, ist zwar längst widerlegt, aber kaum ein Komponist bekennt sich so selbstbewusst und kämpferisch zu seiner Mission wie der aus Salzburg stammende Wahlwiener Christoph Ehrenfellner, Jahrgang 1975: "Ich bin als Komponist wie der Teufel – ich will Ihre Seele. Mit dem Unterschied, dass ich sie Ihnen anschließend angereichert wieder zurückgeben möchte."

Ehrenfellner sagt dies vor der Uraufführung seiner 2. Sinfonie, die – ebenso wie seine Leonhard-Frank-Oper "Karl und Anna" – im Auftrag des Mainfranken Theaters entstanden ist, und pandemiebedingt jahrelang in der Schublade lag, bevor sie nun beim 5. Sinfoniekonzert des Philharmonischen Orchesters in der Würzburger Musikhochschule erstmals erklang. Die Oper hingegen wird wohl noch bis 2024 warten müssen – das neue Kleine Haus, für das sie konzipiert ist, ist weiterhin nicht fertig.

Die Avantgarde als bestenfalls "seitlicher Ast" am großen Baum der Kunst

Die Sinfonie ist ein dreisätziges, kompaktes, im besten Sinne unterhaltsames Werk von etwa 25 Minuten für großes Orchester. Ehrenfellner glaubt an die Kraft der Motive, die Erotik tonaler Harmonik und die Magie des Erzählens. Hinzu kommt eine nahezu unbändige Freude, mit dem Material zu arbeiten und zu spielen. Das wuselt, singt, verdichtet und entwirrt sich wieder. Kundige erkennen virtuos hergeleitete Anspielungen auf Mahler oder Wagner (etwa mit dem "Nibelheim"-Motiv aus dem "Ring"), allen zugänglich ist die sinnliche Kraft dieser Musik.

Der Komponist sieht sich in direkter Nachfolge der Klassiker. Die Moderne und die "selbstbezogene Blase der Avantgarde" sind für ihn nicht zukunftsfähig, sondern bestenfalls "ein seitlicher Ast" am großen Baum der Kunst, wie er im Gespräch sagt: "Es ist wichtig, dass das alles mal gedacht wurde, aber aufbauen kann man darauf nicht." Musik brauche ein Publikum, und das Publikum brauche Emotionen. "Der große Fehler von Schönberg war, dass er vergessen hat, dass es auch einen Bauch gibt. Und die Möglichkeiten der tonalen Musik sind längst noch nicht erschöpft."

Würzburgs Philharmoniker unter Enrico Calesso spielen spätestens seit der 'Götterdämmerung' 2019 in allen Gruppen auf beglückend hohem Niveau.
Foto: Thomas Obermeier | Würzburgs Philharmoniker unter Enrico Calesso spielen spätestens seit der "Götterdämmerung" 2019 in allen Gruppen auf beglückend hohem Niveau.

Es gibt einen Dirigentenspruch, den alle Orchester hassen: "Spielt halt einfach, was dasteht." Mit ziemlicher Sicherheit hat Generalmusikdirektor Enrico Calesso ihn beim Einstudieren der 4. Sinfonie von Anton Bruckner nicht gesagt. Aber genau so erklingt das gut einstündige, hochromantische Werk, und das ist ausdrücklich positiv gemeint. Calesso und seine Philharmoniker spielen in vorschriftsmäßig riesiger Besetzung, aber ganz ohne Voralpennebel und katholische Mystifizierung. Sondern konkret, differenziert, diesseitig, bei Bedarf maximal wuchtig und vor allem sehr, sehr engagiert. 

Ja, auch das geht also: Bruckner zugänglich und doch nicht von dieser Welt

Der Effekt ist umso interessanter: Indem man diese oft schlicht anmutenden Motive deutlich ausformuliert und ihre mitunter fast behäbige Verarbeitung sorgfältig darlegt, entsteht also genau das, wofür Bruckner berühmt ist: Dieses unerklärlich Andere, Neue, Erhabene. Ja, auch das geht: Bruckner zugänglich und doch nicht von dieser Welt.

Das alles sind inzwischen Markenzeichen eines Orchesters, dass spätestens seit der "Götterdämmerung" 2019 in allen Gruppen auf beglückend hohem Niveau spielt, Tendenz weiter steigend. Stellvertretend seien hier für diesen Abend nur Ivan Gerasimov (Solofagott) und Wolfgang Bayh (Solohorn) genannt. Das spürbar beeindruckte Publikum würdigt die Uraufführung und die gewaltige Konzentrationsleistung bei Bruckner mit langanhaltendem Beifall.

 
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