Kein "Sommernachtstraum". Und auch nicht Goethes "Faust". Oder Lessings "Nathan der Weise". Das Mainfranken Theater hat sein neues Kleines Haus bewusst nicht mit einem Klassiker eröffnet, sondern mit zwei Stücken des derzeit meistgespielten deutschen Gegenwartdramatikers, Roland Schimmelpfennig: "Der Kreis um die Sonne" und "Der Riss durch die Welt".
Nicht unmutig, wie Diskussionen im Foyer kurz vor der Premiere am Samstag zeigen. Es gibt Skepsis, bei manchen vielleicht so etwas wie vorauseilende Enttäuschung. Der lange Applaus später scheint zu zeigen, dass die Skeptiker in der Minderzahl sind beziehungsweise sich haben überzeugen lassen.
Die Akustik ist ausgezeichnet, ebenso die Sicht vom steil aufsteigenden Zuschauerraum
Intendant und Regisseur Markus Trabusch lässt die Doppelpremiere im komplett offenen Bühnenraum stattfinden. Die Akustik ist ausgezeichnet, ebenso die Sicht vom steil aufsteigenden Zuschauerraum. Kein Portal, kein Guckkasten, kein Vorhang, sieht man von der glitzernden Lametta-Gardine ab, die den weiten Saal zum ersten Stück umgibt (Bühne Susanne Hiller, Kostüme Su Bühler, Licht Mariella von Vequel-Westernach, live am Flügel Adria Sieber). Theater mit offenen Karten, wenn man so will.
Gefordert ist die Bereitschaft des Publikums, sich von alten Erzählerwartungen zu lösen. Denn Schimmelpfennig erzählt nicht linear, also chronologisch, sondern gleichsam zirkulär. Die Party in "Der Kreis um die Sonne" bringt nahezu das gesamte Schauspielensemble auf die Bühne. Und redselige, aber sprachlose Figuren zusammen, die in ihrer jeweiligen Einsamkeit gefangen sind.
Welche Lebenserzählung anderer interessiert uns überhaupt noch?
Die Professorin (Ute Fiedler), die Mythologie-Monologe ins Nichts hält. Der Gastgeber (Zlatko Maltar), dessen Jovialität die letzte Hürde vor dem Suizid ist. Die junge Frau (Pippa Fee Rupperti), die mit ihrem Freund/Begleiter/Partner (Nils David Bannert) irgendwie hereingeschneit ist und sich in die Gastgeberin (Nina Mohr) verliebt.
Immer wieder neu setzt die Handlung zu früheren Zeitpunkten ein, allmählich setzt sich ein Bild zusammen. Die junge Frau wird an einem Virus sterben, der Gastgeber wird sich erschießen. Wen berührt das? Wenn sollte es berühren? Welche Lebenserzählung wählen wir für uns selbst, welche Lebenserzählung anderer interessiert uns überhaupt noch?
Deutlichere Konturen bekommen die Personen in "Der Riss durch die Welt". In einer - nicht ganz klischeefreien - Konstellation, die an Albees "Wer hat Angst vor Virginia Woolf?" erinnert, treffen zwei Paare aufeinander - der reiche Unternehmer Tom (als sensibles Ekel: Tom Klenk) und seine Frau Sue (milde resigniert: Karoline Marie Reinke), die Künstlerin Sophia (fahrlässig selbstgefällig: Laura Storz) und ihr Freund Jared (mit kaum unterdrückter Wut: Cedric von Borries) und die alles kommentierende Hausangestellte Maria, der Isabella Szendzielorz sibyllinisches Format verleiht.
Sophia will von Tom Geld für ein Kunstprojekt, Tom will mit Sophia ins Bett
Schauplatz ist Toms "Hütte", ein Designpalast in den Bergen. Sophia, die sich in kultureller Aneignung als Ghetto-Kind inszeniert und das echte Ghetto-Kind Jared als Belegexemplar mitgebracht hat, will von Tom Geld für ein Kunstprojekt. Tom will mit Sophia ins Bett.
Immer wieder neu bewegt sich das Stück auf den einen Moment zu, in dem Jared "Finden Sie mich lustig?" schreit und sein Glas gegen die Wand schmettert. Aber es kommt nicht zur reinigenden Auseinandersetzung. Nichts klärt sich, nichts löst sich. Wie auch? Beleidigende, entlarvende, vernichtende Dinge werden gesagt und bleiben folgenlos.
An einer Stelle regnet es rote Bälle auf die Akteure. Markus Trabusch spielt mit seiner Stückauswahl den Ball ins Publikum. Der titelgebende "Riss durch die Welt" ist - allen bequemen Hinweisen auf "das System" zum Trotz - keine soziophysikalische Konstante. Sondern ein Zustand, den Menschen herstellen. Ob und wie sie ihn überwinden könnten, wenn sie denn wollten, bleibt offen. Präziser kann Theater auf die Gegenwart - leider - kaum antworten.
Weitere Vorstellungen: 6., 8., 23., Dezember, 5., 9., 25. Januar. Karten: Tel. (0931) 3908-124, karten@mainfrankentheater.de