"Es ist ergreifend, ich kriege richtig Gänsehaut", sagt Elmar Engert, als auf der Alten Mainbrücke pünktlich um 18 Uhr die Fahne der Kreuzbergwallfahrer auftauchen. Zehnmal schon war der Goßmannsdorfer selbst am Kreuzberg mit dabei. Diesmal hat's terminlich nicht hingehauen, sagt er. Aber in zwei Jahren will er wieder dabei sein. "Das ist vielleicht nicht Jedermanns Sache, aber wenn du einmal infiziert bist, willst du immer wieder mit."
Inzwischen drängt sich der Pilgerzug durch das Spalier aus Freunden und Verwandten, die auf und vor der Brücke auf die Wallleut' gewartet haben. Man fällt sich in die Arme. Blumensträuße werden überreicht, Schultern geklopft und manche Träne verdrückt. Für die Wallfahrerinnen und Wallfahrer ist es der emotionale Höhepunkt nach ihrer sechstägigen Strapaze.
Das Häufchen ist deutlich kleiner geworden, als jenes, das sich am vorigen Samstag auf den Weg zum Kreuzberg gemacht hat. Gut zwei Dutzend der knapp 170 Pilgerinnen und Pilger mussten dem 220 Kilometer langen Fußmarsch Tribut zollen und aufgeben. "Du hast dich heuer mehr gequält als früher, obwohl die Bedingungen eigentlich ganz gut waren", wundert sich Matthias Schäffer, der den Weg schon ein gutes Dutzend Mal auf sich genommen hat. Ob es daran liegt, dass die letzte Wallfahrt wegen der Pandemie bereits vier Jahre zurückliegt?
Stadtpfarrer Oswald Sternagel hatte die Wallfahrt mit dem Eintauchen in einen Tunnel verglichen. Am Kreuz vor dem Rathaus empfängt Diakon Norbert Hillenbrand die Pilgerinnen und Pilger in der Hoffnung, dass es nun Licht werde am Ende dieses Tunnels. Kommunionkind Lorena Ruhl und Ministrantin Melina Ruhl begrüßen den Pfarrer mit Blumen und einem Gedicht, bevor die Wallfahrt mit dem Segen in der auf den letzten Platz gefüllten Stadtpfarrkirche ihren Abschluss findet.
Die 16 Musikerinnen und Musiker, die die Wallfahrt begleitet haben, lassen die Kirche ein letztes Mal erschallen. Draußen hat Christian Halbig, der für den Gepäcktransport verantwortlich war, bereits die Koffer und Rucksäcke in langen Reihen aufgestellt. Lange Abschiedsszenen spielen sich ab, bevor sich die Nachricht verbreitet, dass vor der Kirche ein Brotzeitbüfett und kalte Getränke warten – eine Geste des Dankes und der Wertschätzung, sagt der Spender, der ungenannt bleiben will.
"Es war eine kleine Wallfahrt, aber die Stimmung war perfekt", sagt Steffi Karl. Nur der heftige Platzregen, der die Wallfahrerinnen und Wallfahrer am Mittwochnachmittag zwischen Schnackenwerth und Werneck überrascht hat, der hätte wirklich nicht sein müssen. "Das Wetter war ziemlich abwechslungsreich", quittiert der Präfekt der Kreuzbruderschaft, Josef Pfeuffer, lakonisch die unstete Witterung der vergangenen Tage.
"Für mich ist die Wallfahrt ein Zeichen, dass wir Christen auch heute in der Welt sichtbar sein können", meint Pfarrer Sternagel. Die familiäre Atmosphäre habe er dieses Mal besonders schätzen gelernt. "Wir sind heil durchgekommen, dank der Fürsorge so vieler", sagt er. Damit sind vor allem die rund zwei Dutzend Helfer gemeint, die die Wallfahrt vorbereitet und ihren reibungslosen Ablauf sichergestellt haben.
Tanja hat sich ebenfalls verabschiedet. Pfarrer Oswald Sternagel hat die erfundene Figur in den Mittelpunkt einer Geschichte gestellt, die die Wallfahre in täglichen Episoden begleitet hat. In ihrem Bibelkreis gerät die junge Frau in Streit über die Bedeutung der Feindesliebe, wie sie Jesus in der Bergpredigt gefordert hat. Nachts fällt sie in einen langen Traum, in dem sie den Aposteln Petrus und Paulus und anderen Mitgliedern der urchristlichen Gemeinde begegnet, die ihr Einblick in ihre Welt geben.
Silke Schöppner hat nun endlich Gelegenheit, ihre kaputten Schuhe loszuwerden. Sechs Mal haben sie die Ochsenfurterin bereits zum Kreuzberg getragen. Auf den letzten Kilometern lösten sich nun die Sohlen. "Jetzt kommen sie in den Müll", sagt Schöppner und ist sich sicher, dass dies nicht ihre letzte Wallfahrt zum Kreuzberg gewesen ist.