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Würzburg
Klebe-Protest der Letzten Generation: Aktivisten und Juristen zeigen in Würzburg, wie eine faire Debatte geht 
Wie soll der Rechtsstaat mit den Klimaprotesten umgehen?  Warum das "Kellergespräch" an der Uni Würzburg vor großem Publikum vorbildlichen politischen Diskurs bot.
Wie immer diskutierte auch das Publikum beim 'Kellergespräch' mit. Moderator und Main-Post-Redakteur Andreas Jungbauer ließ einige der 250 Zuhörerinnen und Zuhörer zu Wort kommen.
Foto: Thomas Obermeier | Wie immer diskutierte auch das Publikum beim "Kellergespräch" mit. Moderator und Main-Post-Redakteur Andreas Jungbauer ließ einige der 250 Zuhörerinnen und Zuhörer zu Wort kommen.
Michael Czygan
 |  aktualisiert: 15.07.2024 10:27 Uhr

So wünscht man sich eine politische Diskussion: Das Thema des "Kellergesprächs", zu dem die Juristen-Alumni der Uni Würzburg und die Main-Post am Donnerstagabend in die Alte Universität geladen hatten, war brandaktuell, dazu noch ziemlich emotional. Es ging um die Klimaproteste auf der Straße - und die Reaktion des Rechtsstaats. Am Podium trafen Aktivisten auf Juristen und tauschten - auffällig sachlich - kontroverse Argumente aus.

250 Zuhörerinnen und Zuhörer ließen sich auf die Debatte ein

Das Bemerkenswerte aber in diesen oft so aufgeregten Zeiten: Die 250 meist jungen Zuhörerinnen und Zuhörer ließen sich auf die Debatte ein, hörten aufmerksam allen Seiten zu, diskutierten äußerst fair miteinander - und verteilten allen Rednerinnen und Rednern ziemlich gleichmäßig Applaus. "Ein gelungenes Beispiel für klugen universitären Diskurs", sagten der Alumni-Vorsitzende, Strafrechtsprofessor Eric Hilgendorf, und der Moderator des Abends, Main-Post-Redakteur Andreas Jungbauer, hinterher.

Seit Monaten blockieren Klimaaktivisten regelmäßig in Berlin und anderen Großstädten den Straßenverkehr.
Foto: Paul Zinken, dpa | Seit Monaten blockieren Klimaaktivisten regelmäßig in Berlin und anderen Großstädten den Straßenverkehr.

Dabei gab es durchaus Skepsis, ob der Abend gelingen kann. Die Klimaaktivisten und ihre Sympathisanten standen in Verdacht, sich vielleicht doch nicht verkneifen zu können, Plakate auszurollen oder sich gar ans Rednerpult zu kleben. Nichts davon war der Fall.

Mitglieder des Alumni-Vereins wiederum hatten Unverständnis geäußert, warum ihr Vorsitzender Hilgendorf mutmaßlichen Rechtsbrechern überhaupt Zugang zu so einer Veranstaltung gewähre. Nach diesem Abend können sich alle Bedenkenträger beruhigen: So unterschiedlich die Auffassungen auch sind, Dialog ist möglich. Und dieser Dialog tut der Gesellschaft ausgesprochen gut.

Johanna Sing nimmt regelmäßig an Straßenblockaden teil

Im Blickpunkt stand Johanna Sing als Vertreterin der Letzten Generation. Die 34-Jährige aus Würzburg, die von ihrem Mitstreiter Jörg Peter (56) begleitet wurde, beteiligt sich eigenen Angaben zufolge seit einem dreiviertel Jahr regelmäßig - vor allem in Berlin - an Protestaktionen wie Straßenblockaden. "30, 40 werden es schon gewesen sein", sagte sie. Rechtskräftig verurteilt worden sei sie bislang nicht, aber sie rechne fest damit.

Diskutierten beim 'Kellergespräch' am Podium (von links): Jura-Professor Eric Hilgendorf, Rechtsanwalt Eric Weiser-Saulin, die Klimaaktivisten Johanna Sing und Jörg Peter sowie Jura-Professor Kyrill-Alexander Schwarz.
Foto: Thomas Obermeier | Diskutierten beim "Kellergespräch" am Podium (von links): Jura-Professor Eric Hilgendorf, Rechtsanwalt Eric Weiser-Saulin, die Klimaaktivisten Johanna Sing und Jörg Peter sowie Jura-Professor Kyrill-Alexander Schwarz.

Es sei ihr bewusst, dass sie strafbare Handlungen begeht, wenn sie sich auf die Straße klebe, sagte die Pädagogin. Diese aber sei gerechtfertigt, weil die Politik ihre eigenen, im Klimagesetz festgeschriebenen Vorgaben, nicht einhalte, viel zu wenig tue - und damit gegen geltendes Recht verstoße. Sing: "Wir haben keine Zeit mehr zu verlieren." Seien die von der Wissenschaft beschriebenen Kipppunkte erst einmal überschritten, lasse sich die Klimakatastrophe überhaupt nicht mehr aufhalten. "Die Bedrohung ist groß."  

Die Gegenposition markierte Kyrill-Alexander Schwarz, Professor für öffentliches Recht. Der Würzburger Staatsrechtler machte deutlich, aus seiner Sicht gebe es keinerlei Rechtfertigung für die Blockade- und Klebe-Aktionen der Klima-Aktivisten. Diese erfüllten in der Regel den Straftatbestand der Nötigung. Ein "Widerstandsrecht" gestehe das Grundgesetz den Bürgerinnen und Bürgern nur gegen diejenigen zu, "die die freiheitlich-demokratische Grundordnung beseitigen wollen". Auch um legitime politische Ziele durchzusetzen, müsse man in der Demokratie eben um Mehrheiten kämpfen.  Schwarz: "Die Entscheidungen fallen im Parlament."

Auch die Friedensbewegung nutzte das Protestmittel Blockade

Der Professor unterstrich, bei der Beurteilung von strafbaren Handlungen müssten Justiz und Rechtsstaat "blind" sein - unabhängig von den Motiven der Beteiligten. Schwarz erinnerte in diesem Zusammenhang auch an einschlägige Urteile, als Mitglieder der Friedensbewegung in den 1980er Jahren die Zufahrt zu Raketen-Stützpunkten der US-Armee sitzend blockierten, um gegen Rüstungsprojekte zu demonstrieren. Das Bundesverfassungsgericht hatte hier den Tatvorwurf Nötigung bestätigt.   

Volles Haus beim 'Kellergespräch' von Juristen-Alumni und Main-Post in der Alten Universität in Würzburg. Am Rednerpult Professor Eric Hilgendorf, der Alumni-Vorsitzende.
Foto: Thomas Obermeier | Volles Haus beim "Kellergespräch" von Juristen-Alumni und Main-Post in der Alten Universität in Würzburg. Am Rednerpult Professor Eric Hilgendorf, der Alumni-Vorsitzende.

Rechtsanwalt Eric Weiser-Saulin gab hingegen zu bedenken, dass in Zeiten des "Klima-Notstandes"  vielleicht "juristisch neu gedacht" werden müsse.  Ob Straßenblockaden von Klima-Aktivisten im Sinne des Paragrafen, der den Vorwurf Nötigung regelt, wirklich "verwerflich" seien, darüber könne  man diskutieren. Möglicherweise seien "zwei Stunden Stau" für Autofahrende angesichts der dramatischen Lage beim Klimaschutz eine zumutbare Freiheitsbeschränkung. Die Aktivisten erinnerten die Politik schließlich lediglich daran, die Vorgaben umzusetzen, die sie selbst beschlossen habe.  

Würzburger Kanzlei mit erfolgreicher Klage gegen die Bundesregierung

Weiser-Saulin arbeitet für die Würzburger Kanzlei Baumann, die unter anderem auf Umweltrecht spezialisiert ist und 2021 vor dem Bundesverfassungsgericht das viel diskutierte Urteil erstritt, laut dem die Bundesregierung ihre Anstrengungen in Sachen Klimaschutz deutlich erhöhen und vor allem auch konkretisieren musste. Aktuell vertritt die Kanzlei den Bund Naturschutz bei einer weiteren Klage gegen die Bundesregierung, weil diese ihre selbst gesetzten Klimaziele im Verkehrs- und Gebäudesektor ignoriere und sich weigere, "wirksame Sofortprogramme" vorzulegen.

Die Letzte Generation wird jedenfalls nicht warten, bis hier Urteile fallen. Johanna Sing kündigte beim "Kellergespräch" an, sich auch künftig an Straßenblockaden und anderen Protestaktionen zu beteiligen.  

 
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  • H. E.
    Traurig, dass eine Kanzlei solche Geschäftsmodelle braucht. Oder einfach die Publicity!
    Letztendlich sind es Straftaten! Straftaten müssen geahndet werden!
    Das lehrt doch die Uni!
    Wenn jemand der Straftaten begangen hat und ankündigt weiter diese zu begehen, muss das Gesetz handeln!
    Ansonsten ist es Larifari und man kann das deutsche Recht in die Tonne klopfen!
    Es gibt nicht halb schwanger!
    Wegsperren! Und das immer länger!

    Dass die Uni den Rechtsbrechern noch eine Plattform gibt ist blanker Hohn und ein anbiedern!
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  • W. S.
    Manchmal frage ich mich auch, wie Leute wie Frau Sing Zeit haben nach Berlin mit den öffentlichen Verkehrsmitteln unter der Woche zu fahren. Dann noch Zeit für das hinkleben muss man einrechnen.
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  • R. R.
    Genau nix beigetragen zum Wohlstand Deutschlands. Konto das von Mama und Papa gefüllt wird oder Erbmasse.
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  • H. E.
    Das Beschriebene ist wissenschaftlicher Konsens.
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  • R. D.
    Leider verstößt Ihr Kommentar gegen die Kommentarregeln auf mainpost.de. Wir haben den Kommentar deshalb gesperrt.
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  • M. D.
    ...."Der Professor unterstrich, bei der Beurteilung von strafbaren Handlungen müssten Justiz und Rechtsstaat "blind" sein - unabhängig von den Motiven der Beteiligten."....

    Das ist doch eine Illusion! Staatsanwaltschaften entscheiden letztlich was mit Eifer verfolgt wird und was wegen "Geringfügigkeit" etc. eingestellt also nicht verfolgt wird. Natürlich sind da auch die "Motive" bzw. die politische Verortung und der "Stand" der Beteiligten handlungsleitend.

    ..."Mitglieder des Alumni-Vereins wiederum hatten Unverständnis geäußert, warum ihr Vorsitzender Hilgendorf mutmaßlichen Rechtsbrechern überhaupt Zugang zu so einer Veranstaltung gewähre. "...

    Siehe oben: von wegen "blind". Wer Menschen bereits als mit ganz grobem Instrument vorverurteilend als "Rechtsbrecher" aussortieren will und Kommunikation und Auseinandersetzung verweigert, ist Teil des Problems.....

    Und natürlich heiligt der Zweck manchmal die Mittel!
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