Der Bund für Umwelt und Naturschutz in Deutschland (BUND) verklagt die Ampelkoalition. Der Grund: Die Bundesregierung verstößt nach Meinung des Umweltschutzverbandes gegen die Pflichten aus dem Klimaschutzgesetz. Ende Januar hat die Naturschutzorganisation vor dem Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg Klage eingereicht. Vertreten wird der BUND bei der Klage von Rechtsanwältin Franziska Heß von der Würzburger Kanzlei Baumann.
Erst im Frühjahr 2022 war eine Klage von Heß erfolgreich gewesen: Das Bundesverfassungsgericht entschied damals, dass die Bundesregierung das 2019 verabschiedete Klimaschutzgesetz nachbessern muss, um die Freiheitsrechte jüngerer Generationen zu schützen. Eine juristische Sensation: Denn erstmals bezog sich eine Entscheidung des Gerichts auf Grundrechte, die erst in der Zukunft verletzt werden würden.
Jetzt bringt die Verwaltungsrechtlerin und Partnerin der Kanzlei zusammen mit dem BUND die Bundesregierung vor Gericht. Im Interview erklärt die 44-jährige Spezialistin für Umweltfragen, warum sie die Klage für sehr aussichtsreich hält - und wie die Bundesregierung dadurch zu mehr Klimaschutz gezwungen werden könnte.
Franziska Heß: Eigentlich ist der Fall gesetzlich klar geregelt: Um die europäischen Klimaziele zu erreichen, muss jeder Sektor seine Treibhausgasemission senken. Da gibt es genau festgelegte sogenannte Minderungsziele pro Jahr. Wird in einem Bereich mehr Treibhausgas ausgestoßen als vorgesehen - und so ist es 2021 in den Bereichen Gebäude und Verkehr passiert - muss gehandelt werden. Und zwar "schnellstmöglich", so steht es im Gesetz.
Heß: Aus unserer Sicht nicht. Im April 2022 stand fest, dass sowohl im Gebäude-, als auch im Verkehrssektor 2021 die Emissionswerte gehörig überschritten wurden. Für diesen Fall gibt es eigentlich ein vorgeschriebenes Vorgehen im Klimaschutzgesetz. Aber dem kommt die Bundesregierung bis heute nicht nach.
Heß: Die sogenannten Sofortprogramme. Das sind Maßnahmenkataloge, die die zuständigen Ministerien vorlegen müssen, wenn die Emissionsgrößen überschritten wurden. Ziel der Programme muss es sein, zum einen so schnell wie möglich das Zuviel an Emission auszugleichen und zum anderen auch aufzuzeigen, wie der jeweilige Sektor auch in Zukunft seine Einsparziele einhalten kann. Ein Expertenrat für Klimafragen prüft dann zunächst, wie viel das Sofortprogramm taugt. Das ist auch geschehen. Zum Programm aus dem Bundesbauministerium hieß es, dass ein paar der vorgeschlagenen Maßnahmen sinnvoll sein könnten, sie aber in Summe nicht ausreichen werden. Beim auf den letzten Drücker eingereichten Sofortprogramm des Verkehrsministeriums war das Urteil vernichtend: Die vorgeschlagenen Maßnahmen wären so wirkungslos, dass das Gremium die Vorschläge als nicht prüfbar befand. Es war noch nicht mal das Ziel erkennbar, dass man wirklich die Emission lindern möchte. Da hätte eigentlich die Stunde der Bundesregierung geschlagen, so sieht es das Gesetz vor.
Heß: Wenn der Expertenrat die Programme verwirft, ist es an der Regierung, eigenständig geeignete Maßnahmen festzulegen und das eben "schnellstmöglich". Auf die Schnelligkeit und die jährliche Kontrolle durch den Expertenrat kommt es vor allem deswegen an, damit sich Versäumnisse nicht über Jahre aufstapeln.
Heß: Nein. Jetzt, fast ein halbes Jahr nach der Prüfung des Expertenrats im August 2022, ist nichts davon passiert. Dabei hat die Bundesregierung überhaupt keine andere Chance als zu handeln, wenn sie sich an ihre eigenen Gesetze halten will. Sie muss geeignete Maßnahmen beschließen. Sie hat nur Freiheit in der Frage, welche Maßnahmen es konkret sein sollen. Diverse Rechtsgutachten sind sich insoweit einig, dass das spätestens bis Ende 2022 hätte geschehen müssen. Stattdessen zeigt die aktuelle politische Entwicklung, dass die Ampel ihre selbst gesetzten Ziele nicht ernst nimmt. Die Bundesregierung begeht eine gravierende Gesetzesverfehlung - und zwar mit Ansage.
Heß: Wir sind zumindest sehr zuversichtlich, dass das Oberverwaltungsgericht die Verpflichtungen der Bundesregierung aus dem Klimaschutzgesetz genauso versteht wie wir.
Heß: Es wäre denkbar, dass das Oberverwaltungsgericht die Bundesregierung dazu verurteilt, binnen einer gewissen Frist Sofortprogramme zu beschließen.
Heß: Die Gewaltenteilung sieht vor, dass die Gerichte der Regierung keine konkreten Maßnahmen vorschreiben können. Und das ist auch nicht unser Ziel. Denkbar wäre es natürlich, dass die Koalition bei der Suche nach geeigneten Maßnahmen darauf stößt, welches Potenzial ein Tempolimit für die CO₂-Minderung hätte - und einem Beschluss müsste sich dann auch Herr Wissing beugen.
Heß: Das stimmt, in diesem Bereich wird zunehmend geklagt. Das liegt daran, dass man in Umweltfragen ganz bewusst anerkannten Umwelt- und Naturschutzvereinigungen eine besondere Rechtsstellung und ein umfangreiches Klagerecht einräumt, weil man weiß, dass es ein viel zu großes 'Vollzugsdefizit' gibt. Das heißt: Wir haben zwar einen Haufen strenge Verordnungen zum Umwelt- und Klimaschutz - aber an die wird sich viel zu wenig gehalten. Und deshalb braucht es die Umweltverbandsklagen.
Heß: Ich will es mal so sagen: Die Klimaklagen sind sicher ein gutes Mittel, um dafür zu sorgen, dass der ganze Prozess endlich so in Gang kommt, wie wir das zum Schutz von künftigen Generationen brauchen. Alle Prognosen, Einschätzungen von Sachverständigen und Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zeigen weltweit, dass wir nur noch extrem wenig Zeit haben - und dementsprechend verzweifelt ist die junge Generation. Klagen sind da ein Mittel.
Die Umschulung von 70% der Juristen auf Solaranlagenbauer oder Windkrafttechniker würde dem Klima mehr helfen!
Deren Chef doch hier Stadtrat, oder?
Hier nachzulesen: https://www.baumann-rechtsanwaelte.de/wer-wir-sind/