
Der erste Eindruck von Intendant Markus Trabuschs Neuinszenierung der "Maria Stuart" am Mainfranken Theater ist: Klarheit. Und dieser Eindruck wird Bestand haben über die drei Stunden Spielzeit zuzüglich Pause im Kleinen Haus. Klarheit der Bühne (Catharina Gormanns), der Kostüme (Su Bühler), der Szenen und vor allem der Personen.
Friedrich Schillers Trauerspiel ist trotz geschickter Kürzungen auch in Würzburg lang, aber kein bisschen zu lang. Szenische und personelle Umstellungen führen schnell zum Wesentlichen: Trabusch vertauscht zum Beispiel ersten und vierten Auftritt und zeigt gleich zu Beginn eine vermeintlich gebrochene Gefangene Maria, die sich auf einem Stapel Paletten unter einer Rettungsdecke zusammenrollt wie ein Fötus.
Vielleicht ist das die zentrale Frage: Was ist das überhaupt - Macht?
Marias Bewacher Paulet ist eine Bewacherin, kettenrauchend, gouvernantenhaft korrekt und doch mitfühlend (Patricia Schäfer). Marias Amme Kennedy wiederum ist ein Mann: Nils van der Horst gibt ihn als ergebenen, aber machtlosen Vertrauten.
Mächtig sind hier andere. Oder wären es gerne. Vielleicht ist das die zentrale Frage: Was ist das überhaupt - Macht? Ist Macht gleichzusetzen mit Freiheit? Kommt mit Macht auch Liebe? Befreit Macht automatisch von Schuld? Ist jemand wirklich mächtig, der oder die sich ständig verstellen muss? Oder ist nur mächtig, wer diese Macht gar nicht erst anwenden muss?
Es stehen einander gegenüber Elisabeth, Protestantin, bereits ihr halbes Leben Königin von England, und doch ihres Thrones nicht sicher, weil ihre Herkunft vielen als illegitim gilt. Und Maria Stuart, Katholikin, gestürzte Königin von Schottland, nahe Verwandte, seit 18 Jahren Gefangene Elisabeths. Dank ihres makellosen Stammbaums macht sie Ansprüche auf den Thron von England geltend. Und wird damit zum unlösbaren Problem für Elisabeth.

Schillers Sympathien liegen bei Maria, Opfer eines Justizmords aus Staatsräson. Karoline Marie Reinke spielt sie als charismatische, durchaus launische Machtperson, die zwar an alter Schuld laboriert, die ihr Standesdünkel letztlich aber das Leben kostet. Ihr akrobatischer Sprung auf eine Schaukel ist eines von vielen eingestreuten Details, mit denen Trabusch seinen Figuren individuelles Profil gibt.
Eva-Lina Wenners rehabilitiert die Elisabeth weit über das übliche Bild hinaus
Bei Elisabeth ist es ein hinreißendes kleines Puppenspiel, das die Königin, endlich allein, mit ihren blutroten Handschuhen aufführt, die sie als Puppen auf die nackten Füße gesteckt hat. Oder der für Männer immer wieder verblüffende Zaubertrick, mit dem sie sich ihres BHs entledigt, ohne die Bluse auszuziehen.
Eva-Lina Wenners rehabilitiert Elisabeth weit über das übliche Bild der Königin als Spielball ihrer Berater hinaus. Sie ist zerrissen zwischen Machthunger, Geltungsbedürfnis und der Sehnsucht nach privater Liebe, sie ist unsicher, kämpferisch, verschlagen, verletzlich und liebenswert. Eine starke Leistung.

Stark auch Tom Klenk als herablassender Strippenzieher Burleigh, Hannes Berg als virtuos doppelzüngiger Leicester (beiden übrigens Kompliment für die schicken Perücken), Loris Kubeng als sympathischer Fanatiker Mortimer, Daria Lik als unglückliche Staatssekretärin Davison, Chefdisponentin Tina Landgraf als undurchsichtige Gräfin Aubespine und Zlatko Maltar als Shrewsbury, die Stimme von Vernunft und Menschlichkeit. Dass ausgerechnet er den unscheinbarsten Anzug trägt, ist symptomatisch: Vernunft und Menschlichkeit sind hier nicht gefragt.
Jubel und langer Applaus für einen Klassiker, der seinen Wert aus sich selbst heraus beweist. Mit der schönen Sprache, der Spannung der Handlung und vielen tiefen Einblicken in menschliche Motivationen. Bezüge zur Welt von heute ergeben sich ganz von selbst.
Weitere Vorstellungen: 1., 4., 6., 18., 31. Oktober, 6., 13., November, 1., 8., 21.,29. Dezember, 15. Januar. Karten: Tel. (0931) 3908-124, karten@mainfrankentheater.de