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Würzburg
Wie eine Würzburger Anwaltskanzlei den Klimaschutz-Prozess gewann
Mit dem Klimaschutz-Urteil hat das Bundesverfassungsgericht die Rechte junger Generationen gestärkt. Eine der erfolgreichen Klagen hat die Würzburger Kanzlei Baumann vertreten.
Die Kühltürme des Braunkohlekraftwerks Jänschwalde der Lausitz Energie Bergbau AG (LEAG) in Brandenburg. Das Bundes-Klimaschutzgesetz greift aus Sicht des Bundesverfassungsgerichts zu kurz, die Regierung muss nachbessern.
Foto: Patrick Pleul, dpa | Die Kühltürme des Braunkohlekraftwerks Jänschwalde der Lausitz Energie Bergbau AG (LEAG) in Brandenburg. Das Bundes-Klimaschutzgesetz greift aus Sicht des Bundesverfassungsgerichts zu kurz, die Regierung muss ...
Torsten Schleicher
 |  aktualisiert: 15.07.2024 09:47 Uhr

Es war eine juristische Sensation: Vergangene Woche hat das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe entschieden, dass die Bundesregierung das 2019 verabschiedete Klimaschutzgesetz nachbessern muss, um die Freiheitsrechte jüngerer Generationen zu schützen. Hintergrund ist vor allem die Minderung von Treibhausgas-Emissionen. Bis 2050 soll Deutschland die Treibhausgas-Neutralität erreicht haben, die Vorgaben für die nötigen Minderungen bei den Emissionen sind aber nur bis 2030 geregelt. Nach Auffassung der Karlsruher Richterinnen und Richter bedeutet das eine überdurchschnittliche Bürde für die junge Generation.

Dem Gericht lagen vier Klagen vor. Franziska Heß, 42, Fachanwältin für Verwaltungsrecht von der Würzburger Kanzlei Baumann Rechtsanwälte, hat die erste, bereits 2018 eingereichte Klage zum Klimaschutz vor dem Bundesverfassungsgericht vertreten. Die auf Verwaltungsrecht spezialisierte Kanzlei hatte damals zunächst den Solarenergie-Förderverein (Aachen) vertreten, der Klage schlossen sich der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) sowie elf Bürgerinnen und Bürger aus verschiedenen Bundesländern an. Ein Gespräch über den Erfolg bei Gericht und die Konsequenzen für Politik und Gesellschaft.

Frage: Frau Heß, vom Urteil aus Karlsruhe waren viele überrascht – Sie auch?

Franziska Heß: Ich muss gestehen, ich war richtiggehend fassungslos, weil ich mit einer positiven Entscheidung tatsächlich nicht gerechnet habe. Blickt man in die Verfassungsrechtshistorie, gab es bisher noch keine erfolgreiche Umweltverfassungsbeschwerde, die direkt gegen den Gesetzgeber gerichtet war. Mit dem Versuch, Grundrechtsverletzungen wegen zukünftiger Klimawandel-Folgen und erst in der Zukunft zu erwartender staatlicher Eingriffe einzuklagen, haben wir rechtliches Neuland betreten. Die Erwartungen waren deshalb nicht sehr hoch. Im Herbst 2019 erhielten wir dann aber die Nachricht, dass die Beschwerde an den Bundestag und die Regierung zugestellt wurde, was wir als Botschaft des Gerichts interpretiert haben, dass es die Beschwerden nicht für offensichtlich unzulässig oder unbegründet hält.

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Ihre jetzt erfolgreiche Klage hatten Sie schon 2018, also noch vor der Verabschiedung des Klimaschutzgesetzes eingereicht. Was war der Hintergrund?

Heß: Die Initialzündung war wohl letztlich die Mitteilung der Bundesregierung im Jahr 2018, dass voraussichtlich sowohl die selbstgesetzten als auch die europäisch vorgegebenen Klimaschutzziele 2020 verfehlt werden. Aus dieser Mitteilung folgte seitens Bundesregierung und Bundestag schlicht nichts – und das in einer Situation, wo der Weltklimarat dringende Appelle an die Staaten gerichtet hatte, endlich tätig zu werden. Ein Klimaschutzgesetz war nach wie vor nicht in Sicht. Für einen unserer Mandanten, den Solarenergie-Förderverein, war das Fass damit übergelaufen. Die Verfassungsbeschwerde richtete sich zunächst darauf, dass es der Gesetzgeber unterließ, geeignete Maßnahmen zum Klimaschutz zu ergreifen.

2019 kam dann das Gesetz, mit dem Sie und Ihre Mandanten, darunter der BUND, aber alles andere als zufrieden waren...

Heß: Das Klimaschutzgesetz war eine Mogelpackung, ohne jeden Zweifel. Das hat das Verfassungsgericht jetzt auch für alle erkennbar entlarvt. Das Gesetz lässt es zu, dass heutige Generationen in die Freiheitsrechte zukünftiger Generationen eingreifen, indem es ihnen bis 2030 zu vieleTreibhausgas-Emissionen zugesteht. Es hat Reduktionslasten in unzulässiger Weise in die Zukunft verschoben. 

Hat erfolgreich die Klimaklage am Bundesverfassungsgericht vertreten: Franziska Heß, Fachanwältin für Verwaltungsrecht in der Würzburger Kanzlei Baumann Rechtsanwälte.
Foto: Torsten Repper | Hat erfolgreich die Klimaklage am Bundesverfassungsgericht vertreten: Franziska Heß, Fachanwältin für Verwaltungsrecht in der Würzburger Kanzlei Baumann Rechtsanwälte.
Was genau war der Inhalt Ihrer Klage?

Heß: Mit der Klage wollten wir die Feststellung, dass der Gesetzgeber keine ausreichenden Maßnahmen ergriffen hat, um die Freiheitsrechte und Leib und Leben der Beschwerdeführer in der Zukunft vor dem Klimawandel und dessen Folgen zu schützen. Nur ein sofortiges Handeln jetzt kann verhindern, dass das Ziel, den Anstieg der Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen, noch erreicht werden kann. Dieses Ziel, so war unsere These, wird dem Gesetzgeber durch Art. 20a des Grundgesetzes (Anmerkung der Redaktion: Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen künftiger Generationen) verfassungsrechtlich verbindlich aufgegeben. Wir haben auch geltend gemacht, dass es ein Grundrecht auf Klimaschutz gibt und die Grundrechte auch die zeit- und grenzüberschreitende Freiheit schützen.

Was bedeutet das Urteil nun konkret für die Politik?

Heß: Die Politik muss nun endlich den Transformationsprozess in eine klimaneutrale Lebens- und Wirtschaftsweise mit Hochdruck einleiten. Eine Änderung des Klimaschutzgesetzes für die Zeit ab 2031 reicht nicht. Die Ziele für die Zeit nach 2030 müssen wegen des bis dahin schon aufgebrauchten Budgets deutlich nachgeschärft werden, was notwendig auch Verschärfungen des Pfads bis 2030 erzwingen dürfte. Auch wird es nicht ausreichend sein, nur das Klimaschutzgesetz anzugehen, sondern auch andere energie- und agrarrechtlicher Gesetze - zum Beispiel EEG, Kohlekompromiss - müssen auf den Prüfstand. Wichtiger und wirksamer wären zudem Änderungen auf EU-Ebene, also eine nicht mehr bremsende, sondern antreibende Rolle Deutschlands in der EU, etwa Integration aller fossilen Brennstoffe in den EU-Emissionshandel, Streichung aller Altzertifikate, Nullemissionen bis spätestens 2035. Das Urteil wird mittelbar auch im Ausland eine Vorbildwirkung entfalten – aufgrund des hohen Ansehens, das das Bundesverfassungsgericht international genießt.

Das eigentlich Sensationelle an dem Urteil ist doch, dass es um Freiheitsrechte in der Zukunft geht, oder?

Heß: Genau, das ist in der Tat sensationell. Denn damit eine Verfassungsbeschwerde zulässig ist, muss dargestellt werden können, dass die Beschwerdeführenden gegenwärtig in ihren Grundrechten verletzt sind. Das rechtliche Problem bestand also darin, dass mit der Beschwerde Beeinträchtigungen geltend gemacht wurden, die bei einigen Klägern bereits jetzt, aber in besonderer Schwere erst in der Zukunft drohen. Das Gericht hat nun klargestellt, dass es mit dem Klimaschutz um die Freiheitsrechte insgesamt geht und zwar in zweifacher Hinsicht: Sowohl der Klimawandel als auch der Klimaschutz sind für die Freiheit relevant.

Von welchen Freiheitsrechten reden wir hier eigentlich?

Heß: Es geht letztlich um alle Freiheitsrechte, vor allem um Leben und Gesundheit, Eigentum, Berufsfreiheit und die sogenannte allgemeine Handlungsfreiheit, die sowohl durch den Klimawandel selbst, aber auch durch einschneidende Maßnahmen zum Schutz vor dem Klimawandel bedroht sind. Damit der Übergang in eine klimaneutrale Gesellschaft freiheitsrechtsverträglich stattfinden kann, ist es wichtig, dass die Politik frühzeitig den Transformationsprozess einleitet, damit nicht in sehr kurzer Zeit extrem einschneidende Maßnahmen ergriffen werden müssen, sondern die Menschen und die Wirtschaft ausreichend Zeit haben, sich auf die Klimaneutralität einzustellen. Dies hat das Gericht sehr klar formuliert.

Bedeutet das Urteil, dass Freiheitsrechte künftig eine Art Ressource sind, die es zu dosieren gilt?

Heß: Das bedeutet es mit Sicherheit nicht. Denn die Entscheidung stellt klar, dass alle Freiheitsrechte letztlich begrenzt werden durch die Wertentscheidungen des Grundgesetzes und die Rechte anderer. Eine egoistische Freiheit des Einzelnen ohne Rücksicht auf die Rechte anderer hat das Grundgesetz den Menschen auch nie versprochen. Es ist die Aufgabe unseres Gesetzgebers, das Gewicht der jeweils miteinander konkurrierenden Belange in einen gerechten Ausgleich zu bringen. Und hierbei darf er eben nicht nur das Hier und Heute berücksichtigen, sondern muss auch die Zukunft im Blick haben.

Das heißt, dass Einschnitte bei den gegenwärtigen Freiheitsrechten unumgänglich sind?

Heß: Das bedeutet es, wenn man die Anstrengungen erhöhen möchte und jetzt in den Transformationspfad einsteigt. Das wirkt in alle Bereiche hinein, ob wir nun über Verkehr, Gebäudesanierung oder Landwirtschaft reden. Bestimmte Wirtschaftsweisen werden zurückgedrängt werden müssen, beispielsweise die Massentierhaltung. Da wird es dann um die Frage gehen, ob man das über Verbote oder Anreize macht. Und in jedem Bereich spielen Grundrechte eine Rolle, seien es nun Eigentumsfragen oder Fragen der Berufsfreiheit.

Blick vom Aussichtspunkt auf die gigantische Förderbrücke F60 im Braunkohletagebau Jänschwalde der Lausitz Energie Bergbau AG (LEAG) im brandenburgischen Grießen. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem jüngsten Urteil zum Klimaschutz der Bundesregierung Nachbesserungen verordnet.
Foto: Archivbild Patrick Pleul, dpa | Blick vom Aussichtspunkt auf die gigantische Förderbrücke F60 im Braunkohletagebau Jänschwalde der Lausitz Energie Bergbau AG (LEAG) im brandenburgischen Grießen.
Sind Sie mit der Entscheidung zufrieden oder erwägen Sie und Ihre Mandanten weitere Schritte?

Heß: Natürlich sind wir sehr zufrieden mit der Entscheidung, die einen Meilenstein des Umweltrechts und des Verfassungsrechts darstellt und deren wissenschaftliche Aufarbeitung sicher noch einige Zeit in Anspruch nehmen wird. Aber aus unserer Sicht gibt es auch einige Punkte, die uns nicht überzeugen. Dass das Gericht nur das Paris-Ziel, also eine Begrenzung der Erderwärmung auf deutlich unter 2 Grad, möglichst 1,5 Grad, aber nicht die 1,5-Grad-Grenze selbst als verfassungsrechtlich verbindlich angesehen hat, sehen wir kritisch. Auch der Punkt, dass die meisten Emissionen nicht durch Deutschland allein, sondern durch EU-Gesetzgebung geregelt sind, fehlt in der Entscheidung. Wir hatten ausdrücklich beantragt festzustellen, dass Deutschland auf EU-Ebene nicht ausreichend zugunsten des Klimaschutzes tätig geworden ist. Darauf ist das Gericht nicht eingegangen. Es wird in der weiteren Umsetzung des Urteils aber eine zentrale Rolle spielen. Unsere weiteren Schritte hängen von einer ausführlichen Prüfung der einzelnen Urteilsgründe, aber auch davon ob, wie der Gesetzgeber sich nun weiter verhält.

Klimaschutzgesetz

Ende 2019 wurde das Klimaschutzgesetz von Bundestag und Bundesrat verabschiedet. Es legt für die Jahre bis 2030 für einzelne Bereiche wie Verkehr, Landwirtschaft oder Gebäude fest, wie viel Treibhausgase sie in welchem Jahr ausstoßen dürfen. Das soll dazu beitragen, den Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur auf deutlich unter 2 Grad und möglichst auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen, um die Folgen des Klimawandels so gering wie möglich zu halten.
Das Gesetz sieht bisher vor, den Ausstoß von Treibhausgasen bis 2030 um 55 Prozent zu verringern. Für die Zeit nach 2030 gibt es keine Regelung. Das Bundesverfassungsgericht verpflichtete nun mit seinem Urteil den Gesetzgeber, bis Ende 2022 die Reduktionsziele für Treibhausgasemissionen für die Zeit nach 2030 genauer zu regeln.
Quelle: dpa
 
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Kommentare
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  • madeleine.beck.mail
    Es bröckelt an allen Ecken und Enden.
    Klima, Armut, Corona, Vermüllung, Kriminalität und Konzept- bzw Führungslosigkeit.

    Wenn die Judikative der Legislative die Leviten ließt, ist es weit gekommen...
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  • peterlesbub
    Aus meiner Erfahrung betrachtet ist die Kanzlei nicht billig aber Preis wert, weil Sie sehr exakt arbeitet und Erfolge erzielt. Stichwort auch Wackersdorf wo sie sich schon bundesweit Anerkennung bis zu den höchsten Gerichten erdient hat.
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  • renitent
    Den Klägerinnen und Klägern gebührt großer Dank. Ebenso dem Bundesverfassungsgericht, da mit diesem bahnbrechenden Beschluss die Ausrichtung und Maß allen politischen und gesetzgeberischen Handelns künftig Klimaschutz, Klimaanpssung und die schnellstmögliche Klimaneutralität sein werden. Danke!
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  • uwe.luz@t-online.de
    Sie verkennen die Tragweite der Entscheidung. Das BVerfG hat lediglich die Lastenverteilung über die Zeit beanstandet.

    Zitate aus der Entscheidung:

    "Der Klimaschutz genießt keinen unbedingten Vorrang gegenüber anderen Belangen, sondern ist im Konfliktfall in einen Ausgleich mit anderen Verfassungsrechtsgütern und Verfassungsprinzipien zu bringen."

    "Unter Berücksichtigung des Spielraums des Gesetzgebers ist derzeit nicht festzustellen, dass die Regelungen des Klimaschutzgesetzes das verfassungsrechtliche Klimaschutzgebot aus Art. 20a GG verletzen."

    "§ 3 Abs. 1 Satz 2 und § 4 Abs. 1 Satz 3 KSG in Verbindung mit Anlage 2 genügen jedoch nicht dem aus dem Gebot der Verhältnismäßigkeit folgenden Erfordernis, die Reduktionen von CO2-Emissionen bis hin zur Klimaneutralität vorausschauend in grundrechtsschonender Weise über die Zeit zu verteilen."
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  • l.saubert@web.de
    Man sieht doch, dass wieder eine hektischen Reaktion ohne Sinn und Verstand folgt. Das Urteil des Verfassungsgericht wird deutlich missgedeutet und populistisch ausgeschlachtet.
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