Es war eine juristische Sensation: Vergangene Woche hat das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe entschieden, dass die Bundesregierung das 2019 verabschiedete Klimaschutzgesetz nachbessern muss, um die Freiheitsrechte jüngerer Generationen zu schützen. Hintergrund ist vor allem die Minderung von Treibhausgas-Emissionen. Bis 2050 soll Deutschland die Treibhausgas-Neutralität erreicht haben, die Vorgaben für die nötigen Minderungen bei den Emissionen sind aber nur bis 2030 geregelt. Nach Auffassung der Karlsruher Richterinnen und Richter bedeutet das eine überdurchschnittliche Bürde für die junge Generation.
Dem Gericht lagen vier Klagen vor. Franziska Heß, 42, Fachanwältin für Verwaltungsrecht von der Würzburger Kanzlei Baumann Rechtsanwälte, hat die erste, bereits 2018 eingereichte Klage zum Klimaschutz vor dem Bundesverfassungsgericht vertreten. Die auf Verwaltungsrecht spezialisierte Kanzlei hatte damals zunächst den Solarenergie-Förderverein (Aachen) vertreten, der Klage schlossen sich der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) sowie elf Bürgerinnen und Bürger aus verschiedenen Bundesländern an. Ein Gespräch über den Erfolg bei Gericht und die Konsequenzen für Politik und Gesellschaft.
Franziska Heß: Ich muss gestehen, ich war richtiggehend fassungslos, weil ich mit einer positiven Entscheidung tatsächlich nicht gerechnet habe. Blickt man in die Verfassungsrechtshistorie, gab es bisher noch keine erfolgreiche Umweltverfassungsbeschwerde, die direkt gegen den Gesetzgeber gerichtet war. Mit dem Versuch, Grundrechtsverletzungen wegen zukünftiger Klimawandel-Folgen und erst in der Zukunft zu erwartender staatlicher Eingriffe einzuklagen, haben wir rechtliches Neuland betreten. Die Erwartungen waren deshalb nicht sehr hoch. Im Herbst 2019 erhielten wir dann aber die Nachricht, dass die Beschwerde an den Bundestag und die Regierung zugestellt wurde, was wir als Botschaft des Gerichts interpretiert haben, dass es die Beschwerden nicht für offensichtlich unzulässig oder unbegründet hält.
Heß: Die Initialzündung war wohl letztlich die Mitteilung der Bundesregierung im Jahr 2018, dass voraussichtlich sowohl die selbstgesetzten als auch die europäisch vorgegebenen Klimaschutzziele 2020 verfehlt werden. Aus dieser Mitteilung folgte seitens Bundesregierung und Bundestag schlicht nichts – und das in einer Situation, wo der Weltklimarat dringende Appelle an die Staaten gerichtet hatte, endlich tätig zu werden. Ein Klimaschutzgesetz war nach wie vor nicht in Sicht. Für einen unserer Mandanten, den Solarenergie-Förderverein, war das Fass damit übergelaufen. Die Verfassungsbeschwerde richtete sich zunächst darauf, dass es der Gesetzgeber unterließ, geeignete Maßnahmen zum Klimaschutz zu ergreifen.
Heß: Das Klimaschutzgesetz war eine Mogelpackung, ohne jeden Zweifel. Das hat das Verfassungsgericht jetzt auch für alle erkennbar entlarvt. Das Gesetz lässt es zu, dass heutige Generationen in die Freiheitsrechte zukünftiger Generationen eingreifen, indem es ihnen bis 2030 zu vieleTreibhausgas-Emissionen zugesteht. Es hat Reduktionslasten in unzulässiger Weise in die Zukunft verschoben.
Heß: Mit der Klage wollten wir die Feststellung, dass der Gesetzgeber keine ausreichenden Maßnahmen ergriffen hat, um die Freiheitsrechte und Leib und Leben der Beschwerdeführer in der Zukunft vor dem Klimawandel und dessen Folgen zu schützen. Nur ein sofortiges Handeln jetzt kann verhindern, dass das Ziel, den Anstieg der Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen, noch erreicht werden kann. Dieses Ziel, so war unsere These, wird dem Gesetzgeber durch Art. 20a des Grundgesetzes (Anmerkung der Redaktion: Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen künftiger Generationen) verfassungsrechtlich verbindlich aufgegeben. Wir haben auch geltend gemacht, dass es ein Grundrecht auf Klimaschutz gibt und die Grundrechte auch die zeit- und grenzüberschreitende Freiheit schützen.
Heß: Die Politik muss nun endlich den Transformationsprozess in eine klimaneutrale Lebens- und Wirtschaftsweise mit Hochdruck einleiten. Eine Änderung des Klimaschutzgesetzes für die Zeit ab 2031 reicht nicht. Die Ziele für die Zeit nach 2030 müssen wegen des bis dahin schon aufgebrauchten Budgets deutlich nachgeschärft werden, was notwendig auch Verschärfungen des Pfads bis 2030 erzwingen dürfte. Auch wird es nicht ausreichend sein, nur das Klimaschutzgesetz anzugehen, sondern auch andere energie- und agrarrechtlicher Gesetze - zum Beispiel EEG, Kohlekompromiss - müssen auf den Prüfstand. Wichtiger und wirksamer wären zudem Änderungen auf EU-Ebene, also eine nicht mehr bremsende, sondern antreibende Rolle Deutschlands in der EU, etwa Integration aller fossilen Brennstoffe in den EU-Emissionshandel, Streichung aller Altzertifikate, Nullemissionen bis spätestens 2035. Das Urteil wird mittelbar auch im Ausland eine Vorbildwirkung entfalten – aufgrund des hohen Ansehens, das das Bundesverfassungsgericht international genießt.
Heß: Genau, das ist in der Tat sensationell. Denn damit eine Verfassungsbeschwerde zulässig ist, muss dargestellt werden können, dass die Beschwerdeführenden gegenwärtig in ihren Grundrechten verletzt sind. Das rechtliche Problem bestand also darin, dass mit der Beschwerde Beeinträchtigungen geltend gemacht wurden, die bei einigen Klägern bereits jetzt, aber in besonderer Schwere erst in der Zukunft drohen. Das Gericht hat nun klargestellt, dass es mit dem Klimaschutz um die Freiheitsrechte insgesamt geht und zwar in zweifacher Hinsicht: Sowohl der Klimawandel als auch der Klimaschutz sind für die Freiheit relevant.
Heß: Es geht letztlich um alle Freiheitsrechte, vor allem um Leben und Gesundheit, Eigentum, Berufsfreiheit und die sogenannte allgemeine Handlungsfreiheit, die sowohl durch den Klimawandel selbst, aber auch durch einschneidende Maßnahmen zum Schutz vor dem Klimawandel bedroht sind. Damit der Übergang in eine klimaneutrale Gesellschaft freiheitsrechtsverträglich stattfinden kann, ist es wichtig, dass die Politik frühzeitig den Transformationsprozess einleitet, damit nicht in sehr kurzer Zeit extrem einschneidende Maßnahmen ergriffen werden müssen, sondern die Menschen und die Wirtschaft ausreichend Zeit haben, sich auf die Klimaneutralität einzustellen. Dies hat das Gericht sehr klar formuliert.
Heß: Das bedeutet es mit Sicherheit nicht. Denn die Entscheidung stellt klar, dass alle Freiheitsrechte letztlich begrenzt werden durch die Wertentscheidungen des Grundgesetzes und die Rechte anderer. Eine egoistische Freiheit des Einzelnen ohne Rücksicht auf die Rechte anderer hat das Grundgesetz den Menschen auch nie versprochen. Es ist die Aufgabe unseres Gesetzgebers, das Gewicht der jeweils miteinander konkurrierenden Belange in einen gerechten Ausgleich zu bringen. Und hierbei darf er eben nicht nur das Hier und Heute berücksichtigen, sondern muss auch die Zukunft im Blick haben.
Heß: Das bedeutet es, wenn man die Anstrengungen erhöhen möchte und jetzt in den Transformationspfad einsteigt. Das wirkt in alle Bereiche hinein, ob wir nun über Verkehr, Gebäudesanierung oder Landwirtschaft reden. Bestimmte Wirtschaftsweisen werden zurückgedrängt werden müssen, beispielsweise die Massentierhaltung. Da wird es dann um die Frage gehen, ob man das über Verbote oder Anreize macht. Und in jedem Bereich spielen Grundrechte eine Rolle, seien es nun Eigentumsfragen oder Fragen der Berufsfreiheit.
Heß: Natürlich sind wir sehr zufrieden mit der Entscheidung, die einen Meilenstein des Umweltrechts und des Verfassungsrechts darstellt und deren wissenschaftliche Aufarbeitung sicher noch einige Zeit in Anspruch nehmen wird. Aber aus unserer Sicht gibt es auch einige Punkte, die uns nicht überzeugen. Dass das Gericht nur das Paris-Ziel, also eine Begrenzung der Erderwärmung auf deutlich unter 2 Grad, möglichst 1,5 Grad, aber nicht die 1,5-Grad-Grenze selbst als verfassungsrechtlich verbindlich angesehen hat, sehen wir kritisch. Auch der Punkt, dass die meisten Emissionen nicht durch Deutschland allein, sondern durch EU-Gesetzgebung geregelt sind, fehlt in der Entscheidung. Wir hatten ausdrücklich beantragt festzustellen, dass Deutschland auf EU-Ebene nicht ausreichend zugunsten des Klimaschutzes tätig geworden ist. Darauf ist das Gericht nicht eingegangen. Es wird in der weiteren Umsetzung des Urteils aber eine zentrale Rolle spielen. Unsere weiteren Schritte hängen von einer ausführlichen Prüfung der einzelnen Urteilsgründe, aber auch davon ob, wie der Gesetzgeber sich nun weiter verhält.
Klima, Armut, Corona, Vermüllung, Kriminalität und Konzept- bzw Führungslosigkeit.
Wenn die Judikative der Legislative die Leviten ließt, ist es weit gekommen...
Zitate aus der Entscheidung:
"Der Klimaschutz genießt keinen unbedingten Vorrang gegenüber anderen Belangen, sondern ist im Konfliktfall in einen Ausgleich mit anderen Verfassungsrechtsgütern und Verfassungsprinzipien zu bringen."
"Unter Berücksichtigung des Spielraums des Gesetzgebers ist derzeit nicht festzustellen, dass die Regelungen des Klimaschutzgesetzes das verfassungsrechtliche Klimaschutzgebot aus Art. 20a GG verletzen."
"§ 3 Abs. 1 Satz 2 und § 4 Abs. 1 Satz 3 KSG in Verbindung mit Anlage 2 genügen jedoch nicht dem aus dem Gebot der Verhältnismäßigkeit folgenden Erfordernis, die Reduktionen von CO2-Emissionen bis hin zur Klimaneutralität vorausschauend in grundrechtsschonender Weise über die Zeit zu verteilen."