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Würzburg
Keine Geräusche und gedimmtes Licht: Gibt es die "Stille Stunde" auch bald in Würzburgs Supermärkten?
Keine piepsenden Kassengeräusche und keine Lautsprecherwerbung  – das ist das Konzept der "Stillen Stunde" in Supermärkten. Was steckt hinter dem "leisen Einkaufen"?
Besonders nervig im Supermarkt: Die piepsenden Kassengeräusche. Während der 'Stillen Stunde' sollen diese ausgeschaltet werden. Doch nicht alle Würzburger Supermärkte können das umsetzen.
Foto: Sven Hoppe, dpa | Besonders nervig im Supermarkt: Die piepsenden Kassengeräusche. Während der "Stillen Stunde" sollen diese ausgeschaltet werden. Doch nicht alle Würzburger Supermärkte können das umsetzen.
Gina Thiel
 |  aktualisiert: 15.07.2024 09:45 Uhr

Ein Einkauf im Supermarkt kann ganz schön anstrengend sein –besonders zu den Stoßzeiten. Lange Schlangen an den Kassen sind dabei nur ein Problem. Grelle Lichter, überfüllte Gänge, laute Werbe- und Informationsdurchsagen über die Lautsprecher, die Dauermusik oder die piepsenden Kassensysteme können nach einem stressigen Arbeitstag zu einer regelrechten Reizüberflutung führen.

Für hochsensible und autistische Menschen ist das Alltag. Sie nehmen Details und Reize intensiver und weniger gefiltert war, wie Manuela Schmied, Sonderpädagogin beim Autismus Kompetenzzentrum Unterfranken erklärt. Daher meiden viele von ihnen den Gang in den Supermarkt, greifen auf Unterstützung zurück oder bestellen online. In Bergisch Gladbach (Nordrhein-Westfalen) haben drei Supermärkte dafür jetzt eine Lösung gefunden: die "Stille Stunde".

Konzept der Stillen Stunde bald auch in Würzburger Supermärkten?

Inklusion steht dabei an oberster Stelle. Vor wenigen Monaten führte Markus Hetzenegger auf Eigeninitiative die "Stille Stunde" während der regulären Öffnungszeiten ein, wie Kerstin Holla, Pressesprecherin von Edeka Rhein-Ruhr erklärt. Die selbstständigen Kaufleute betreiben ihre jeweiligen Märkte eigenständig und entscheiden individuell über Aktionen und Projekte.

Der Edeka-Markt von Markus Hetzenegger in Bergisch Gladbach hat die 'Stille Stunde' in Eigenverantwortung eingeführt.
Foto: Markus Hetzenegger | Der Edeka-Markt von Markus Hetzenegger in Bergisch Gladbach hat die "Stille Stunde" in Eigenverantwortung eingeführt.

Deshalb entschied sich Hetzenegger, die Beleuchtung, Geräusche und Gerüche in seinem Markt so weit wie möglich zu reduzieren und längere Wartezeiten zu vermeiden, wie Kerstin Holla, Pressesprecherin von Edeka Rhein-Ruhr erklärt. Das Auffüllen von Regalen, Reinigungsarbeiten, Musik und Kassengeräusche würden während der "Stillen Stunde" weitestgehend vermieden werden. Lautsprecherdurchsagen gäbe es nur im Notfall.

Die Kundinnen und Kunden freut es, sagt Holla und fügt hinzu: "Viele Kunden – auch die, die keine Reizverarbeitungsschwierigkeiten haben – begrüßen es, in einer ruhigen Atmosphäre einzukaufen." Neu ist das Konzept allerdings nicht. In Ländern wie der Schweiz und Großbritannien ist das Konzept bereits seit vielen Jahren fest etabliert. Ob es in Würzburg bald auch eine "Stille Stunde" im Supermarkt gibt, ist jedoch fraglich.

In Würzburg kennt kaum einer das Konzept der "Stillen Stunde"

Als diese Redaktion bei einzelnen Supermarktfilialen nachfragte, kannten viele die "Stille Stunde" noch nicht. So auch Stefan Lutz, Filialleiter des Rewe-Marktes in der Frankfurter Straße. "Von dem Konzept höre ich gerade das erste Mal", gibt er zu. Generell fände er die Idee gut, könne sich spontan allerdings nicht vorstellen, wie sich dies umsetzen ließe. "Das Piepsen der Kassensysteme lässt sich nicht abstellen und gleiches gilt für unsere Lüftungssysteme, die relativ laut sind." Ließe sich dafür eine Lösung finden, wäre er prinzipiell nicht gegen die "Stille Stunde", erklärt Lutz.

Ähnlich äußerte sich auch Peter Körner, Filialleiter des Edeka-Marktes in Randersacker. Die Umsetzung stelle er sich schwer vor, da Lichter und Lautsprecher von der Zentrale gesteuert würden. Eine "Stille Stunde" sei vermutlich mit einem hohen Programmieraufwand verbunden. Dennoch würde er das Konzept einführen. "Ob dafür Bedarf besteht, weiß ich allerdings nicht", sagt Körner. Er glaubt, dass die betroffenen Personengruppen schon jetzt zu Zeiten einkaufen gehen würden, in denen wenig Publikumsverkehr herrsche.

Laute Lüftungs- und Kühlanlagen sind ein Problem

Auch im Edeka-Markt von Christian Riedmeyer gibt es aktuell keine konkreten Pläne, eine "Stille Stunde" einzuführen. Doch der Inhaber weiß durch seine eigenen täglichen Erfahrungen, dass Supermärkte generell Orte sind, an denen Menschen vielen Reizen und einem hohen Geräuschpegel ausgesetzt sind. Die Idee von der "Stillen Stunde" findet er gut und würde diese in seinen Märkten in der Brettreichstraße und St.-Benedikt-Straße umsetzen, sagt er.

Nur die Frage nach dem "Wie" lässt ihn zögern. Zwar sehe kein Problem darin, die Musik- und Lautsprecheranlagen für eine Stunde am Tag auszuschalten, die Kühl- und Lüftungsanlagen hingegen seien ein größeres Hindernis. "Die sind ziemlich laut", könnten aber nicht ohne weiteres abgeschaltet werden. Doch bei entsprechenden Vorschlägen und Umsetzungskonzepten seitens der Edeka-Zentrale sei er "immer dafür, diese Menschen in das gesellschaftliche Leben zu integrieren, wo immer es möglich ist."

Zu viele Reize auf einmal sorgen für Kopfschmerzen und Überforderung

Manuela Schmied fände die Idee für Würzburg gut. Sie glaubt auch, "wenn es dieses Angebot gäbe, dann würde es auch verstärkt genutzt werden." Doch sie betont auch, dass das Empfinden von autistischen Menschen sehr unterschiedlich sein kann. "Es gibt Personen, die können das sehr gut aushalten und haben Strategien entwickelt, anderen fällt es schwerer." Das sei auch häufig von der Tagesform abhängig.

Grundsätzlich würden Autistinnen und Autisten Informationen anders verarbeiten, erklärt Schmied. Sind sie einer Reizüberflutung ausgesetzt, dann können Anspannungen, psychosomatische Symptome wie Kopfschmerzen oder Überforderung die Folge sein, so die Sozialpädagogin.

 
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    Ich gehe in den Supermarkt zum Einkaufen für Lebensmittel. Musik oder Ansagen gibt es in den Würzburger Supermärkten nicht, das Piepen der Kassen irritiert mich nicht. Sind wir schon so gestresst oder autitisch angehaucht, dass wir das nicht mehr ertragen können und "Stille Stunden" dort brauchen? Arme Menschheit!!
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  • D. Z.
    Eines verstehe ich nicht: Wenn man die "Piepsgeräusche" der Kasse ausschalten kann, warum dann nur in der "stillen Stunde"? Und weiter unten wird gesagt dass diese gar nicht abschaltbar sind?
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  • M. B.
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  • G. K.
    Wenn wir schon dabei sind: bitte auch die fürchterlich stinkenden Kehrmaschinen durch hygienischere Methoden ersetzen. Brauchwasser ist ja schon für ein- oder zweimal ok, aber irgendwann muss das Wasser auch mal gewechselt werden.
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  • D. E.
    Scheuersaugmaschinen haben einen Frischwassertank und nutzen nicht immer das gleiche Wasser.
    https://www.kaercher.com/de/professional/scheuer-scheuersaugmaschinen.html
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  • A. L.
    Ich bin zwar nicht Autistin, aber bin wohl hochsensibel. Es ist gut, das Konzept bekannt zu machen. Ich wäre sofort dabei. Die ständige Berieselung mit ungeliebter 0815-Musik in Kombination mit Durchsagen, grellem Neonlicht, den vielen Gerüchen und der (im internationalen Vergleich) sehr deutschen, unnötigen Hektik an den Kassen, die gern mit Akkord- Fliessbändern verwechselt werden) macht jedes Einkaufen in Supermärkten, Baumärkten und co. zu einem eher stressvollen Unterfangen.

    Es geht nicht darum, komplette Stille herzustellen, sondern darum, das Einkaufsumfeld insgesamt stiller und reizarmer zu gestalten. Dh., das zu reduzieren und abzustellen, was geht. Das Piepen der Kassen und die Geräuschkulisse der Lüftungsanlagen alleine wären eine Wohltat.
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  • K. H.
    Meine Methode, die Hektik rauszunehmen: Ich frage die Rekordgeschindigkeitskassierer*innen, ob sie das "Kassenparadoxon" kennen. Wenn nicht (also immer) erkläre ich ihnen dann: "Je schneller Sie hier scannen, umso langsamer räume ich die Waren ab. Das hilft auch Ihnen beim Entschleunigen!" Nachschieben, bis etwas runterfällt dürfen sie nicht, und interessanterweise hat auch noch keiner in der Kassenschlange deswegen gemault. Es scheint doch Bedarf zu bestehen...

    Beim Einkaufen in Benelux, Frankreich, Spanien, Portugal (Meine Lieblings-Reiseländer) muss ich mich immer erst an die fehlende Hektik an den Kassen gewöhnen, aber dort kriegt auch jeder rechtzeitig, was er will.
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  • J. S.
    Ein solches Konzept wäre auch für Nicht-Autisten ein Segen.
    Es wäre schon ein Fortschritt wenn man nicht überall in den Kaufhäusern und Supermärkten mit „Musik“ zwangsläufig vollgeplärrt wird.
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  • M. K.
    Tolle Idee! Ich würde sofort zu diesen Zeiten einkaufen gehen.
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  • Veraltete Benutzerkennung
    Dass die Würzburger Supermarktchefs nach dem Motto "ganz oder gar nicht" denken, kann ich nicht verstehen. Auch in anderen Ländern, wo das Konzept bereits lange und erfolgreich läuft, lassen sich Kassen und Kühlung nicht lautlos schalten. Der Verzicht auf Musik und vermeidbare Geräusche scheint das Entscheidende zu sein. Steckt hinter den in Würzburg geäußerten Bedenken daher nicht doch ein leichter Unwille zur Inklusion? Das fände ich schade.
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