Krebspatienten in Deutschland haben heute deutlich bessere Chancen auf Heilung als noch vor 20 Jahren. Grund sind neu entwickelte Verfahren wie in der Immuntherapie, neue Medikamente und generell eine gezieltere Behandlung von Krebserkrankungen. Nicht zu vergessen: ergänzende Programme aus der Naturheilkunde, die für den Erfolg der eigentlichen Therapie eine wichtige Rolle spielen.
Krebspatienten wollen Heilung selbst fördern
Die Angebote der so genannten Komplementärmedizin werden zusehends auch von klassischen "Schulmedizinern" anerkannt. Nach Schätzungen nutzen in Deutschland bis zu 70 Prozent der Krebspatienten solche begleitenden Angebote, auch wenn nur ein Bruchteil ärztlich verordnet wird. Betroffene greifen zu jedem Strohhalm, der Heilung verspricht – und stürzen sich dabei nicht selten in Unkosten.
Sie habe Patienten erlebt, die Tausende Euro für Nahrungsergänzungsmittel, teure Entgiftungskuren oder übertriebene Gensequenzierungen von Blut oder Tumoren ausgegeben hätten, berichtet Dr. Claudia Löffler von der Würzburger Uniklinik. "Was extrem teuer ist, sollte skeptisch machen", sagt die 38-jährige Oberärztin in der Chemo-Ambulanz.
Grundsätzlich ist sie vom Nutzen der Komplementärmedizin überzeugt. "Patienten wollen selbst zu ihrer Genesung beitragen, genau hier setzen wir an", sagt die Medizinerin, die seit zwölf Jahren in der Onkologie arbeitet. Durch ihre Erfahrung weiß sie allerdings auch um die Fallen. Es gibt einen Markt, der nicht frei sei von Geschäftemachern und falschen Versprechungen. Deshalb sollten sich Patienten gut informieren, welche Angebote seriös sind.
Das Comprehensive Cancer Center (CCC), das mainfränkischen Krebszentrum an der Würzburger Uniklinik, will dabei helfen. Dort hält Löffler seit 2016 zusammen mit Kolleginnen selbst komplementärmedizinische Sprechstunden. Die Unterstützung mit Beratung und Kursen reicht von der Ernährung über Bewegung, Meditation und Entspannungsverfahren bis hin zu Wickeln und Akupunktur.
Es war die Deutsche Krebshilfe, die auf die Einrichtung eines solchen Bereiches gedrängt hat – schließlich ist die Würzburger Universitätsklinik eines von nur zwei zertifizierten onkologischen Spitzenzentren in Bayern und eines von nur 13 in ganz Deutschland, mitfinanziert von der Krebshilfe.
Wurden Naturheilverfahren von Krebsspezialisten vor Jahren noch gerne belächelt, so wachsen nach Wahrnehmung Löfflers mittlerweile Offenheit und Zustimmung auch bei Kollegen. Bei den Patienten gibt es sie sowieso: "Die Nachfrage ist wirklich enorm." Kurse und Programme sind voll, mehr Personal wäre nötig. Denn diese Art von Medizin braucht vor allem eines: Zeit. Und Geduld.
Manchmal fühlt sich Löffler wie eine Detektivin, es braucht viel Feingefühl. Im intensiven Gespräch mit einem Krebspatienten gilt es herauszufinden, welche Lebensumstände die Genesung etwa während oder nach einer Chemotherapie behindern oder wie die Heilung gefördert werden kann. Es geht um Bewegung, Ernährung, Entspannung, Schlaf, Arbeit oder psychischen Druck – und wenig um Medikamente. "Das ist für die Betroffenen nicht bequem", sagt die Ärztin, "einfacher ist es, eine Tablette zu schlucken. Aber die Patienten spüren selbst, dass es ihnen besser geht."
Krebspatienten ganzheitlich betrachten und unterstützen
Mit einem achtseitigen Fragebogen versucht Löffler, die Motivation der Patienten abzuklopfen und zu verstehen, wo genau sie zu Veränderungen bereit sind. Die Komplementärmedizin nimmt den ganzen Menschen in den Blick und nicht nur das erkrankte Organ. Was nicht bedeutet, dass die Tumor- oder Leukämiebehandlung mit den bekannten Verfahren wie Chemo oder einer Stammzelltherapie überflüssig wäre – ganz im Gegenteil. Sie sind Voraussetzung, damit der Patient auf den Weg der Genesung gelangt, die Komplementärmedizin will ihn dabei positiv begleiten.
Lehnt ein Betroffener die medizinisch angeratene Therapie ab und vertraut sich ausschließlich der Naturheilkunde an – dann kann es problematisch werden. "Hier versuchen wir Überzeugungsarbeit zu leisten", sagt Löffler, "doch letztlich zählt der Wille des Patienten." Komplementärmedizin sei kein Ersatz, keine Konkurrenz und auch nicht die "sanfte Variante". Sie solle nur als positiver Zusatz verstanden werden – idealerweise in enger Zusammenarbeit mit den behandelnden Onkologen. Denn auch Wechsel- oder Nebenwirkungen können zum Risikofaktor werden.
Beispiel Vitaminpillen, von manchen Firmen fälschlicherweise auch als Arzneimittel beworben: Sie kosten in größerer Menge leicht mehrere hundert Euro, ihre Wirkung ist umstritten. Löffler zufolge haben Studien gezeigt, dass derartige Mittel in hoher Dosierung und bei Einnahme über längere Zeit sogar Krebs auslösen könnten. Es ist also Vorsicht angebracht – und ärztliche Beratung. Noch in diesem Jahr sollen erstmals offizielle Leitlinien für die komplementäre Onkologie veröffentlicht werden, eine vorläufige Fassung gibt es bereits.
Die eigenen Ressourcen und Kraftquellen zu nutzen, um der Erkrankung etwas entgegenzusetzen und die Therapie bestmöglich zu bewältigen: Das ist das Ziel einer integrativen Medizin. Sie bringt herkömmliche Onkologie und Alternativmedizin zusammen, bindet zum Beispiel Verfahren der europäischen Naturheilkunde, der traditionellen chinesischen oder indischen Medizin, der Anthroposophie oder der Homöopathie ein.
Claudia Löffler arbeitet am Würzburger Uniklinikum mit dem "Essener Modell". Es basiert – vereinfacht ausgedrückt – auf einer modernisierten Naturheilkunde, die mit der herkömmlichen Krebsmedizin kombiniert wird. Der Anspruch: vorwiegend Verfahren zu nutzen, die wissenschaftlich überprüft oder zumindest schon langjährig in der Anwendung bewährt und sicher sind. Dazu kommen Methoden der modernen Ordnungstherapie: Patienten sollen ihren Alltag und Lebensstil möglichst gesund gestalten.
Das Modell berücksichtigt wissenschaftliche Studien zu Naturheilverfahren an den US-Universitäten Harvard und Stanford, sagt Löffler. Dort wurde festgestellt, dass Stressbewältigung und Resilienz (also die psychische Widerstandskraft) bei Krebs wichtige Säulen der Behandlung sein sollten. "Man hat gesehen, dass Entspannung und bewusste Krankheitsbewältigung bei chronischen Leiden wie Krebs sehr hilfreich sind", sagt Löffler. Für die Komplementärmedizin stehe eben nicht die Krankheit im Mittelpunkt – sondern der Patient.
Fragen und Antworten: Komplementärmedizin bei Krebs
Patienten möchten selbst etwas zum Therapieerfolg beitragen und sich nicht passiv einem zunehmend unpersönlich erlebten "Medizinapparat" unterwerfen. Sie wünschen sich eine "ganzheitliche", "biologische" oder "sanfte" unterstützende Therapie.
Komplementäre Methoden nehmen Betroffenen die Gefühle von Hilflosigkeit und Ohnmacht angesichts der lebensbedrohlichen Krankheit. Manche Methoden lindern – inzwischen gut belegt – die Aus- und Nebenwirkungen.
Für den Onkologen ist es aufschlussreich zu wissen, was der Patient für sich als hilfreich empfindet. Der Arzt kann Ratschläge geben – hinsichtlich Sport, Beruf, Ernährung oder spiritueller Orientierung. Und er kann vor Methoden warnen, die unseriös sind oder einen Erfolg der Krebstherapie gefährden.
Egal ob Arzt, Heilpraktiker oder anderer Therapeut – vorsichtig sollten Sie sein, wenn Ihnen Angst gemacht wird, Sie sich rasch entscheiden sollen, ein Geheimnis um die Medikamente gemacht wird oder Zielsetzung, Dauer und Erfolgskontrolle der Therapie nicht erklärt werden - und wenn die Therapie mit hohen Kosten verbunden ist.