Lea holt tief Luft und bläst in den Peak-Flow-Meter. Auf dem Gerät schießt der rote Messzeiger weit nach oben. Die Neunjährige strahlt, ihre Lunge funktioniert gut. Das war nicht immer so. Lea hat Asthma, genau wie ihre 14-jährige Schwester Emma. "Beide waren seit dem Kindergartenalter häufig krank, hatten ständig Infekte und nachts Atemnot", sagt ihre Mutter Alexandra Ballmann. Kurz vor Emmas Einschulung fuhren sie deshalb zum ersten Mal in eine Reha-Klinik in der Schweiz. Mittlerweile hat die Familie drei Reha-Aufenthalte und eine Mutter-Kind-Kur hinter sich.
Wie läuft eine Rehabilitation für Kinder ab? Und wo liegt der Unterschied zur Kur? Grundsätzlich soll eine Kinder- und Jugend-Rehabilitation die durch Erkrankungen beeinträchtigte oder gefährdete Gesundheit von Kindern verbessern, sagt Katja Braubach, Sprecherin der Deutschen Rentenversicherung (DRV). Ziel sei es, dass kranke Kinder wieder ohne Einschränkungen zur Schule gehen oder eine Ausbildung machen können.
Im vergangenen Jahr fanden in Bayern laut DRV knapp 3000 Kinder-Rehas statt
Insgesamt wurden 2020 in Bayern laut DRV rund 2900 Kinder-Rehabilitationen durchgeführt. Vor der Corona-Pandemie habe die Zahl sogar noch deutlich höher gelegen, so Braubach. Allein 2019 hätten 4400 Kinder-Rehas stattgefunden. Die häufigsten Diagnosen seien dabei psychische Störungen und Verhaltensstörungen sowie Adipositas. Oder Asthma, wie bei Lea und Emma Ballmann.
Zwei Mal war die Familie aus dem Landkreis Miltenberg zur Reha in Davos in der Schweiz. Der berühmte Wintersportort liegt auf einer Höhe von 1560 Metern, das Heilklima gilt als ideal für Lungenerkrankte und Allergiker. Mit dem Zug fuhren Alexandra Ballmann und ihre beiden Töchter in die Berge, vier Wochen lang wohnten sie dort in der Klinik. "Das hat Spaß gemacht, es war nicht wie in einem Krankenhaus", sagt Emma. Für sie war es besonders wichtig, in der Reha mehr über die eigene Erkrankung zu lernen - und Sicherheit zu gewinnen: "Man bekommt gesagt, wie man damit umgehen kann, wenn man einen Asthmaanfall hat."
Vorgeschlagen habe den Reha-Aufenthalt der Kinderarzt, erzählt ihre Mutter. "Emma hatte immer wieder Anfälle, bei denen sie kaum Luft bekam." Zudem belegte ein Test eine starke Hausstaubmilben-Allergie. Bis heute hat die Familie daher keine Teppiche, Tischdecken oder Vorhänge in der Wohnung. Eine Reha, so die Hoffnung, könne Emma helfen.
Etwa einen Monat dauert eine solche stationäre Reha für Kinder in der Regel. Ein Elternteil kann als Begleitperson dabei sein, "es geht aber hauptsächlich um die Kinder", sagt Alexandra Ballmann. Der Tag in der Klinik in Davos sei "schon getaktet" gewesen. "Es gab aber auch bewusst freie Zeiten, um nach draußen zu gehen und Ausflüge zu machen." Die Luftveränderung habe ihren Töchtern jedes Mal gutgetan. "Tatsächlich waren die Kinder nach der Reha immer eine Weile lang nicht krank", sagt Alexandra Ballmann. Trotzdem mussten sie weiter zweimal täglich mit einem Cortison-Spray inhalieren. "In schlechten Zeiten sogar drei Mal pro Tag, vor allem im Herbst und Winter", berichtet die Mutter. Das belastet.
Deshalb fuhr die Familie nach den beiden Aufenthalten in der Schweiz 2017 noch einmal zu einer Rehabilitation, nach Wangen im Allgäu. Dort begann der Tag für die beiden Mädchen meist mit Atem-Frühgymnastik. Nach dem Frühstück ging Lea in den Kindergarten, Emma in den Schulunterricht. Beides direkt in der Klinik. "Wir haben alle Hefte und Unterlagen von der Schule mitbekommen", erzählt Alexandra Ballmann. So wurde kein Stoff verpasst. Zwischen dem Lernen stand immer wieder Sport auf dem Stundenplan. Turnen, Schwimmen, Ballspiele.
"Gerade Asthmakinder sollen sich bewegen", sagt Alexandra Ballmann. Nachmittags gab es meist Physio- oder Ergotherapie, Logopädie-Stunden oder Schulungen. "Wie ist eine Lunge aufgebaut? Warum muss ich inhalieren? Wie bleibe ich bei einem Anfall ruhig? Solche Themen wurden den Kindern vermittelt", erzählt Ballmann.
Denn im Alltag in Unterfranken versuchen Emma und Lea ganz normal zu leben. Sie gehen zur Schule, treffen Freunde, machen Sport. "Ich reite und tanze zum Beispiel", erzählt Emma im Gespräch. "Ich reite auch. Und ich fahre Kunstrad", ruft Lea stolz. "Da kann man nicht bremsen, aber Kunststücke machen – zum Beispiel auf dem Sattel oder Lenker stehen." Ihre Mutter lacht.
Bei einer Mutter-Kind-Kur steht die Mutter im Mittelpunkt
Allerdings geht die Sorge um chronisch kranke Kinder an den Eltern meist nicht spurlos vorbei. Auch Alexandra Ballmann kämpft immer wieder mit Rückenschmerzen. Deshalb meldete sie sich 2020 zur Mutter-Kind-Kur auf Rügen an. "Das ist ganz anders als eine Kinder-Reha, da ging es um mich", sagt die 40-Jährige. Sie fuhr für drei Wochen in eine Klinik an der Ostsee. Emma und Lea waren zwar dabei, hatten aber keine eigenen Behandlungen, sondern nur ein Sportprogramm.
Im Unterschied zur Kinder-Reha stünde bei einer Mutter- oder Vater-Kind-Kur das Elternteil als Patient im Mittelpunkt, sagt Vedrana Romanovic, Sprecherin der AOK Bayern. Die Nachfrage sei in diesem Jahr enorm hoch. Bis August hätten bereits 1400 Mütter und Väter, die bei der AOK Bayern versichert sind, an entsprechenden Kuren teilgenommen.
Anders als bei einer Reha muss der Antrag für eine Mutter-Kind-Kur von den Versicherten bei der Krankenkasse gestellt werden. Dazu sei eine Verordnung vom Hausarzt nötig, sagt Romanovic. Gründe für einen Kurantrag seien beispielsweise psychische Belastungen, Trennungen oder Schwierigkeiten bei der Versorgung von chronisch kranken oder pflegebedürftigen Kindern.
Für Alexandra Ballmann stand auf Rügen Entspannung und Bewegung im Vordergrund: Meditation, Yoga und Sport. Aber auch Schulungen und Gespräche mit ebenfalls betroffenen Eltern. "Der Austausch mit anderen Familien war super." Aus allen Aufenthalten, egal ob Reha oder Kur, seien Freundschaften entstanden. Und ja: Es habe ihnen geholfen.
Emma muss seit August nicht mehr inhalieren. "Mir geht es gut", sagt die 14-Jährige und lächelt. "Natürlich ist man erleichtert und hofft, dass sie das Cortison vielleicht nicht mehr braucht und sich das Asthma mit der Pubertät komplett verwächst", sagt Alexandra Ballmann. Auch bei Lea habe sich die Krankheit gebessert. Nur wenn es Winter wird, wenn es kalt und neblig ist, "dann hab' ich immer Husten", sagt die Neunjährige. Das deutet sich bereits an, wenn sie in den Peak-Flow-Meter bläst. Der rote Messzeiger flutscht dann nur ein ganz kleines Stückchen nach oben.