Eine Jeansweste, auf dem Rücken das große Emblem vom eigenen Verein und drumherum bunte Aufnäher. Die klassische Kutte ist eigentlich schnell gemacht. Doch der Stoff, der durch die Fußballleidenschaft im Laufe der Jahre in Schweiß, Tränen und nicht zuletzt mit Bier getränkt wurde, entwickelt für viele Fans eine Bedeutung, die weit über die Summe der Sticker hinaus geht.
Die kultigen Kutten standen jetzt im Zentrum eines Wochenendes, dass es unter Fußballfans wohl so noch nie gegeben hat. Auf dem Gelände der Freien Turnerschaft Würzburg haben sich 230 Fußballfans aus ganz Deutschland getroffen, um sich, ihre Kutten und ihre Freundschaft zu feiern.
Das erste deutschlandweite Kuttentreffen in Würzburg
Auf der offiziellen Feier am Samstagnachmittag sitzen die prunkvoll geschmückten Anhänger dicht gedrängt an den Biergarnituren. Bei bestem Fußballwetter werden alte Geschichten ausgetauscht, Aufnäher begutachtet und ausgetauscht, Gesänge angestimmt. Gelegentlich werden auch Frotzeleien über die Tische hinweg ausgetauscht, aber immer mit einem gemeinsamen Lachen. Zum Treffen in Würzburg sind vor allem Männer gekommen, aber der Anteil an Frauen habe sich, wie die Älteren berichten, im Vergleich zu früheren Jahrzehnten schon deutlich erhöht.
Die Trägerinnen und Träger der nicht selten jahrzehntealten Westen benennen sich selbst nach dem, was sie auszeichnet: Sie sind die Kutten. Seit ein paar Jahren verbindet sie eine gemeinsame Facebookgruppe über Stadt- und Vereinsgrenzen hinweg. Die Gruppe hat inzwischen über 1300 Mitglieder und nachdem zweimal Corona dazwischen gekommen ist, fand am Wochenende das erste große Live-Treffen der Mitglieder in Würzburg statt.
Der bunte Haufen, der sich hier versammelt hat, lebt das Motto der Gruppe "In den Farben getrennt, in der Sache vereint". Auch die vier Organisatoren des Events kommen aus verschiedenen Ecken des Landes. Neben einem Mönchengladbacher, einem Stuttgarter und einem Darmstädter gehört auch Dieter Seitz vom Würzburger FV dazu.
Als es 2019 das erste Mal um die Planung eines großen Treffens ging, warf er gleich Würzburg in den Ring. Denn neben der zentralen Verkehrslage hat Würzburg einen entscheidenden Vorteil: Aus Sicht der Kutten gibt es hier keine Konkurrenz. Weil also niemand absagen würde, weil hier "feindliches Gebiet" ist, fiel die Wahl letztlich auf Würzburg. Und die Konkurrenz in der Stadt? "Wir würden natürlich auch eine Kickers-Kutte bei uns aufnehmen", versichert Dieter Seitz, aber bisher sei keine 'rote' Kutte bekannt.
Wie so viele der anwesenden Kutten ist auch Dieter Seitz schon lange Fan seines Vereins. Seitdem er 1982 bei seinem ersten Spiel war, ist er von Herzen 'ein Blauer'. Auch die Kutte trägt er seit vielen Jahren mit Stolz. "Sie ist für mich ein Zeichen der Liebe zum Verein und der Freundschaft zu den Anderen bei uns", sagt er. Dass die Kutte auch für die Freundschaft über Vereinsrivalitäten hinweg steht, entwickelt sich in der Szene allerdings erst in den letzten Jahren. Und die Facebook-Gruppe hat, wie alle Beteiligten berichten, daran entscheidenden Anteil.
Ursprünge und Entwicklung der Szene
In den 1970er und 80er Jahren waren die Fans mit den auffälligen Jacken die ersten "Hardcore" Fußballfans, lange bevor sich die Ultras in den deutschen Stadien organisierten. Als "Rowdys" und "Krawallmacher" waren sie damals für ihre Gewalt zwischen den verfeindeten Vereinen berüchtigt.
Volker Knapp, Co-Organisator und VfB Stuttgart Fan, nennt vor allem zwei Gründe für den Wandel zu einer friedlicheren Szene: Der Reifeprozess des Alterns. "Damals haben sich viele die Hörner abgestoßen" - und die Kutten selbst. Er beschreibt lebhaft die verschiedensten Verfahren, mit denen die Patches aufgebracht werden können, je nach Anspruch an Ästhetik und Langlebigkeit. So etwas Besonderes wolle niemand riskieren.
Auch WFV-Anhänger Dieter Seitz berichtet davon, dass die Kutte im Unterschied zu früher "heilig" sei. "Das Frotzeln gehört dazu, aber keine harten Beleidigungen, keine Gewalt", beschreibt er die Stimmung unter den Kutten dieser Tage. Auch Michael Laumen, Initiator des Treffens und Moderator der Facebook-Gruppe, stellt das klar: "Hier geht es um die Philosophie der Kutten und wer sich zum Beispiel rassistisch äußert, fliegt sofort raus."
Würzburger Eintracht-Kutte und Tourguide
Zurück zur Feier: An einem der bunt durchmischten Biertische sitzt auch "Kutten-Werner". Seit vielen Jahren fährt der Heidingsfelder mit dem Zug zu den Spielen seiner Eintracht in Frankfurt. Sein Vater habe ihn schon im Kindesalter zu seinem ersten Spiel mit nach Frankfurt genommen. "Ein 6:0 gegen die Bayern - das vergisst man nie", schwärmt er heute noch, "da musste ich einfach Eintracht-Fan werden". Die rot-weiß geprägte Kutte trage er seit den 80er Jahren bei jedem Spiel.
Neben seinem Bierglas liegt ein kleiner, schwarzer Wimpel, den er als Dankeschön für die Hilfe bei der Organisation des Wochenendes feierlich verliehen bekommen hat. Denn neben der großen Party am Samstag wurde den Angereisten von Freitag bis Sonntag ein vielfältiges Programm geboten. "Kutten-Werner" hat dabei die Stadttour in Würzburg übernommen, für die die WVV den 70 Fußballfans stilecht einen Sonderbus zur Verfügung gestellt hat.
Was macht die Kutten so besonders?
Schalker und Dortmunder, Arm in Arm. Frankfurter und Offenbacher, die zusammen Bier trinken. Bayern und Sechziger singen gemeinsam. Das zu erreichen sei nicht weniger als "historisch", wie Organisator Michael Laumen rückblickend schwärmt. Entscheidend für das freundschaftliche Miteinander sei die gemeinsame Leidenschaft einer Generation Fußballfans, die mit "Oldschool-Fußball, Bratwurst und Bier" zum großen Teil in den 1980er Jahren aufgewachsen ist - und sich über die liebevollen Kutten identifiziere.
Inzwischen haben viele Kutten auch eine Familie, die nicht wenige auch mit nach Würzburg gebracht haben. "Wir wollen den Spaß und die Faszination auch an die nächste Generation weitergeben", sagt beispielsweise Co-Organisator Christian Herzog, mit seinem Sohn – natürlich mit einer kleinen Kutte – auf dem Arm.
Institutionalisierung des Treffens in der "Kuttenhauptstadt" Würzburg
Auch Dieter Seitz ist von dem Fußball-Event der besonderen Art begeistert: "Wir Kutten vom WFV können hier zeigen, dass wir als 'kleiner' Verein bei den 'großen' dazugehören." Und sie werden es wohl auch in Zukunft. Denn Initiator Michael Laumen erklärt Würzburg nach dem erfolgreichen Wochenende zur "Kuttenhauptstadt". Er will zukünftig das Wochenende nach Pfingsten als jährliches Treffen in der Stadt etablieren.