Die Staatsanwaltschaft hat nach eigenen Angaben einen Redner einer Würzburger "Querdenker"-Demo wegen des Verdachts der Verwendung verfassungsfeindlicher Kennzeichen angeklagt. Grünen-Politiker Sebastian Hansen hatte den Mann angezeigt, weil dieser auf einer Demo einen Hitlergruß gezeigt haben soll. Der wiederum sieht sich verleumdet und hatte mit einer Gegenanzeige wegen Verleumdung reagiert. Doch auch die Staatsanwaltschaft steht wegen einer fehlerhaften Verfügung in der Kritik. Was war passiert?
Den rechten Arm mit flacher Hand steil nach vorne gereckt, steht Hans K. (Name geändert) Ende vergangenen Jahres auf einer Bühne auf dem Würzburger Marktplatz. "Da hinten ist noch ein Drittel frei", sagt der Mann, der in den letzten zwei Jahren zu einer Schlüsselfigur der unterfränkischen "Querdenker"-Szene aufgestiegen ist. Die Menge soll sich auf dem Versammlungsplatz verteilen, so wollen es die Auflagen. Dann hebt K. nochmal den Arm, lässt ihn einige Sekunden in der Position und sagt, dass Atteste gegen die Maskenpflicht bitte "hinten" bei der Polizei vorgezeigt werden sollen.
Video zeigt Armbewegung auf dem Marktplatz in Würzburg
Es ist eine ungewöhnliche Geste in ungewöhnlichen Zeiten. Angesichts einer möglichen Impfflicht versammeln sich damals teils tausende auf Unterfrankens Straßen – oft ordnungswidrig, manchmal gewalttätig. Die Versammlung Ende des Jahres 2021 in Würzburg ist ordnungsgemäß angezeigt, rund 400 Personen sind gekommen. Die Polizei ist mit großer Präsenz vor Ort, sorgt dafür, dass Auflagen eingehalten werden. K. gibt die Anweisungen der Polizei als Redner an die Menge weiter, das zeigt ein Video, das seine Armbewegung festgehalten hat und das die Redaktion einsehen konnte.
Für Sebastian Hansen, Grünen-Politiker und zweiter Bürgermeister von Waldbüttelbrunn (Lkr. Würzburg), ist die Lage dennoch eindeutig: Er hat den Vorfall bei der Würzburger Staatsanwaltschaft angezeigt. "Während einer Rede auf der Kundgebung der 'Querdenken'-Bewegung führte einer der Redner mehrere Armbewegungen aus, die einen sogenannten 'Hitlergruß' darstellten", schreibt Hansen in seiner Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft, die die Redaktion einsehen konnte.
"Insbesondere wurde in diesem Fall nicht, wie normalerweise üblich, unter Zuhilfenahme des Zeigefingers auf die beschrieben Areale gezeigt, sondern eben wie beim 'Hitlergruß' üblich, mit der gesamten flachen Hand." Es sei naheliegend, dass Hans K. den "Hitlergruß" also "mindestens billigend in Kauf genommen" habe. Da Hansen sich über die Identität des Redners damals nicht sicher ist, reicht er seine Anzeige "gegen Unbekannt" ein. Den – wie sich später herausstellen sollte – richtigen Namen liefert er jedoch mit.
Würzburger Staatsanwaltschaft hat falsche Verfügung verschickt
Wenig später erreicht Hansen eine auf den 13. Januar datierte und mit dem Zeichen des zuständigen Oberstaatsanwaltes versehene Einstellungsverfügung. "Das Ermittlungsverfahren wurde eingestellt, weil der Täter bisher nicht ermittelt werden konnte", steht darin. Für Hansen ein Skandal: "Das ist schlicht und einfach Arbeitsverweigerung", schreibt er auf Twitter.
Am 21. Januar reicht Hansen bei der Polizei eine Strafanzeige gegen den zuständigen Oberstaatsanwalt ein: "Wegen Strafvereitelung im Amt" und wegen "Rechtsbeugung". Bei einem so erfahrenen Juristen und einem derart sensiblen Thema könne ein Fehler wohl ausgeschlossen werden, so Hansen. Ein Irrtum, wie eine Stellungnahme der Staatsanwaltschaft, die der Redaktion vorliegt, nun jedoch zeigt. Der Staatsanwaltschaft sei ein "Fehler" passiert, heißt es dort.
Bei der Verfügung handele es sich um ein "versehentlich ausgedrucktes" Schreiben, ein Mitarbeiter habe im System ein falsches Formular angeklickt, das dann verschickt wurde. Das Verfahren sei nie eingestellt worden, so die Staatsanwaltschaft auf Anfrage: "Ein sonst sehr zuverlässiger Mitarbeiter hat versehentlich die Einstellungsverfügung verschickt. Wir bedauern das, aber Fehler passieren."
Würzburger Polizei wurde frühzeitig um Ermittlungen gebeten
Bestätigt wird dies durch ein Dokument, das laut Stempel am 17. Januar bei der Polizeiinspektion Würzburg eingegangen ist und das die Redaktion in Kopie einsehen konnte. Noch vor Hansens Strafanzeige hatte die Staatsanwaltschaft die Polizei laut Dokument um Ermittlungen gebeten. Das Verfahren wurde offenbar also tatsächlich nie eingestellt. Hansen spricht dennoch von einem "Organisationsversagen".
Doch auch Hansen selbst stand zwischenzeitlich im Fokus der Justiz. Hans K. hatte ihn nach den "Hitlergruß"-Vorwürfen wegen Verleumdung und Beleidigung angezeigt, das belegt ein Anhörungsbogen der Würzburger Polizei, den die Redaktion einsehen konnte. "Ich habe keinen Hitlergruß gemacht und werde mich gegen eine derartige Verleumdung auch wehren", sagt dazu K. auf Anfrage der Redaktion.
Der objektive Tatbestand sei erfüllt, sagt hingegen Hansen. Und tatsächlich stützen Gerichtsurteile diese Einschätzung: "Unter Verwenden (des Hitlergrußes, Anm. d. Red.) ist jeder Gebrauch zu verstehen, der das Kennzeichen optisch oder akustisch wahrnehmbar macht", lautet etwa ein Urteil des Berliner Kammergerichts aus dem Jahr 2018.
Zahlreiche Gerichtsurteile definiert illegalen Hitlergruß klar
Ein Hitlergruß sei "das leicht vertikal nach oben verlaufende Anheben des rechten Armes und der rechten gestreckten Hand über Kopf- bzw. Schulterhöhe", heißt es in einem Urteil des Landgerichts Köln aus dem Jahr 2020. Und ein Urteil des Oberlandesgerichts Brandenburg aus dem Jahr 2010 kommt zu dem Schluss, dass der Tatbestand auch dann erfüllt sei, wenn die Geste "ersichtlich nur zur Provokation von Passanten und ohne politische Relevanz oder Zielsetzung" gezeigt würde.
Den Einschätzungen schließt sich nun offenbar auch die Staatsanwaltschaft Würzburg an. Diese hat nach eigener Aussage die Ermittlungen abgeschlossen und Anklage gegen K. wegen der Verwendung verfassungsfeindlicher Kennzeichen erhoben. Die Ermittlung gegen Hansen habe man hingegen vorläufig eingestellt, heißt es in einem Bescheid der Staatsanwaltschaft, den die Redaktion einsehen konnte. Die endgültige Einstellung erfolge nach Abschluss des Verfahrens gegen Hans K.
Hansen selbst zeigt sich zufrieden und sagt: "Endlich geht die Staatsanwaltschaft in Würzburg wirksam gegen 'Querdenken' vor! Ich halte die Anklage für enorm wichtig, denn das Zeigen eines Hitlergrußes darf nicht ohne Konsequenzen bleiben. Darüber hinaus macht der Vorgang noch einmal den rechtsextremen Charakter der verschwörungsideologischen Szene in Würzburg deutlich."
Die Redaktion hat Hans K. gefragt, ob mögliche rechtliche Konsequenzen Auswirkungen auf sein Wirken als Verantwortlicher der Würzburger "Querdenker"-Szene haben würden. K. hat diese Frage nicht beantwortet.