Jahrzehntelang wurde in der ehemaligen Sommerhäuser Synagoge kein jüdischer Glaube mehr praktiziert, über 90 Jahre war das letzte Gebet in den Räumlichkeiten her. Das sollte sich am vergangenen Sonntag ändern. Denn das jüdische Gemeindezentrum Shalom Europa aus Würzburg nutzte seinen "Sommerspaziergang" zur Entdeckung der Spuren jüdischen Lebens in Sommerhausen und kam zum Gebet in der früheren Synagoge zusammen.
"Dass auch der Rabbiner kommt, um das jüdische Nachmittagsgebet Mincha zu beten", stufte Claudia Bartel als Organisatorin vor Ort als "sensationell" ein. Es gehört zur Krönung ihrer Bemühungen, an die jüdische Kultur und Geschichte Sommerhausens nicht nur immer wieder zu erinnern, sondern das geschichtliche Erbe als Bereicherung für das Heute zu verstehen und zu nutzen.
Synagoge soll mehr als nur ein Denkmal sein
Die Synagoge wolle sie dabei nicht nur als Denkmal verstanden wissen, so Bartel. Dafür stehe sie im Austausch mit dem jüdischen Gemeindezentrum. Rabbiner Shlomo Zelig Avrasin dankte "Claudia Bartel und den Sommerhäusern, die das unterstützten".
Das Mincha-Gebet nach jüdischem Ritus wurde somit der feierliche, historische Höhepunkt des Tages. Soweit bekannt, fand in der Synagoge 1928 der letzte jüdische Gottesdienst statt. Die Gemeinde war damals bereits so klein, dass keine zehn Männer mehr vor Ort waren, welche im Judentum aber nötig sind, um Gottesdienst feiern zu können.
Eine Zahl, die am Sonntag um ein Vielfaches übertroffen wurde. Bartel hatte auch die Nachbarn aus der Casparigasse eingeladen. Damit war die Synagoge mit etwa 70 Gästen bis auf den letzten Platz gefüllt.
Autor Jacobowitz sprach gar von einer Wiedereröffnung
Zu feiern war Tu B‘Av – im Jüdischen ein sogenannter kleiner Feiertag – der unter anderem den Beginn der Weinlese markiert und sich im modernen Israel als "Tag der Liebe" etabliert, ähnlich dem Valentinstag. Würzburgs Rabbiner, Shlomo Zelig Avrasin bezog sich aber natürlich auf die den Freudentag begründenden Überlieferungen aus der jüdischen Geschichte, die die Juden als Volk stärker geeint hatten. Russisch, Deutsch und Hebräisch – Übersetzer Alexander Schiff hatte mächtig zu tun. Dies aber wenigstens bei "sehr guter Akustik". Die hatte der Würzburger Konzertsänger Igor Dubovsky der Synagoge bescheinigt, nachdem er mit seinem seltenen Basso-Profundo spontan drei Lieder beigetragen hatte. Bei Klez‘ Amore wurden jüdische Lieder wie "Jerusalem aus Gold" von Naomi Shemer teils freudig mitgesungen.
Autor Alex Jacobowitz, der für einen Berliner Verlag für jüdische Kultur und Zeitgeschichte gerade die Transformation von Synagogen in Deutschland beschreibt, sprach gar von einer Wiedereröffnung der Synagoge. Zwar sei derzeit nur der Rahmen erhalten, wo der Thora-Schrein einen festen Platz haben müsste. "Wisse, vor wem du stehst" lautet die dort neu angebrachte, hebräische Inschrift aus dem Talmud. Doch: "Die Synagoge als ein Ort des Gebets ist mehr an den Geschehensvorgang und weniger an die Architektur gebunden, wie das bei christlichen Kirchen der Fall ist", erklärte Jacobowitz.
Dennoch: die bestehende Architektur der Land-Synagoge konnte besichtigt werden – bis hin zur derzeit aufgeschütteten Mikwe. Die Geschichte dieser ab 1749 bestehenden Synagoge für die Schutzjuden des Sommerhäuser Grafen erläuterte Hobby-Historikerin Inge Eilers aus ihren umfangreichen Forschungen der letzten Jahre. Ihr Fazit: "Es ist Claudia Bartel zu verdanken, dass wir unsere Synagoge wieder Synagoge nennen dürfen".
Gebäude mit einer wechselvollen Geschichte
Das Gebäude blickt dabei auf eine wechselvolle Geschichte zurück und steht wieder vor einer Wandlung. Seit 1953 war es die katholische Marien-Kapelle gewesen. Bereits profaniert, wird sie derzeit von der Katholischen Kirchenstiftung "St. Nikolaus" Eibelstadt zum Verkauf angeboten. Wie es dann mit dem Gebäude weitergeht, liegt unter anderem bei dem neuen Eigentümer. Dass das Haus all die Jahre unter den mehrheitlich evangelischen Sommerhäusern als "ehemalige Synagoge" bekannt geblieben war, sieht Bürgermeister Wilfried Saak als Zeichen für eine tiefe Verwurzelung der Juden in der Gemeinde. "Ich habe lange gebraucht, herauszufinden, wo eigentlich die katholische Kirche ist", so der einst zugezogene Saak.
Geführt von Architekt Friedrich Staib, konnte auch das sanierungsbedürftige Anwesen der jüdischen Weinhändler-Familie Palm besichtigt werden, welches eine gemauerte jüdische Laubhütte besitzt. Außerdem bot das Weingut Wirsching aus Iphofen eine Verkostung von koscherem Wein an.
Die nächste Gelegenheit zur Besichtigung der Sommerhäuser Synagoge wird es am Tag des offenen Denkmals, am 8. September, geben.