Die Fahrt auf dem Kettenkarussell inmitten von Trümmern und Schutthaufen kostete nicht viel: ganze 20 Pfennige – und dafür durfte man als Erwachsener auch noch ein Kind auf dem Schoß mitnehmen. Das Foto, aufgenommen 1949 beim ersten Nachkriegs-Winzerfest auf dem heutigen Kardinal-Faulhaber-Platz, stammt von Heiner Reitberger, der am 25. November 100 Jahre alt geworden wäre.
Hinten ist der Turm über der Kuppel der Neumünsterkirche zu sehen, die ab dem folgenden Jahr bis zur Wiedereröffnung des Doms 1967 als Kathedralkirche diente. Im Hintergrund rechts steht die nördliche Giebelwand des Hof Conti, in dem heute der Würzburger Bischof seinen Amtssitz hat. Der 1959 begonnene Wiederaufbau ist einzig und allein Heiner Reitberger zu verdanken.
Das Foto ist eines der ersten, die Reitberger zwischen 1949 und 1962 aufgenommen hat; kurz zuvor hatte er sich eine Kamera gekauft. "Die Motive wählte ich ohne Suchen", schrieb er später. "Ihr Pathos ist unbeschwert, sie atmen auf, sie bedeuten einfach Frieden." Nach der Eröffnung der Mozartareals im nächsten Jahr wird eine Auswahl seiner Fotos, die seinen liebevollen Blick auf Würzburg dokumentieren, dort in einer Ausstellung zu sehen sein, zusammengestellt von den Kunsthistorikern Petra Maidt und Kuno Mieskes.
Sie zeigen Reitberger als "höchst künstlerischen Menschen", wie Stefan Kummer, der langjährige Direktor des Martin von Wagner-Museums, 1993 über den Denkmalschützer, Maler, Fotografen, Journalisten und Dichter schrieb.
Heiner Reitberger hasste Hitlerjugend und Militarismus
Nach dem Besuch der Schillerschule in der Sanderau wechselte der am 25. November 1923 geborene Heiner Reitberger, Sohn eines Getreide-Großkaufmanns, 1933 aufs Realgymnasium, das heutige Siebold-Gymnasium. In seinem 2008 erschienenen Buch über Heiner Reitberger schreibt Peter Kolb, der neben Petra Maidt und Suse Schmuck im Vorstand der Heiner-Reitberger-Stiftung mitwirkt, dass Reitberger ein scheuer Schüler war und Hitlerjugend und Militarismus hasste, ebenso wie Naturwissenschaften und Sport, den er als tyrannische Quälerei empfand. Stark war er in Geisteswissenschaften und Sprachen.
Den Reichsarbeitsdienst im Winter 1941/42 erlebte Reitberger als fürchterlich, mit teilweise sadistischen und lebensgefährlichen Schikanen. An die Ostfreund geschickt, wurde er verwundet, genas und machte den deutschen Rückzug mit. Am 23. Januar 1945 geriet er in russische Gefangenschaft, kam ruhrkrank nach Deutschland, verbrachte Monate in einem amerikanischen Lager und lebte seit Dezember 1945 wieder in Würzburg, dem, wie er sagte, "schönsten Trümmerhaufen Deutschlands".
Reitberger sah seine Zukunft nicht in der väterlichen Firma, sondern als Schriftsteller. Schon während seines Philologiestudiums an der Würzburger Universität, das er noch im Wintersemester 1945/46 aufnahm und wegen seiner schlechten gesundheitlichen Verfassung mehrmals unterbrechen musste, schrieb er Gedichte und Schauspiele – von 1945 bis 1950 allein sechs Bühnenstücke, dazu Erzählungen, Novellen und Essays. 1949 las er öffentlich Gedichte und Prosastücke vor.
Im geselligen Würzburger Künstlerkreis um Gertraud Rostosky
Heiner Reitberger war auch ein begabter Maler und bannte unter anderem Ansichten des zerstörten Würzburg auf seinen Aquarellblock. Als "Teil des Lebens, wie das Atmen", hat er Lyrik und Malerei einmal bezeichnet.
Reitberger blieb Zeit seines Lebens ein verschlossener Mensch, geprägt von der in der Gefangenschaft erlebten Einsamkeit. Doch er konnte sich öffnen, wenn er erst einmal Vertrauen gefasst hatte. Als jüngerer Mann gehörte er beispielsweise dem geselligen Künstlerkreis um die Malerin Gertraud Rostosky an und verkehrte auf dem Gut "Neue Welt", wo sie lebte.
1949 beendete Heiner Reitberger im Alter von 26 Jahren sein ohne Begeisterung betriebenes Studium ohne Abschluss und schieb die ersten Artikel für die Main-Post, denen in den folgenden Jahren Tausende folgten. Unter dem Pseudonym "Kolonat" äußerte er sich als freier Mitarbeiter zu den unterschiedlichsten Themen. Doch das, wofür er heute noch bewundert wird und wofür ihm die Main-Post, auch wenn sie nicht immer mit ihm einig war, viel Platz zur Verfügung stellte, war seine kritische Auseinandersetzung mit dem Wiederaufbau der weitgehend zerstörten Stadt und dem mutwilligen Entfernen von erhaltenswerten Gebäudeteilen.
Heiner Reitberger hat versucht, mit immensem Wissen und daraus resultierenden fundierten Argumenten die schlimmsten Sünden beim Wiederaufbau zu verhindern. Das gelang nicht immer. Sprichwörtlich wurde seine Äußerung, Würzburg sei früher eine kleine Großstadt gewesen und wirke heute wie eine große Kleinstadt. Dass Würzburg dennoch heute relativ viel historische Bausubstanz aufzuweisen hat, die es zu einem touristischen Anziehungspunkt erste Güte macht, ist zu einem beträchtlichen Teil Reitberger zu verdanken. Sein Credo lautete: "Stadtcharakter schafft doch nur die sichtbare Vergangenheit". In dieser heute noch sichtbaren Vergangenheit lebt das alte Würzburg ein Stück weit fort.
Für sein Wirken im Denkmalschutz mehrfach ausgezeichnet
Reitberger kämpfte nicht allein; im Initiativkreis zur Erhaltung historischer Denkmäler hatte er in Stadtrat Willi Dürrnagel einen wichtigen Multiplikator seiner Argumente. Auch in Verschönerungsverein, Dauthendey-Gesellschaft und Dante-Alighieri-Gesellschaft war er aktiv. Für seine Arbeit wurde Reitberger mehrfach ausgezeichnet, unter anderem mit der Denkmalschutz-Medaille des Freistaats und der Würzburger Kulturmedaille. Das auf seinen Main-Post-Artikeln basierende, 1977 erschienene Buch "Das alte Würzburg" ist bis heute ein Standardwerk geblieben.
Heiner Reitberger starb am 2. April 1998, sieben Jahre nach seiner Frau Adriana Leonora Gallerini. Die Lektorin am Seminar für romanische Philologie hatte er an der Universität kennengelernt; mit ihr verbrachte er viel Zeit in ihrer Heimatstadt Florenz, wo er sich für italienische Kunst und Kultur begeisterte, die auch die Wohnung der beiden in der Huttenstraße prägte. In Florenz lernte er, wie er einmal sagte, "noch besser sehen".
Die Testamentsvollstreckerin Petra Maidt, langjährige Museumspädagogin am damaligen Mainfränkischen Museum, übernahm, wie von Reitberger und den übrigen Nachlassverwaltern gewünscht, die schwierige Aufgabe der Auflösung der Wohnung, die voller Kunstwerke – eigener und fremder – war. Vieles ging an die Städtische Galerie (heute Museum im Kulturspeicher) und das Martin von Wagner-Museum der Universität. Letzteres veranstaltete zu Reitbergers 70. Geburtstag gemeinsam mit dem Verschönerungsverein in der Residenz die Ausstellung "Nach den Bomben, vor den Baggern" mit Aquarellen, Zeichnungen und Fotos Reitbergers.
Nach der Versteigerung des Restes der Wohnungseinrichtung blieben rund 280.000 Mark übrig, mit denen Petra Maidt 1999 die Heiner-Reitberger-Stiftung gründete. Diese wird seither geleitet von ihr selbst, der Architekturhistorikerin Suse Schmuck und Peter Kolb, der in der Regierung von Unterfranken für das Stiftungswesen zuständig war.
Außer Kolbs materialreicher Reitberger-Biographie hat die Stiftung mehrere Publikationen von Suse Schmuck veröffentlicht, die – ganz im Sinne von Heiner Reitberger – bedeutsame, aber weniger bekannte Würzburger Bauwerke beleuchten und in ihrer Besonderheit darstellen.
Die Stiftung verwahrt nicht nur Reitbergers schriftlichen Nachlass, sondern auch die etwa 2000 Negative, die er hinterlassen hat. Dass die Ausstellung mit rund 100 seiner Fotos im nächsten Jahr in der vor dem Abriss geretteten und aufwendig sanierten Mozartschule stattfindet, hätte Heiner Reitberger sicher gefallen.