Eintausendsechshundert! Peter Kolb kennt sie alle – die schlichten und die verschnörkelten, die unscheinbaren und die prunkvollen Wappen, die an Kirchen und Häuserfassaden in Würzburg zu finden sind. Drei Jahre lang ist der 81-Jährige durch die Straßen und Gassen der Stadt gelaufen, hinauf auf den Festungsberg und nach Himmelspforten, hat sich in Kirchen umgesehen, Hausportale und Toreinfahrten inspiziert, den Fotoapparat immer dabei. Und am Ende waren es eben rund 1600 Wappen, die man vorwiegend in der Altstadt heute noch finden kann, trotz der Zerstörung am 16. März 1945.
Ein Wappenhandbuch für Würzburg gab es bisher nicht
"Wenn man die Mehrfachexemplare abzieht, bleiben es noch 500, und die sind alle hier drin." Kolb zeigt auf ein Buch, das den schlichten Titel "Wappen in Würzburg" trägt und doch so etwas ist wie eine kleine Sensation, zumindest für Interessierte. Denn ein solches Handbuch gab es bisher nicht – und das im traditionsbewussten Würzburg! Dabei sind Wappen im Straßenbild der Würzburger Altstadt allgegenwärtig, man muss nur genau hinsehen. Und genau hinzusehen, das hat sich Peter Kolb seit Studentenzeiten angewöhnt.
Dass es ausgerechnet Wappen waren, die den Studenten schon in jungen Jahren fesselten, daran hatten seine Eltern eine Aktie, wenn auch ungewollt. "Ich hatte einen Führerschein und habe meine Eltern damals viel durch Franken kutschiert. Während die Eltern schon in einer Wirtschaft eingekehrt sind, habe ich mir immer noch die Ortschaft angesehen. Dabei sind mir an den Kirchen und den größeren Gebäuden die Wappen aufgefallen. Ich habe mir gedacht: Wenn man jetzt wüsste, wem das Wappen gehört, dann wüsste man auch: Da hat der darin gelebt, oder jener hat das gebaut."
Trotz der Zerstörung 1945 sind noch viele Wappen zu finden
Wappen als Fingerzeige der Geschichte: In einer Stadt wie Würzburg, deren historische Bausubstanz zum großen Teil im Feuer des 16. März 1945 unterging, sind die erhaltengebliebenen Wappen einmal mehr bedeutend. Doch wer kann sie heute noch deuten? Eine Frage, die sich auch Peter Kolb stellte. "Irgendwann habe ich mich immer mehr damit beschäftigt und schnell festgestellt: Über Würzburger Wappen gibt es nichts."
Das sollte nicht so bleiben. Schon 1974 legte Kolb mit "Die Wappen der Würzburger Fürstbischöfe" ein erstes Standardwerk zum Thema vor, ein fein gedrucktes Buch, dessen farbige Wappentafeln der Autor alle selbst zeichnete – sorgfältig mit der Feder. Dass er keinen Bestseller verfassen würde, war ihm damals schon klar: "Das Buch hat 37 Mark gekostet, war also eigentlich furchtbar teuer. Nach zehn Jahren war die Auflage verkauft."
Damals dachte er auch nicht, dass er über 40 Jahre später wieder Wappen zeichnen würde. Aber das fehlende Verzeichnis für die gesamte Würzburger Altstadt ließ Kolb dann doch keine Ruhe, zumal er als Historiker und Kulturreferent der Regierung von Unterfranken praktisch täglich mit der Vergangenheit seiner Heimat zu tun hatte, dafür steht nicht zuletzt sein Name als Mitherausgeber eines siebenbändigen Standardwerks zur unterfränkischen Geschichte.
Für Würzburgs Wappen fand jedoch erst der Pensionär Zeit – und musste dafür noch einmal Neues lernen. Denn wieder mit der Feder zu zeichnen, kam nicht infrage. Was half, war ein Ratschlag vom Sohn: Er solle sich doch mal in der Unibibliothek ein Handbuch des Grafikprogramms CorelDraw ausleihen. Kolb senior, exakt wie er ist, arbeitete das Handbuch "Kapitel für Kapitel" durch. "Jetzt zeichne ich Ihnen, was Sie wollen. Sie müssen alles als Kurve anlegen, dann Punkte setzen und können dann aus der Kurve zum Beispiel einen Löwen machen." Aus der Kurve einen Löwen? Hört sich anstrengend an. Kolb nickt. "Das ist schon Arbeit. An schwierigen Wappen hockt man schon mal zwei Tage."
Im Ergebnis von Kolbs dreijähriger Arbeit kann man jetzt blättern. Als 90. Band der "Mainfränkischen Studien" ist "Wappen in Würzburg" Ende des Jahres erschienen, herausgegeben vom Verein "Freunde Mainfränkischer Kunst und Geschichte". Das Buch zeigt: Wappen waren lange Zeit nichts für jedermann. "Schwerpunkt in Würzburg waren der Fürstbischof und die Domkanoniker, aber auch Bürgerliche, allerdings nicht sehr viele", sagt Kolb.
Die heraldische Farbenlehre ist eine Wissenschaft für sich
Die Wappen der Fürstbischöfe hatte er ja schon erforscht, bei den vielen Familienwappen, die der größte Teil des Bandes zeigt, sah das anders aus: "Man schaut in der heraldischen und historischen Genealogie nach, aber da stimmt auch nicht alles." Auch das Standardwerk zur Heraldik im deutschsprachigen Raum, "Siebmachers Wappenbuch" aus der Zeit um 1600, hilft weiter, zum Beispiel auch, wenn es um die Farben geht. Denn die heraldische Farbenlehre ist eine Wissenschaft für sich, diverse Fallstricke inklusive. So steht Weiß für Silber und Gelb für Gold. An Gebäuden, die UV-Strahlung, Abgasen und Straßendreck ausgesetzt sind, kann es da schnell zu Missverständnissen kommen, wie Kolb weiß: "Wenn Sie Silber nehmen, haben Sie eine Bronzefarbe, die oxidiert irgendwann. Dann wird aus Weiß eben Schwarz."
Aber wie die Menschen überhaupt zu ihren Wappen gekommen sind, ist eine Geschichte für sich, die oft nicht mehr aufzuklären ist. Am leichtesten sind noch die "sprechenden" Wappen. "Im 19. Jahrhundert sind Leute über Land gegangen und haben Wappen angeboten nach dem Motto: Wie heißen Sie? Müller? Und dann haben sie demjenigen eben eine Mühle ins Wappen gemalt", sagt Kolb.
Auch Bischofswappen können Rätsel aufgeben
Selbst Bischofswappen geben bisweilen Rätsel auf. Franz Joseph Ritter von Stein (1832 bis 1909) beispielsweise, der 1879 auf den Würzburger Bischofstuhl stieg, legte sich ein Bischofswappen zu, das geradezu aus der Art geschlagen ist. Es zeigt drei zuckerhutähnliche Berggipfel und zwei Sterne auf blauem Grund. Sollten die Berge für "Stein" stehen? Niemand weiß es, auch Kolb nicht. Eher erschließt sich da schon das Wappen von Bischof Matthias Ehrenfried (1871 bis 1948), von 1924 bis zu seinem Tod Würzburger Bischof: Ähren und Sicheln deuten auf Ehrenfrieds bäuerliche Herkunft hin.
An einem Punkt hat sich über die Jahrhunderte nichts geändert: Die Zahl der Wappenträger ist verschwindend klein. Und das ist wohl auch der Grund, weshalb die Wappenkunde ihr Nischendasein nie verlassen hat. "Auch mich hat man gefragt, wie man sich damit überhaupt beschäftigen kann", sagt Kolb. Und ja, den Hätte-ich-nur-nicht-damit-angefangen-Moment gab es für den Historiker auch in den vergangenen drei Jahren – und er verging ebenso folgenlos wie bei den neun Kolb-Büchern zuvor.
So sehr sich Peter Kolb auch in die Würzburger Heraldik vertieft und Wappen um Wappen gezeichnet hat, privat steht ihm danach nicht der Sinn. Er und ein Wappen? Die Antwort kommt sekundenschnell: "Ich brauche das nicht. Ich will keinen Hund und kein Wappen."