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Würzburg
Hamas-Überfall als Zäsur: Aron Schuster berichtet, wie sehr sich Jüdinnen und Juden alleingelassen fühlen
Der Direktor der "jüdischen Caritas" in Deutschland begegnet täglich Menschen voller Angst. Jetzt diskutierte er beim "Kellergespräch". Die Frage: Was tun gegen Judenhass?
Nicht erst reagieren, wenn etwas passiert: Aron Schuster (links), Direktor der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland, beim 'Würzburger Kellergespräch'. 
Foto: Thomas Obermeier | Nicht erst reagieren, wenn etwas passiert: Aron Schuster (links), Direktor der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland, beim "Würzburger Kellergespräch". 
Michael Czygan
 |  aktualisiert: 29.11.2023 02:53 Uhr

"Der 7. Oktober ist eine Zäsur für die jüdische Community auch in Deutschland", sagt Aron Schuster. Der 38-jährige Würzburger kommt aus einer bekannten jüdischen Familie. Sein Großvater David Schuster hat die jüdische Gemeinde Würzburg und Unterfranken nach der Shoah neu aufgebaut, sein Vater Josef Schuster ist Präsident des Zentralrats der Juden. Aron Schuster selbst ist seit 2018 Direktor der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland, der "jüdischen Caritas", wie er sagt.

Seit dem Überfall der Hamas und der Ermordung von über 1400 Zivilisten in Israel mache sich unter den rund 100.000 Jüdinnen und Juden in Deutschland "enorme Verunsicherung" breit, sagt Aron Schuster. Viele würden beim jüdischen Sozialverband um psychosoziale Hilfe bitten. Wie weit die Verunsicherung reicht, berichtete der 38-Jährige jetzt beim "Kellergespräch" der Juristen-Alumni der Universität und der Main-Post.

"Judenhass auf deutschen Straßen - wie weit geht die Meinungsfreiheit?" lautete der Titel der  Veranstaltung, zu der gut 100 Besucherinnen und Besucher kamen. Moderator war Main-Post-Redakteur Andreas Jungbauer.

Antisemitismus ist nicht neu in Deutschland: Jüdische Einrichtungen sind mit Panzerglas geschützt, sie werden von der Polizei bewacht. Aron Schuster spricht von einer "abstrakten Gefahr", der Jüdinnen und Juden schon immer ausgesetzt seien. Jetzt aber sei die Bedrohung konkret, "der psychische Druck ist immens". Jüdinnen und Juden überlegten sich, ob sie sich öffentlich mit der Kippa oder einer Davidstern-Kette zeigen oder miteinander Hebräisch sprechen. "Viele fühlen Isolation."

Jüdische Schulen in Deutschland haben mittlerweile Wartelisten

Eltern zweifelten, ob sie ihre Kinder noch bedenkenlos in die Schule oder die Kita schicken können, berichtet Schuster. In jüdischen Schulen in Deutschland würden mittlerweile Wartelisten für Interessierte geführt, weil besorgte Mütter und Väter ihren Nachwuchs aus Angst vor Übergriffen von staatlichen Schulen abmeldeten.

Diskutierten beim 'Kellergespräch' im Max-Stern-Keller (von links): Main-Post-Redakteur Andreas Jungbauer, Aron Schuster, der Direktor der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland, und Strafrechtsprofessor Eric Hilgendorf.
Foto: Thomas Obermeier | Diskutierten beim "Kellergespräch" im Max-Stern-Keller (von links): Main-Post-Redakteur Andreas Jungbauer, Aron Schuster, der Direktor der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland, und Strafrechtsprofessor ...

Auch wenn es bei Demos wie zuletzt in Würzburg ermutigende Zeichen der Solidarität gebe, fühlten sich viele Jüdinnen und Juden von der Mehrheitsgesellschaft alleine gelassen. Der Direktor der Zentralwohlfahrtsstelle spricht von einem "dröhnenden Schweigen" etwa in der Kulturszene, bei Menschenrechtsorganisationen oder an den Universitäten. Das "Ja, aber", die Versuche, den Terror zu relativieren, sorgten für breite Enttäuschung in der jüdischen Gemeinschaft.

Aron Schuster: "Die Hamas interessiert das Völkerrecht einen Scheiß"

"Darf man Israel denn nicht kritisieren?" Diese Frage könne er "nicht mehr hören", sagt Aron Schuster. Nirgendwo werde so selbstverständlich über Versäumnisse israelischer Politik diskutiert, "wie in Israel selbst, wie in den dortigen Medien". Es sei legitim, Israel zur Einhaltung des Völkerrechts zu mahnen, "aber, mit Verlaub, die Hamas interessiert das Völkerrecht einen Scheiß".

Was tun gegen den Judenhass hierzulande? Von der Politik erwartet sich Schuster, der selbst für die CSU im Würzburger Stadtrat sitzt, dass sie "nicht erst reagiert, wenn etwas passiert". Als Beispiel nennt der 38-Jährige die jetzt initiierten Verbote islamistischer Organisationen. Es gelte, die liberalen, demokratiefreundlichen muslimischen Verbände zu fördern - und nicht diejenigen, die unter dem Einfluss von Staaten wie der Türkei stehen und das Existenzrecht Israels ablehnen würden.

Schuster setzt zudem auf ein konsequentes Durchsetzen des Rechtsstaats. "Ich nehme die Justiz heute restriktiver als noch vor wenigen Jahren wahr - und das ist gut so." Zweifel kommen von Strafrechtler Eric Hilgendorf: Er wehre sich, das Strafrecht als "Müllabfuhr für gesellschaftliche Missstände" zu missbrauchen, sagt der Juraprofessor. So glaube er nicht, dass etwa das aktuell geforderte Gesetz, die Leugnung des Existenzrechts Israels unter Strafe zu stellen, verfassungsgemäß wäre. Eine "Sonderregelung für einen Staat" könne er sich trotz der geschichtlichen Verantwortung Deutschlands nicht vorstellen, so Hilgendorf.

Jurist Eric Hilgendorf: Zuwanderer bringen Antisemitismus nach Deutschland

Judenfeindliche Einstellungen müssten gesellschaftspolitisch bekämpft werden, sagt der Jurist. Er wünscht sich mehr Ehrlichkeit in der Debatte. So gebe es eben ein "massives Problem" mit dem Antisemitismus, den Zuwanderer mit nach Deutschland bringen. Da helfe nur eine gute Integrationsarbeit und Demokratieförderung an Schulen und Universitäten.

Gut besucht war der Max-Stern-Keller beim Würzburger Kellergespräch von Main-Post und den Juristen-Alumni der Universität Würzburg.
Foto: Thomas Obermeier | Gut besucht war der Max-Stern-Keller beim Würzburger Kellergespräch von Main-Post und den Juristen-Alumni der Universität Würzburg.

Pia Beckmann, die frühere Oberbürgermeisterin von Würzburg, engagiert sich mit ihrer Initiative "Pics4Peace" für Demokratie-Bildung unter Jugendlichen. Schülerinnen und Schüler müssten spielerisch lernen, was es heißt, ausgegrenzt zu sein - egal ob wegen Religion, Hautfarbe, Aussehen oder sexueller Orientierung. Die jetzt von der Staatsregierung angekündigte wöchentliche "Verfassungsviertelstunde" in Schulen werde nicht ausreichen, so Beckmann beim Kellergespräch.

 
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