Seit dem Angriff der Terrororganisation Hamas auf Israel fühlen sich Jüdinnen und Juden hierzulande stärker bedroht als zuvor schon. Die bayerische Justiz sieht sich als "starke Schulter", die den Menschen jüdischer Herkunft und jüdischen Glaubens Sicherheit vermitteln möchte.
Entsprechend konsequent werde man den Rechtsstaat durchsetzen, wo immer es zu antisemitischen Straftaten kommt, sagt Andreas Franck, der Antisemitismusbeauftragte der bayerischen Justiz. Beim 52-jährigen Oberstaatsanwalt in München laufen die Ermittlungen in vielen Fällen von antijüdischer Hetze und Propaganda zusammen.
Im Interview erläutert Franck, wie ihn die Entwicklung seit dem 7. Oktober besorgt.
Andreas Franck: Die Entwicklung ist in der Tat besorgniserregend. Allein seit dem 7. Oktober, dem Überfall der Hamas auf Israel, hat es im Freistaat 166 Straftaten gegeben, die damit im Zusammenhang stehen, ein Großteil davon antisemitisch motiviert.
Franck: Volksverhetzungen, Beleidigungen, die öffentliche Billigung des Hamas-Terrors oder Aufrufe zur Vernichtung Israels. Hinzu kommen Beschädigungen und Diebstähle israelischer Staatsflaggen, die Verwendung von Kennzeichen verbotener Organisationen wie Hitlergruß oder Sieg-Heil-Rufe. In Senden bei Neu-Ulm wurden an einem israelischen Lebensmittelladen die Scheiben eingeschlagen.
Franck: Das Spektrum der Täter ist, soweit man das jetzt schon beurteilen kann, weit gefächert. Wir haben aktuell hier in München eine erste Anklage gegen einen Mann erhoben, der auf einer Demo vor laufender Fernsehkamera nach unserer vorläufigen Bewertung den Überfall der Hamas auf Israel gutgeheißen hat. Der Vorwurf lautet Billigung von Straftaten. Der Beschuldigte ist ein 27-jähriger Deutscher mit Geburtsort München. Auch sein Name lässt nicht auf Migrationshintergrund schließen.
Franck: Ich habe die besorgten Stimmen aus der jüdischen Community schon vor dem 7. Oktober verstanden. Besser emotional nachvollziehen kann ich sie seit dem Überfall der Terrororganisation Hamas auf Israel.
Die sich widersprechenden Demonstrationen am 9. Oktober hier in München mitzuerleben, war für jüdische wie nicht-jüdische Menschen eine sehr schwierige Situation. Am Odeonsplatz gab es eine große Versammlung, um Solidarität mit Israel zu zeigen. Mit dabei waren auch Vertreter der israelitischen Kultusgemeinde. Keine 500 Meter weiter lief am Marienplatz eine Kundgebung, die zur Solidarität mit Palästina aufgerufen hatte. Dort kam es vereinzelt zu Straftaten.
Franck: Herausfordernd ist es vor allem bei Straftaten, die im digitalen Raum begangen werden. Leider arbeiten russische Provider wie vk.com oder Telegram nicht mit uns zusammen. Allerdings kommen wir Straftätern zunehmend auf die Spur.
Im September verhandelte das Amtsgericht München unsere Anklage gegen ein AfD-Mitglied, das auf vk.com rassistische und antisemitische Posts verbreitete. Obwohl der Mann nicht vorbestraft war, wurde er zu neun Monaten Freiheitsstrafe unter anderem wegen Volksverhetzung verurteilt. Von solchen Urteilen erhoffe ich mir eine abschreckende Wirkung.
Franck: Wir arbeiten eng und vertrauensvoll mit dem Zentralrat der Juden zusammen – wie übrigens schon seit jeher mit der israelitischen Kultusgemeinde München und ihrer Präsidentin Frau Knobloch. Ich bin Herrn Dr. Schuster für seine Impulse sehr dankbar. Lediglich miteinander Süßholz zu raspeln, wäre in der gegenwärtigen Situation sicherlich unangemessen.
Franck: Wir stoßen rechtlich an Grenzen, wenn es um die Verfolgung von Sympathiebekundungen für die Hamas geht. Sympathiewerbung für Terrororganisationen war strafbar, ist aber vor ein paar Jahren aus dem Strafgesetzbuch gestrichen worden. Das fällt uns jetzt bei vielen Demonstrationen vor die Füße.
Zu sagen „Wir finden die Hamas super, macht doch mit“, ist noch keine Straftat. Eine Straftat ist es erst, wenn jemand öffentlich äußert: „Ich finde super, was die Hamas am 7. Oktober angerichtet hat.“ Da ist der Tatbestand „Billigung von Straftaten“ erfüllt. Es wäre also hilfreich, ein Verbot von Sympathiebekundungen ins Strafrecht wieder aufzunehmen.
Franck: Das würde ich begrüßen, um den unbestimmten Satz „Die Sicherheit Israels ist deutsche Staatsräson“ mit Leben zu erfüllen. So könnte man diese Staatsräson im Strafrecht oder – besser noch – im Versammlungsrecht konkret fassen.
Franck: Es ist gut, dass wir in einem liberalen Rechtsstaat leben. Das Verfassungsgericht untersagt im Grundsatz, Meinungen um ihres geistigen Inhalts willen unter Strafe zu stellen. Andererseits bin ich schon der Meinung, dass in diesen Zeiten, in denen der Judenhass zunimmt, antisemitischen Motiven besondere Beachtung zukommt. Die bayerische Justiz verpflichtet seit Ende 2018 alle Staatsanwältinnen und Staatsanwälte ausdrücklich, bei ihren Ermittlungen eine antisemitische Tatmotivation von Amts wegen zu prüfen. Also nicht erst, wenn jemand den Vorwurf erhebt.
Franck: Die Justiz in Bayern war die erste in Deutschland, die Antisemitismus-Beauftragte etabliert hat. 2018 gab es zuerst drei Beauftragte bei den Generalstaatsanwaltschaften, dann kam ich als zentraler Antisemitismus-Beauftragter für ganz Bayern dazu. Seit Ende 2021 haben wir zusätzlich bei jeder der 22 bayerischen Staatsanwaltschaften Ansprechpartner für Antisemitismus. Das ist eine Struktur, die uns bayernweit handlungsfähig macht.
So haben wir uns unmittelbar nach dem 7. Oktober abgestimmt, was die strafrechtliche Behandlung von Äußerungen bei Demonstrationen oder bestimmten Plakatinhalten betrifft. Da wird von Aschaffenburg bis Garmisch-Partenkirchen nach einem einheitlichen Maßstab entscheiden. Diese einheitliche Linie haben wir über das Innenministerium an die Polizei weitergegeben.
Mit Michael Weinzierl, dem Anfang 2023 eingeführten „Beauftragten der bayerischen Polizei gegen Hasskriminalität, insbesondere Antisemitismus“ arbeite ich eng zusammen. Unsere Vorstellungen kommen so auch bei den Beamten auf der Straße an.
Verschwiegen wird, dass die Abschaffung der Strafbarkeit der sog. „Sympathiebekundung“ 2002 aus gutem Grund erfolgte :
So „forderte der BGH eine einschränkende Auslegung der damaligen Regelung in § 129a StGB zur Wahrung des Bestimmtheitsgebots und des Grundrechts auf Meinungsäußerung (Art. 5 GG). Die von den Gerichten nach entsprechenden Vorgaben vorgenommene einschränkende Auslegung führte dann unter anderem dazu, dass die Vorschrift praktisch keine Anwendung mehr fand.“…
Quelle: LTO