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Würzburg/Schweinfurt
Sammlung Gerlinger: 5 Faktoren, warum die Zerschlagung wohl unausweichlich war
Die Expressionisten-Sammlung des Würzburger Ehepaars Gerlinger wird in alle Winde zerstreut werden. Ein Verlust - vor allem für Franken. Was steckt hinter diesem Ende?
Ausschnitt aus Ernst Ludwig Kirchners Gemälde 'Das blaue Mädchen in der Sonne' von 1910 - die 'Brücke-Ikone' schlechthin, wie Hermann Gerlinger sagt.
Foto: Thomas Obermeier | Ausschnitt aus Ernst Ludwig Kirchners Gemälde "Das blaue Mädchen in der Sonne" von 1910 - die "Brücke-Ikone" schlechthin, wie Hermann Gerlinger sagt.
Mathias Wiedemann
 |  aktualisiert: 08.02.2024 10:11 Uhr

Die Nachricht von der geplanten Versteigerung und damit Zerschlagung der Sammlung Gerlinger hat zu Jahresbeginn beträchtliche Wellen geschlagen. Im Juni soll die erste von vier Auktionen stattfinden, durch die die 1000 Werke der expressionistischen Künstlergruppe "Die Brücke" wohl in alle Winde zerstreut werden. Der Verlust der Sammlung des Würzburger Ehepaars Hertha und Hermann Gerlinger, zuletzt als Leihgabe untergebracht im Buchheim-Museum in Bernried, sei "unwiederbringlich", kommentierte etwa die "Süddeutsche Zeitung".

In Museumskreisen hört man eher Formulierungen wie "sehr schade, aber so ist das eben". Denn es gibt eine ganze Reihe von Faktoren, die es öffentlichen Häusern schwer, mitunter unmöglich machen, Stiftungen oder Schenkungen anzunehmen - so wertvoll und bedeutend sie auch sein mögen. Die Sammlung Gerlinger wäre vor allem für Franken ein Gewinn gewesen, denn hier sind bislang nicht allzu viele Werke des Expressionismus dauerhaft zu sehen.

War ein Scheitern des Projekts Gerlinger unausweichlich? Museumsleute aus der Region schildern die grundsätzlichen Hürden. Fünf Faktoren umreißen das Problem. 

1. Der rechtliche Faktor

'Wo immer ihre geliebten Bilder hängen, da ist für sie das Wohnzimmer', sagt Wolf Eiermann, Leiter des Schweinfurter Museums Georg Schäfer, über Privatsammler.
Foto: Archivfoto Anand Anders | "Wo immer ihre geliebten Bilder hängen, da ist für sie das Wohnzimmer", sagt Wolf Eiermann, Leiter des Schweinfurter Museums Georg Schäfer, über Privatsammler.

Das Hauptproblem mit Leihgaben aus privater Hand sei rechtlicher Natur, sagt Wolf Eiermann, Leiter des Schweinfurter Museums Georg Schäfer: "In allen Museen sind wir extrem an juristische Faktoren gebunden. Ein Unmenge von Formalitäten ist zu erfüllen." Schließlich gehe es um enorme Werte. Sammler aber seien es gewöhnt, mit ihrem Eigentum nach Gutdünken zu verfahren. "Wo immer ihre geliebten Bilder hängen, da ist für sie das Wohnzimmer."

Das könne zu Konflikten führen und bisweilen Risiken bergen – etwa, wenn Sammler ihre Bilder selbst transportieren, weil sie es so gewohnt sind. Das Problem: Sie verstoßen damit in aller Regel gegen die rigiden Auflagen der Versicherungen. "Wenn dann ein Unfall passiert", fragt Eiermann, "wer trägt dann den Schaden?"

'Die Beziehung endet ja nicht mit dem Eingang der Werke.' Luisa Heese, Leiterin des Würzburger Kulturspeichers, über die Zusammenarbeit mit Leihgebern.
Foto: Archivfoto Johannes Kiefer | "Die Beziehung endet ja nicht mit dem Eingang der Werke." Luisa Heese, Leiterin des Würzburger Kulturspeichers, über die Zusammenarbeit mit Leihgebern.

Grundsätzlich gilt: Im Leihvertrag ist festgelegt, welche Rechte und Pflichten beide Seiten haben. "Die Beziehung endet ja nicht mit dem Eingang der Werke", sagt Luisa Heese, Leiterin des Würzburger Kulturspeichers. Ihr Haus beherbergt die Sammlung Konkrete Kunst von Peter C. Ruppert (1935-2019). "Damit es zu so einer Partnerschaft kommt, muss vieles passen." Im Würzburger Kulturspeicher sei dies "sehr gut gelungen", sagt Heese: "Es gibt ein positives und kooperatives Miteinander mit der Witwe des Sammlers und der Stiftung."

Passt es nicht, dann hilft auch der Leihvertrag wenig. Die Vereinbarung zwischen dem Buchheim-Museum und Hermann Gerlinger war auf zehn Jahre angelegt, aber schon nach vier Jahren, im September 2021, trennte man sich wieder. Die offizielle Begründung lautete: "Wegen grundlegender Meinungsverschiedenheiten über die Durchführung des Leihverhältnisses". Gerlinger leistete sogar eine Ausgleichszahlung für die Auflösung.

2. Der menschliche Faktor

Der Sammler  Joseph Hierling 2018 in der Schweinfurter Kunsthalle. Kurz darauf trennten er und die Stadt sich – heute ist die Sammlung im Buchheim-Museum in Bernried.
Foto: Archivfoto Martina Müller | Der Sammler  Joseph Hierling 2018 in der Schweinfurter Kunsthalle. Kurz darauf trennten er und die Stadt sich – heute ist die Sammlung im Buchheim-Museum in Bernried.

Hört man sich in der Branche um, wird schnell deutlich: Dass es zwischen Leihgebern und Museumsleuten knirscht, ist keine Seltenheit. Andrea Brandl, Leiterin der Schweinfurter Kunsthalle, sagt: "Es ist überall das Gleiche, egal, welchen Kollegen man fragt." Jeder Sammler habe eine starke Beziehung zu seinen Schätzen. "Und seine Vorstellungen stimmen nicht unbedingt mit dem überein, was Kuratoren oder die öffentliche Hand wollen." 

So beherbergte die Schweinfurter Kunsthalle zehn Jahre lang die Sammlung Hierling mit Werken des "Expressiven Realismus" der "Verschollenen Generation", also Malern der Zwischenkriegsjahre. Als der Leihvertrag 2018 auslief, konnten sich der Sammler Joseph Hierling und die Stadt nicht auf einen neuen einigen. Zu stark gingen die Vorstellungen über Präsentation und Bearbeitung der Werke auseinander. Hierling musste gehen – und stiftete seine Sammlung dem Buchheim-Museum in Bernried.

Dass auch Hermann Gerlinger sehr präzise Vorstellungen hat, wie mit seiner Sammlung umzugehen sei, ist unter Museumsleuten bekannt. Das "Handelsblatt" formuliert es so: "Doch so groß wie Gerlingers Renommee als Experte ist auch sein Ruf als kompromissloser und fordernder Leihgeber."

3. Der gestalterische Faktor

Das Sammlerehepaar Hertha und Hermann Gerlinger im Jahr 2017.
Foto: Archivfoto Theresa Müller | Das Sammlerehepaar Hertha und Hermann Gerlinger im Jahr 2017.

Museen haben nicht den Auftrag, einfach nur Kunstwerke auszustellen. In Museen arbeiten Kuratorinnen und Kuratoren, die die Werke erforschen und auswählen, Zusammenstellungen konzipieren, Ausstellungen gestalten. Diese wiederum gelten als eigene Werke, die als solche ihrerseits urheberrechtlich geschützt sind. Die größte Gefahr für diese Arbeit seien die Sammler,  "wenn sie massiv Einfluss nehmen auf den täglichen Museumsbetrieb", sagt Andrea Brandl. "Die öffentliche Hand wird solchen Sammleranliegen nicht mehr nachkommen können."

15 Jahre lang war die Sammlung Gerlinger im Kunstmuseum Moritzburg in Halle untergebracht gewesen. Die Trennung 2016 scheint ins Bild zu passen: Das Museum wollte nur noch die Gemälde Gerlingers und diese in Verbindung mit der eigenen Sammlung zu zeigen. Damit sei der Sammler nicht einverstanden gewesen, sagte damals Christian Philipsen, Generaldirektor der Stiftung Dome und Schlösser in Sachsen-Anhalt. "Aber wir sind kein Privatmuseum." Ein Geschenk – "auch, wenn es von herausragender Qualität ist" – dürfte nicht dazu führen, dass die eigene Kunst unterrepräsentiert ist.

Und kein Museum könne es sich mehr leisten, eine Sammlung statisch zu präsentieren, sagt Kunsthallen-Leiterin Andrea Brandl. Doch dies wollen viele Sammler. Sie haben die Werke oft unter großen Opfern zusammengetragen, ihr Leben mit ihnen verbracht, eine Beziehung zu ihnen entwickelt, die Außenstehende kaum ermessen können. So kann es vorkommen, dass Sammler ohne Rücksprache Bilder austauschen oder gar verkaufen oder auf bestimmte Wandfarben oder Hängungen bestehen.

4. Der strategische Faktor

'Wir sind keine Schauräume für private Sammlungen.' Andrea Brandl, Leiterin der Schweinfurter Kunsthalle, über den Auftrag, den Museen haben.
Foto: Martina Müller | "Wir sind keine Schauräume für private Sammlungen." Andrea Brandl, Leiterin der Schweinfurter Kunsthalle, über den Auftrag, den Museen haben.

"Museen heute müssen sich jeden Tag aufs Neue um ihr Publikum bemühen", sagt Andrea Brandl. Für sie bedeutet das: das eigene Profil schärfen, strategische Schwerpunkte setzen, Alleinstellungsmerkmale definieren, mit anspruchsvollen Wechselausstellungen immer in Bewegung bleiben. "Wir sind keine Schauräume für private Sammlungen."

Museen müssten sich öffnen und jüngeres Publikum ansprechen, sagt Brandl - "und das wird sicher nicht mit Emil Nolde passieren". Selbst wenn es finanziell möglich wäre, würde sie nicht einfach einen Gerhard Richter oder Anselm Kiefer kaufen, "die man auch im übernächsten Ort sehen kann". Das "Ent-Sammeln", also das Ablehnen beziehungsweise Abstoßen von Arbeiten, die nicht ins eigene  Konzept passen, werde deshalb immer wichtiger.

5. Der räumliche Faktor

Das Museum Georg Schäfer finanzierte der Freistaat komplett aus Privatisierungserlösen. Für die Stadt Schweinfurt ein Glücksfall.
Foto: Silvia Gralla | Das Museum Georg Schäfer finanzierte der Freistaat komplett aus Privatisierungserlösen. Für die Stadt Schweinfurt ein Glücksfall.

Kunst braucht Platz, aber auch Personal zum Pflegen, Hüten, Gestalten. Vor dem Neubau oder der Erweiterung von Museen stehen deshalb nicht selten jahre- bis jahrzehntelange Diskussionen über Trägerschaft, Folgekosten und finanzielle Verantwortlichkeiten. Gerlingers Traum, die Sammlung im Mainfränkischen Museum in Würzburg, dem heutigen Museum für Franken, unterzubringen, scheiterte an räumlichen und konzeptionellen Fragen. 

Auch hier gilt: Es müssen viele Faktoren zusammenpassen. Als der Freistaat in den 1990er Jahren eine zweite Privatisierungswelle startete, flossen die Erlöse in die Bereiche Kultur und Soziales. Mit 26 Millionen D-Mark aus diesem Topf baute der Freistaat das im Jahr 2000 eröffnete Museum Georg Schäfer in Schweinfurt. Das Land bleibt Eigentümer des Gebäudes, Träger des Museums und Arbeitgeber des Personals ist die Stadt Schweinfurt. Ein Glücksfall, wie er wohl nicht so bald wiederkehren wird.

 
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Kommentare
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  • T. H.
    @mainheini
    Ihr erster Satz ist völlig zutreffend. Somit sind alle weiteren Ausführungen irrelevant.
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  • H. S.
    Ich habe keine Ahnung von Kunst oder von den profanen Geldwerten der Bilder. Aber wenn Herr Gerlinger soviel Geld hat, diese Werte zusammenzutragen, sollte er auch in der Lage sein, sie entsprechend aufzubewahren und zu positionieren, wenn er sie der Nachwelt erhalten will. Vielleicht ist ja (s)ein eigenes Haus dafür geeignet. Er könnte Verantwortung zeigen für seine Sammlung. Jetzt bürdet er diese anderen auf, verlangt, dass andere sich kümmern, dass andere die Folgekosten übernehmen. Ich nenne diese Haltung egoistisch.
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  • D. E.
    Und Ihren Kommentar könnte man uninformiert nennen.
    Gerlinger löst seine Sammlung auf, die Werke werden versteigert. Steht sogar drin in dem Artikel, unter dem Sie kommentieren.
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