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Würzburg
Grüner beim Fleischkonzern: Wieso Biolandwirt Dosch jetzt für Tönnies arbeitet
Der Ex-Bioland-Präsident ist für den umstrittenen größten Schweineschlachter Deutschlands tätig. Der 61-Jährige hat Argumente  - und scheut den Streit mit Veganern nicht. 
Früher Präsident von Bioland, jetzt bei Tönnies: Thomas Dosch soll sich beim Fleischkonzern aus Rheda-Wiedenbrück (NRW) um Nachhaltigkeit kümmern. 
Foto: Dosch/Tönnies | Früher Präsident von Bioland, jetzt bei Tönnies: Thomas Dosch soll sich beim Fleischkonzern aus Rheda-Wiedenbrück (NRW) um Nachhaltigkeit kümmern. 
Alice Natter
 |  aktualisiert: 15.07.2024 09:37 Uhr

Thomas Dosch kommt aus Hohenlohe, stammt aus der Landwirtschaft, hat Landwirtschaft studiert,  einen Bio-Betrieb mit Mastschweinen, Muttersauen, Milchkühen, Hasen und Geflügel samt Molkerei, Metzgerei und Bäckerei aufgebaut und ist immer noch in der Landwirtschaft aktiv. Zwölf Jahre lang stand er an der Spitze des Ökobauernverbands Bioland, 2014 holte ihn dann der damalige grüne Agrarminister nach Niedersachsen. Dosch selbst ist Grünen-Mitglied - und vor nicht mal einem Jahr zu Tönnies gewechselt, zuständig für den Ausbau der Nachhaltigkeit im Unternehmen. Der Ex-Bioland-Chef arbeitet für jenen größten deutschen  Schlachtbetrieb für Schweine, der im Corona-Jahr so viele Schlagzeilen machte? 

An diesem Freitag ist der 61-Jährige zu einer öffentlichen Veranstaltung der Universität Würzburg geladen - und wird unter anderem mit der früheren Grünen-Landwirtschaftsministerin Renate Künast über nachhaltige Ernährung diskutieren. Thema der digitalen Runde von 19 bis 20 Uhr: "Veganismus vs. Fleischliebe?" Vorab ein Gespräch über die Agrarwende, die Rolle der Unternehmen - und wieso der Verbraucher nicht entscheidend ist.

Herr Dosch, die Paulus-Saulus-Frage muss gleich sein. Wieso geht ein grüner Biolandwirt in die Fleischindustrie?

Thomas Dosch: Seit fast 30 Jahren mache ich mehr oder weniger das Gleiche – aber in unterschiedlichen Rollen. Da zähle ich die Zeit bei Tönnies genauso dazu. Für mich hat sich in keinster Weise inhaltlich etwas verändert. Es geht immer noch um die Frage: Wie bekommt man die Agrarwende, die Transformation der Landwirtschaft, rund.

Hätten Sie sich als Bioland-Chef vorstellen können, mal bei Tönnies zu sitzen und für den Konzern als Lobbyist zu arbeiten?

Dosch: Nein, ich hätte mir das im vergangenen Jahr im August noch nicht vorstellen können. Ich habe im Hintergrund an einem Papier der Grünen über die Zukunft der Fleischbranche mitgearbeitet. Das Papier war mir im Entwurf zu plakativ formuliert.  Dann habe ich Kontakt aufgenommen zu einem Mitarbeiter von Tönnies, der dem Hören nach einen sehr guten Ruf bei den Bäuerinnen und Bauern genießt. Er hat mich sofort eingeladen, ich bin hingefahren – und dann kam Clemens Tönnies dazu. Er hat sich jeder Kritik gestellt.

Und Sie kamen zurück mit einem Arbeitsvertrag.

Dosch: Nein. Ich habe jemanden kennengelernt, der meinem Bild ganz und gar nicht entsprach. Eher ein Mensch, den ich als sehr offen, man könnte auch sagen, verunsichert wahrgenommen habe. Als jemand, der sich selbst viele Fragen stellte. Wir hatten weiteren Kontakt und irgendwann tauchte die Frage auf, ob ich Veränderungsprozesse in einer Beratungsfunktion begleiten würde. Dazu hatte ich keine Lust: Wissen abgeben, Geld bekommen, und nicht wissen, was passiert? Und so blieb die Frage ganz oder gar nicht.

Zum Entsetzen Ihrer Biolandwirt-Kollegen und der Grünen?

Dosch: Ich habe mich lange ausgetauscht mit meinen grünen Netzwerken. Die Agrarierinnen und Agrarier haben alle gesagt: Ohne Tönnies und ähnliche geht es nicht. Mach es.

Und Sie haben es nach einem Jahr noch nicht bereut?

Dosch:  Ich war lange Abteilungsleiter und stellvertretender Staatssekretär unter einem tollen Minister der Grünen in Niedersachsen. Im Ministerium waren die Zäune viel, viel enger gesteckt. Heute mache ich zu 99 Prozent wieder das, was ich zu meinen Bioland-Zeiten im Verband gemacht habe. Da ging es auch um die Frage, wie können wir Ziele, auf die wir uns gemeinsam verständigt haben, erreichen. Ideologische Barrieren und Positionsgrenzen verlaufen nicht mehr zwischen Parteien. Die Funktion als Bioland-Präsident hat Türen geöffnet, um mitzudiskutieren. Heute ist interessant, wie es Türen öffnet, wenn man von Tönnies kommt.

Werden auch mal Türen zugeschlagen?

Dosch: In Umweltverbands-  und Tierschutzkreisen erlebe ich eher, dass ich gefragt werde, wie ich dazu komme und was ich mir davon erwarte – und dann ist man im Gespräch.

Wie oft essen Sie Fleisch?

Dosch: Ich koche sehr gerne. Zu Hause kommt für mich nur Bio-Fleisch in Frage und ich kenne die Betriebe, von denen ich Fleisch bekomme. Und ich bin auch Jäger. Das heißt, die Gefriertruhe ist voll mit dem, was es in Feld und Flur gibt.

Lust auf Burger - mit Hackfleisch oder doch vegan aus Ackerbohnen?
Foto: Claudia Wittke-Gaida, dpa | Lust auf Burger - mit Hackfleisch oder doch vegan aus Ackerbohnen?
Das heißt, eine vegane Lebensweise oder auch nur vegane Phase wäre für Sie ein echter Verzicht?

Dosch: So mit Anfang 20 habe ich drei Jahre lang kein Fleisch gegessen. Meine Tochter und meine Frau kann ich nicht zwingend mit Fleisch beglücken. Wenn ich am Wochenende koche, dann gibt es bei uns eher selten Fleisch.

Dass wir Menschen komplett auf Fleisch verzichten, veganes Leben für alle - vorstellbar? Diskutabel?

Dosch: Jeder Mensch soll nach seiner persönlichen Facon glücklich werden. Wenn jemand kein Fleisch essen möchte – zum Beispiel aus religiösen Gründen – dann ist das zu respektieren. Punkt, aus, basta. Wenn es umgekehrt mit einem politischen Anspruch verbunden ist, dem andere gerecht werden sollen, dann gehe ich in die Diskussion, dann streite ich. Wenn beim Thema Klimawandel die Verkettung von Nutztieren und deren Haltung mit Umweltschädigung pauschal in den Raum gestellt wird, fühle ich mich herausgefordert. 

Dann ist Ihre Mission . . .

Dosch: Ich komme vom Lande, ich habe großen Respekt vor bäuerlichen Familien. Was da über mehrere Generationen passiert, ist unschätzbar. Das Wissen, das Können, das darin steckt, der Umgang mit dem Boden – das ist für mich Agrarkultur. Es ist schlimm, wie viel da verloren geht, weil Betriebe aufhören. Wenn wir jetzt eine Veränderung wollen, spielt nicht der konventionelle Landbau gegen den ökologischen und umgekehrt. In meiner Vorstellung ist der gute konventionelle Betrieb der, der morgen ökologisch wirtschaften darf und gut davon leben kann. Und ich bin froh, dass ein Clemens Tönnies als Metzger nicht sagt: Bauernhöfe egal, ich mach jetzt vegan. Technisch wäre das möglich statt Fleischwurst vegane Produkte zu schneiden. Es sind etwa 11.000 Betriebe davon abhängig, dass sie an Tönnies ihr Tiere liefern. Wenn Tönnies es sich theoretisch von heute auf morgen anderes überlegt, passiert das, was wir coronabedingt erlebt haben.

Hausschweine in einem Stall in Brandenburg. Nach dem Produktionsstopp in einem Werk des Branchenriesen Tönnies in Nordrhein-Westfalen wegen Corona 2020 wurden viele Schweinehalter ihre Tiere nicht los.
Foto: Patrick Pleul, dpa | Hausschweine in einem Stall in Brandenburg. Nach dem Produktionsstopp in einem Werk des Branchenriesen Tönnies in Nordrhein-Westfalen wegen Corona 2020 wurden viele Schweinehalter ihre Tiere nicht los.
Den Schweinestau?

Dosch: Die Ställe quollen über, die Bauern standen kurz vor der Pleite. Das kann man auch forcieren, wenn man sagt, wir haben zu viel Tierhaltung. Die These wäre zu diskutieren. Aber das geht nur, wenn man diesen Familien auch Einkommensalternativen bietet. Hohenlohe war mal das Land der Schweine und Ferkel für ganz Deutschland. Heute gibt es dort zwölf Weltmarktführer, die Arbeitsplätze bieten und kaum einer hängt von der Landwirtschaft mehr ab. Einerseits ein Verlust an Agrarwissen, andererseits keine existentielle Katastrophe.

Es braucht Tönnies? Agrarwende geht nur mit Großkonzern?

Dosch: Heute ja. Wenn wir Unternehmen wie Bayer, BASF oder Tönnies schleifen, ist nichts gewonnen. Die Transformation muss aus den Unternehmen kommen. Der Forschungsetat von Bayer kommt gleich hinter dem von China. Was da an Potential steckt, könnte die öffentliche Hand gar nicht übernehmen.

Wenn ich eine nachhaltige Tierhaltung will, braucht es also was?

Dosch: Erstens, die Bauern müssen wollen. Das tun sie. Zweitens, die Schlachtunternehmen müssen mitmachen, das tun wir. Wir brauchen drittens den Lebensmitteleinzelhandel, der sagt, ich habe Beschimpfungen satt, ich mache mit. Und es braucht  viertens die Politik. Wir brauchen Rahmenbedingungen, die diesen Umbau ermöglichen. Ganz konkret: Wenn heute ein Betrieb einen Stall für mehr Tiergerechtigkeit umbauen will, kann er es nicht. Das Baurecht hat so hohe Hürden, dass er bis 50.000 Euro ausgibt, ohne überhaupt einen Stein in die Hand genommen zu haben.

Haben Sie den fünften vergessen? Den Verbraucher?

Dosch: Nein, auf den kommt es nicht an.

Weil?

Dosch: Weil der Verbraucher das kauft, was es im Regal gibt und wovon er annehmen kann, dass es in Ordnung ist. Wir können nicht verlangen, dass er schaut, ob da etwas nicht akzeptabel produziert ist. Es ist Aufgabe der Politik – durch Ordnungsrecht, Förderung und Kennzeichnung zu steuern. Und sie muss schlichtweg verbieten, was nicht geht. Beispiel Hühnerhaltung in Käfigen. Ich habe noch keinen Verbraucher gehört, der heute nach Käfigeiern ruft.

Und der Preis?

Dosch: Was teuer und billig betrifft: Wenn Tönnies Schweine zum Schlachten kauft, zahlt Tönnies den Bauern den gleichen Preis wie jeder andere Metzger auch. Bei der Tierwohlstufe mehr, bei Bio noch mehr, bei dem normalen gesetzlichen Standard im Moment viel zu wenig. So ist der Markt. Das trotzdem Tönnies Systemlieferant von Discountern ist, liegt daran, dass die Schlachtung in einem so hohen Maße effizient ist, dass sie kaum etwas kostet. Das macht das Fleisch günstiger.

Auf Kosten der Mitarbeiter.

Dosch: In Zeiten als das per Gesetz möglich war, ja. Aber einer meiner ersten Aufgaben bei Tönnies war, mich in Berlin mit für die Abschaffung der Werkverträge einzusetzen. In der Fleischindustrie ist das heute umgesetzt. Die Menschen haben heute Festanstellungen. Das war höchste Zeit und ist jetzt kein Wettbewerbsnachteil mehr, weil Gesetze es für alle gleich regeln. Und Tönnies hat Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus privaten, schlechten Wohnverhältnissen und bei Subunternehmern rausgeholt und circa 4000 eigene Wohnplätze geschaffen. Öffentliches Bewusstsein hat hier viel in Bewegung gebracht.

Der größte Fehler der Fleischindustrie und was Sie gerne von heute auf morgen geändert haben wollten?

Dosch: Das ist die in Teilen der Industrie noch immer vertretene Haltung, alles besser zu wissen  - Betonung auf „alles“ - und sich Problemen nicht stellen zu müssen. Sozialverbände, Umweltverbände und Tierschutzverbände haben berechtigte Anliegen. Man muss miteinander reden.

Veganismus vs. Fleischliebe: Podiumsdiskussion über nachhaltige Ernährung

An diesem Freitag, 10. September, diskutieren Vertreter aus Politik, Wirtschaft und Forschung bei einer Veranstaltung der Universität Würzburg über ökologischen, ökonomische und soziale Folgen unseres Ernährungsstils- digital, von 19 bis 20 Uhr. 
Teilnehmer sind Renate Künast, ernährungspolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag, Carina Konrad von der FDP, stellvertretende Vorsitzende des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft des Bundestags, Thomas Dosch, Verantwortlicher für die nachhaltige Weiterentwicklung des Lebensmittelunternehmens Tönnies, und Prof. Dr. Markus Vogt, Inhaber des Lehrstuhls Christliche Sozialethik der Ludwig-Maximilians-Universität München.
Die digitale Diskussion wird von der Professur für Wirtschaftsjournalismus und Wirtschaftskommunikation der Uni Würzburg und der FHWS im Rahmen des Wissenschaftsjahres Bioökonomie organisiert. Interessierte können kostenlos via Zoom teilnehmen: https://go.uniwue.de/bio 
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  • P. K.
    Mich würde ja mal interessieren welche Summe Tönnies jährlich zahlen muss um dem Herrn Dosch für seine Gewissensqualen zu entschädigen. Vielleicht täuscht er sein grünes Gewissen auch nur vor. Dafür spricht der Satz"Nein, auf den kommt es nicht an." in Sachen Verbraucher.
    Gaz schön dreist, weil alles was bisher in Sachen Bio läuft durch Verbrauchernachfrage entstanden ist. Da bezahlen die angeblich desinteressierten Verbraucher freiwillig mehr als sie unbedingt müssten.
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  • T. H.
    Die Discounter diktieren die Preise. Der Verbraucher kann darauf tatsächlich so gut wie keinen Einfluss nehmen. Selbst wenn man beim Discounter eine teure Milch kauft, muss man davon ausgehen, dass der Mehrpreis nicht beim Erzeuger landet, sondern beim Handel. Es ist auch nicht realistisch zu hoffen, dass die Mehrheit der Konsumenten nur noch in Hofläden einkauft. Das wäre weder ökologisch noch ökonomisch sinnvoll und ist bei unserer modernen Lebensweise auch nicht machbar.
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  • h. k.
    Wie oft essen Sie Fleisch?
    Dosch: Ich koche sehr gerne. Zu Hause kommt für mich nur Bio-Fleisch in Frage und ich kenne die Betriebe, von denen ich Fleisch bekomme. Und ich bin auch Jäger. Das heißt, die Gefriertruhe ist voll mit dem, was es in Feld und Flur gibt.

    Typische Politiker Antwort, die mit der Frage nichts zu tun hat.

    Herr Dosch, die Paulus-Saulus-Frage muss gleich sein.
    Die hätte man dem Fischer auch stellen können, der sich von der Autoindustrie ( BMW ) bezahlen ließ.
    Es sind halt GRÜNE
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