Ein klassischer Sonntagabend irgendwo in der mainfränkischen Provinz: Das Ehepaar Müller hat zum letzten Mal in diesem Sommer zur ungezwungenen Terrassenparty eingeladen. Von den zehn eingeladenen Leuten sind immerhin fünf gekommen, die Vorfreude auf die groß angekundigten Canapés der "fränkisch-asiatischen Fusionsküche" ist wahrlich ungebrochen. Von vegan bis regional ist alles dabei, Frau Müller stand immerhin seit neun Uhr morgens in der Küche. Gegen neun Uhr abends jedoch kippt plötzlich die Stimmung. Gast eins bezeichnet den akribisch ausgesuchten Wein der Gastgeber ganz banal als "lecker". Herr Müller ist entsetzt. Wie kann sein "salzig-mineralisch aufgeladenes Unikat" mit seinem "dichten, puristischen und eigenständigen Charakter" denn nur so geistlos kommentiert werden. Eine Frechheit.
Erst stoffig, dann mottig?
Wie Herrn Müller wird es wohl hunderten Weinexperten in "Weinfranken" ergehen. Die große Mehrheit verwendet nämlich ein ganz einfaches Vokabular, wenn sie einen Wein beschreibt: Der ist gut, der passt, ein feiner Tropfen. In Fachkreisen sieht das anders aus. Da schmeckt der Wein dann zum Beispiel "sehr geschmeidig, stoffig". Bleibt zu hoffen, dass der nach Textilien mundende Tropfen wenigstens nicht "mottig" oder "muffig" schmeckt. Auch Würzburger Weingüter schmücken sich mit fantasievollen Beschreibungen.
Die Weine vom Weingut am Stein werden in einer Pressemitteilung beispielsweise als "heftig, etwas cremig, aber auch mit Griff" beschrieben. Beim Weingut Reiss bekommt der Genießer "leichtfüßige" und "unkomplizierte" Tropfen, die bei Diskussionen am Stammtisch sicher keine Widerworte geben. Ganz anders als die Erste Lage des Juliusspital Weinguts. Die ist nämlich wie die bessere Hälfte zu Hause: "anspruchsvoll". Und bei Jacques’ Wein-Depot ist der Rebensaft sogar "tierisch gut". Ob der dann noch etwas für Vegetarier ist - man weiß es nicht.
Sex und Wein in der Schweiz
In ihren kreativen Ausdünstungen fahren die Würzburger aber noch im konservativen ersten Gang – verglichen mit der Schweiz. Denn dort wird es heiß. Dass Wein auch erotisierend wirken kann, ist ja bekannt. Und so gibt es in Zürich zum Beispiel einen Tropfen aus der "wollüstig reifen Frucht" oder den "fülligen Körper", der "sehr agil, so richtig zischend" und mit "maskuliner Eleganz" daher kommt. Eine große Studie hat laut "Neue Zürcher Zeitung" kürzlich herausgefunden, dass Schweizerinnen und Schweizer ziemlich zufrieden mit ihrem Sex sind. Jetzt wissen wir ja, woran das liegt.
Doch zurück nach Würzburg: Der Staatliche Hofkeller ist anscheinend kein Freund der großen Wortdudelei. Dort wird der Rotwein knapp als "dicht" beschrieben. Ob sie damit wirklich den Tropfen oder doch eigentlich den Trinker meinen, kann wahrlich niemand sagen.