
Einen geschichtlichen Bogen zwischen dem frühen Mittelalter und der Gegenwart schlägt der neue Kulturweg zwischen Eßfeld und Giebelstadt. Zwei Jahre Recherche durch einen ehrenamtlichen Arbeitskreis stecken in dem neun Kilometer langen Rundweg mit dem Titel "Vom Minnesang zum Düsenklang". Es ist der 120. Kulturweg, der in Unterfranken, finanziert durch die Kulturstiftung des Bezirks, ausgewiesen wurde – und bereits der zweite in Giebelstadt. Wie viele seiner Vorgänger macht er interessante historische Details sichtbar, die bisher selbst den meisten Einheimischen verborgen blieben.
Da ist zum Beispiel die Nikolauskapelle auf einer kleinen Anhöhe am früheren Ortsrand von Eßfeld, auf der einst auch die Burg der Herren von Eßfeld gestanden haben soll. Die Geschichte des eher unscheinbaren Kirchleins lag im Dunkeln, bis Einheimische 2019 im Vorgriff auf den Kulturweg schadhaften Putz ausbessern wollten. Dabei stießen sie auf ein Stück Holz, das mit vermauert war. Eine Altersbestimmung nach der sogenannten C14-Methode datierte das Holz auf das elfte Jahrhundert, erzählt Marco Lesch. "Früher hat man angenommen, dass die Kapelle im 18. Jahrhundert gebaut wurde", sagt Lesch. Nun sei erwiesen, dass sie zu den ältesten noch existierenden Kirchenbauten in der gesamten Region gehört. Ein Sensationsfund, den die Arbeit am Kulturweg hervorgebracht hat.
Marco Lesch und sein Bruder Lukas widmen sich seit Jahren der Ortsgeschichte und haben natürlich auch bei der Entwicklung des Kulturwegs mitgearbeitet. Eigentlich sollte der schon im vergangenen Jahr zur 1200-Jahr-Feier von Giebelstadt und Eßfeld fertig werden. Die Corona-Pandemie hat die Pläne durchkreuzt. Stattdessen soll das Jubiläum nun 2025 gefeiert werden, wenn sich der Bauernkrieg von 1525 zum 500. Mal jährt, in dem der Giebelstadter Ritter Florian Geyer eine zentrale Rolle gespielt hat. Die Eröffnung des Kulturwegs wollte man nicht so lange aufschieben.
Wo Minnesänger Reinmar von Zweter begraben liegt
Während Geyers Geschichte auf dem ersten Giebelstadter Kulturweg ausführlich erzählt wird, kommt nun eine zweite berühmte Persönlichkeit zu ihrem Recht. Der Minnesänger Reinmar von Zweter, ein Zeitgenosse und Freund Walthers von der Vogelweide, hat nachweislich in Eßfeld gelebt und liegt vermutlich in der Nikolauskapelle begraben, erzählt Lukas Lesch. Der Minnesänger war namensgebend für den Kulturweg, zusammen mit einem Abschnitt aus der jüngeren Ortsgeschichte, die Robert Popp seit Jahren ausführlich erforscht.

Akribisch hat Popp die Geschichte des Giebelstadter Militärflugplatzes recherchiert, den die Nationalsozialisten Mitte der 1930 Jahre am östlichen Ortsrand aufgebaut hatten. Aus dem Fundus aus zahlreichen Berichten und Hunderten von Fotografien, die er gesammelt hat, sind inzwischen ein ausführlicher Beitrag in der Orts-Chronik und zwei Bücher geworden.
Mit dem Bau des Flugplatzes als Teil von Hitlers Kriegsvorbereitungen und der Ansiedlung von Soldaten und Zivilangestellten begann der Aufstieg Giebelstadts vom kleinen Bauerndorf zur größten Gemeinde des Ochsenfurter Gaus. Die ersten Düsenflugzeuge, mit denen die Nazis vergeblich versuchten, die Niederlage im Zweiten Weltkrieg abzuwenden, wurden in Giebelstadt erprobt. Nach dem Krieg startete dort das legendäre U2-Spionageflugzeug der US-Luftwaffe zu Flügen über den Staaten des Warschauer Pakts.
Bis in die Gegenwart als ziviler Verkehrslandeplatz ist die Geschichte des Flugplatzes auf den Schautafeln dokumentiert, die den Kulturweg begleiten. Weitere Stationen widmen sich dem jüdischen Leben mit der früheren Synagoge, dem markanten Wasserturm oder den herrschaftlichen Gräbern auf dem Giebelstadter Friedhof.
Kulturwege als beliebte Ausflugsziele
Das Netz aus nunmehr 120 Kulturwegen habe inzwischen eine große Fangemeinde, sagt Gerrit Himmelsbach vom Institut für Kulturlandschaftsforschung der Uni Würzburg, das den Aufbau der unterfränkischen Kulturwege von Anfang an begleitet hat. "Ich begegne immer wieder Leuten, die von überallher kommen, um auf den Kulturwegen zu wandern", so Himmelsbach, "es hat sich ein richtiger Kulturweg-Tourismus entwickelt."
Wichtiger als die touristische Erschließung der Region ist für Himmelsbach aber die Wirkung, die Kulturwege für die Dörfer selbst entfalten. "Kulturwege stiften Identität und laden dazu ein, sich auch weiter mit der Geschichte seiner Heimat zu beschäftigen", so der Historiker. Dass es da noch viel zu erforschen gibt, davon ist Jürgen Kempf überzeugt. Der studierte Geograph aus Gaukönigshofen hat im Giebelstadter Arbeitskreis mitgearbeitet, um Erfahrungen für einen Kulturweg in seiner Heimatgemeinde zu sammeln. "Unser Ochsenfurter Gau steckt noch voller Geschichten, die erst erschlossen werden müssen", ist Kempf überzeugt.